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sparch
MaggotBrain

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Rainbow – Finyl vinyl (1986)

Als dieses Album 1986 erschien, waren Rainbow schon einige Zeit Geschichte. Ritchie Blackmore hatte die Band 1984 aufgelöst, um Deep Purple wieder auferstehen zu lassen. Bei 'Finyl vinyl' handelt es sich somit um Resteverwertung, und das Album beinhaltet hauptsächlich Liveaufnahmen aus allen Phasen der Band und einige Raritäten. Ende der 80er, anfang der 90er hatte ich eine große Vorliebe für 70er Jahre Rock und in diesem Fall kam man auch an Rainbow kaum vorbei. Und dieses Album bietet auf den ersten Blick eine Zusammenfassung aller Phasen der Band, derer es drei gab. Aus heutiger Sicht wird jedoch vor allem die letzte Phase der Band, in der Joe Lynn Turner als Sänger agierte, beleuchtet. Leider brachte die Band zu dieser Zeit nicht mehr viel mehr zustande als schnöden Mainstream. Das klang mal besser, wie z.B. bei der Coverversion von 'I surrender', im Original von Russ Ballard, und mal relativ einfallslos wie bei 'Power' oder 'Can't happen here'. Ganz vorbei war es, wenn die Band auch noch versuchte innovativ zu klingen. So wirkt das als Blues angelegte 'Tearin' out my heart' unausgegoren und skizzenhaft, ein Stilmittel, das Rainbow nicht gerade gut stand. Der absolute Tiefpunkt in dieser Phase und auf dem gesamten Album ist jedoch das über 11 Minuten lange 'Difficult to cure', Blackmore's Adaption von Beethoven's 'Ode an die Freude' inklucive japanischem Sinfonieorchester. Dumpfe Klassik für Headbanger, ausgerechnet von Blackmore inszeniert, dem Mann, der dafür sorgte, daß 'Deep Purple in rock' so klingt wie es heißt. Und es wirkt unfreiwillig komisch, wenn die Band das Tempo anhebt, um das bekannte Thema anzustimmen. Dagegen ist das folgende 'Stone cold' eine wahre Wohltat. Das Stück bietet zwar nur typischen Chartsrock, wirkt dabei aber nicht uncharmant. Eine große Schwachstelle der Band war damals auch Sänger Joe Lynn Turner, ein typischer Heavyshouter mit einem Unterton in der Stimme, der mir nicht gefällt. Die zweite Phase der Band, in der Graham Bonnet das Mikro übernahm, wird mit gerade mal zwei Songs abgehandelt, darunter der wohl größte Hit der Band 'Since you been gone', ebenfalls eine Coverversion von 'Russ Ballard'. Das rockige 'Bad girl' wurde nur hier veröffentlicht und die krachende Produktion markiert einen Höhepunkt des Albums. Da Graham Bonnet damals Soloambitionen hatte, gab es ingesamt nur ein Album mit ihm, seine Solokarrie kam jedoch nie in Gang. Die beste Seite auf diesem Doppelalbum ist mit Abstand die vierte. Hier wird mit gerade mal 2 Songs die erste Phase der Band, in der Ronnie James Dio als Sänger fungierte' abgehandelt. Die Band Rainbow entstand aus Dio's vormaliger Band Elf, deren Mitglieder Blackmore nach und nach feuerte und durch die üblichen Verdächtigen der Rockszene wie Cozy Powell oder Bob Daisley ersetzte. Die beiden Liverversionen von 'Man on the silver mountain' und 'Long live rock'n'roll' heben sich deutlich vom Rest des Albums ab. Im Gegensatz zum lauen Purple Sound der 80er Jahre klang die Band hier zwar nicht unbedingt innovativ, bot aber gutes bis sehr gutes Songwriting und vermutlich großartige Liveauftritte. Leider wird diese Phase der Band hier viel zu kurz abgehandelt, denn immerhin wurden mit Dio 3 Alben veröffentlicht, und von allen Sängern war er der einzige, der den Sound mitbeinflußte. Ganz am Ende des Albums gibt es dann noch einen weiteren instrumentalen Höhepunkt: das Stück 'Weiss Heim' ist in der Tat bemerkenswert und besticht vor allem durch Blackmore's Gitarre und Don Airy's Piano. Ich muß bei diesem Stück immer an den Film 'Pet semetary' denken, der damals gerade im Kino (89/90) lief. Ich bin zwar nicht gerade ein Freund solcher Horrorstreifen, aber dieser Film gefällt vor allem durch seine einzigartige Atmosphäre, was aber nur im Kino funktioniert. Ich habe mir den Film mit meiner damaligen Freundin angeschaut, und der Nachhauseweg führte mit dem Mofa durch einen Wald, und irgendwie hatte ich damals schon ein komisches Gefühl. Und jedes mal wenn ich 'Weiss Heim' höre, muß ich genau daran denken.
Warum ich mir damals ausgrechnet dieses Album zulegte ist mir heute nicht mehr so ganz klar. Vermutlich lag es an den beiden Hits 'Since you been gone' und 'I surrender'. Als Einstieg ist die Platte auf jeden Fall nicht zu empfehlen, zu unausgewogen ist das Programm und auch der Sound ist stellenweise alles andere als gut, da hätte man 1986 schon mehr erwarten können. Insgesamt ist dieses Album wohl mehr etwas für Die Hard Fans, wobei ich mich fragen muß, ob es bei dieser Band so etwas überhaupt gegeben hat, immerhin drehte sich das Besetzungskarussell hier wie bei keiner anderen Band. Bezeichnend ist hier auch das Cover, das Blackmore einsam auf einer Absperrung sitzend zeigt. Wer dennoch den Einstieg zu Rainbow wagen möchte, dem sei 'Long live rock'n'roll' aus dem Jahr 1978 empfohlen. Dieses Album zeigt die Band auf der Höhe ihrer Schaffenskunst und zählt für mich sicher zu den besten Rockalben dieser Zeit.

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Wann kommt Horst Lichter mit dem Händlerkärtchen und knallt mich ab?