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Elton John ∙ Tumbleweed Connection
Rocket/Island (1971)
In „A la recherche du temps perdu“ beschreibt Marcel Proust das Leben des Protagonisten mit Hilfe dessen Erinnerung. Oftmals wird diese unwillkürlich ausgelöst durch vertraute Sinneseindrücke (memoire involontaire).
Musik kann z.B. die zufällige Erinnerung und damit das Wiederaufleben der Vergangenheit hervorrufen, die eine bestimmte Zeit oder Atmosphäre enthält. Elton Johns „Tumbleweed Connection“ ist in zweierlei Hinsicht eine solche Konnotation. Zum einen ist es ein Konzeptalbum, dass die Erinnerung an den amerikanischen wilden Westen aufrechterhält. Es ist eine Schatztruhe an bluesigen, souligen, gospeligen, countryhaften Stücken: die Begleitmusik für ein Epoche. Zum anderen ist es die Erinnerung an eine peinliche Situation, Elton John als Inbegriff des fetten feisten mainstreamigen Langeweilers vor einer Freundin verlacht zu haben, ohne die wichtigsten Alben von ihm zu kennen. Ich mag Elton John nicht, habe ich mich geoutet. „Tumbleweed Connection“ verzichtet nämlich auf die Einhaltung des üblichen Popsongschemas. Kein Hit stört die Harmonie. Caleb Quayes Gitarre auf „Ballad of a Well-known gun” würde den Kings of Leon heute gefallen, “Country Comfort” mit Geige, Pedal Steel und Harmonica klingt wunderbar nach Bluegrass wie die Jayhawks in ihren besten Zeiten. Draußen vor dem Fenster gingen dicke Wolken nach Westen. „Son of your father“ ist Geschichte zweier Brüder, der eine blind, der andere mit einem Haken anstelle einer Hand. Die Lyrics lesen sich wie das Script zu einem Spaghetti-Western. Ein proustscher Zug mag vielleicht auch das Pianointro von „Where to now St. Peter?“ sein, schafft es doch eine Reminiszenz an Elton Johns großen Hit „Your Song“. Unterstützt von einer unfassbar freundlichen Frauenstimme (Lesley Duncan) kommt „Love Song“ daher. „Amoreena“ öffnet das Wolkenloch, der blaue Himmel schimmert gewaltig durch, „and when it rains, the rain falls down, washing out the castle town, and she’s far away somewehere in her eiderdown, and she dreams of crystal streams“. Bombastisch schließt “Burn down the mission” und auch “Into the Old Man’s Shoes” ist von Paul Buckmaster wunderbar arrangiert. Aus den Augenwinkeln sieht man das obligatorische Gestrüpp vorbeiwehen.
Ein Album, das uns hinausführt an die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens vom wilden Westen. Diese mit leuchtenden Augen gemachte Erfahrung musste ich schließlich mit meiner Freundin teilen und im Zuge meiner Proustschen Assoziation sagte sie: „Könntest du die Musik ein bisschen lauter drehen (sic)?“.
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