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Roy Brooks (1938-2005) spielte 1972/73 mit Charles Mingus, als Dannie Richmond mal eben weg war … dort traf er auf Don Pullen, den mittleren von drei Klavierpartnern auf diesem Album. Den Auftakt macht Randy Weston, auf ihn folgt Woody Shaw (der auf Brooks‘ tollem Album „The Free Slave“ aus dem Jahr 1970 zu hören ist), und den Abschluss macht, das war ja klar, Geri Allen. Von jedem Duo sind zwei Stücke zu hören, aufgenommen der Reihe nach 1983 (Weston), 1984 (Shaw), 1987 (Pullen) und 1989 (Allen), die CD erschien 1993 auf Enja und ist überaus hörenswert. Es gibt Stücke von Weston und Pullen, Kollaborationen von Shaw und Allen mit Brooks, eine Hommage von Brooks and Mingus und mit Allen auch Brooks‘ „Samba del sol“. Man blickt zurück und gedenkt gemeinsamer Freunde und Partner … und gerne würde man weiterhören oder wäre bei den Konzerten, von denen die Aufnahmen stammen, dabei gewesen!
Das erste Duo mit Allen ist eben „Samba del sol“, und Brooks ist an Steel Drums zu hören, deren fröhlicher Klang (ich kann ihn selten wirklich ertragen) von Allens düsterem Piano-Vamp kontrastiert wird. Allen ist es denn auch, die in dem kurzen Stück ein Solo spielt, das gekonnt die Balance hält zwischen dem fröhlichen Rhythmus und dem eher düsteren Groove darunter. Als zweites gibt es dann das etwas längere „Duet in Detroit“ (der Auftritt mit Allen ist leider nur 12 Minuten kurz, die CD enthält 68 Minuten Musik, es ist aber v.a. das Duo mit Pullen, von dem in 27 Minuten wesentlich mehr zu hören ist). Hier setzt Allen mit einem repetierten Ton ein, den sie ein paar Male wiederholt, zunächst fast ohne die rechte Hand. Sie spielt dann ein ganz kleines, repetitives Motiv, aus dem sich ein Groove entwickelt, in den Brooks einfällt. Nach zwei Minuten – inzwischen im nächsten repetitiven Motiv, stoppt Allen, öffnet, doch Brooks nützt den Raum nur sparsam, wartet, lässt Platz, den Allen für eine freie Improvisation nützt, die vom Schlagzeug kommentiert und ergänzt wird. Es entwickelt sich ein dichter Dialog, in den Allen immer wieder kleine Motive einstreut, die die freien Ausbrüche unterbrechen. Dann setzt sie kurz aus, Brooks verdichtet sein Spiel – und wenig später ist Allen mit wilden Clustern zurück und die Performance findet ein Ende denkt man, doch eine zuvor schon einmal gehörte Sirene (aus Brooks‘ Arsenal, nehme ich an), führt zu einer groovenden kurzen Schlagzeug-Coda.
Dass Geri Allen 1989 mit Brooks auftrat, war natürlich kein Zufall, denn Brooks stammte ebenfalls aus Detroit und hatte seinen ersten wichtigen Gig mit Yusef Lateef. Später spielte er u.a. mit Horace Silvers Quintett (zu dem damals natürlich auch Woody Shaw gehörte), stiess 1970 zu Max Roachs M’Boom und gründete 1972 seine Gruppe The Artistic Truth. Mag der Name heute nur noch wenigen geläufig sein, so war er in der Hard Bop-Ära ein bekannter und zentraler Drummer, der aber 1977 nach Detroit zurückkehrte und für die lokale Szene von Bedeutung war. Roy Brooks war es auch, der den Gig mit Woody Shaw (1944-1989) in einem der wichtigsten Clubs Detroits – Baker’s Keyboard Lounge – mitschnitt, bei dem er, Bassist Robert Hurst und Geri Allen den Trompeter Woody Shaw begleiteten. Die Aufnahmen wurden von Malcolm Addey für Blue Note nachbearbeitet, bei dem die Doppel-CD 1997 erschien. Für das Cover gewann man Gil Mellé, der einst selbst tolle Aufnahmen für Blue Note gemacht hatte, und – vor Reid Miles zum Team stiess – auch einige Cover designt hatte, vornehmlich für 10-Inch-Alben aus den frühen Fünfzigern (und in Sachen Blue Note-Trivia: es war Gil Mellé, der mit Aufnahmen zu Alfred Lion kam, die Rudy Van Gelder gemacht hatte – wohin das führte, ist ja bekannt).
Die Aufnahmen starten mit Monks „Bemsha Swing“, später folgen auch noch „Well You Needn’t“ und „Nutty“ aus der Feder des Pianisten, den Ausklang macht Brooks‘ Hommage „Theloniously Speaking“ (ohne Shaw, Allen taucht tief in die Monk’sche Klangwelt ein und ist einmal mehr grossartig). Dazwischen sind zwei Shaw-Originals zu hören, „Ginseng People“ und „In a Capricornian Way“ (zuerst 1968 bei einer Booker Ervin Blue Note-Session mit Shaw aufgenommen), zudem Wayne Shorters „United“, der Standard „Star Eyes“ (über das altbekannte Ostinato, aber in zügigem Tempo – ein Highlight übrigens: Brooks ist schon im Thema formidabel und macht Shaw richtig Feuer, allen folgt mit einem super Solo) und – als erstes Feature für die Rhythmusgruppe“ – Allens „Eric“. Neben Monk und Shorter (dessen „United“ Shaw regelmässig spielte) wird auch vor Miles Davis der Hut gezogen, denn es ist sein Arrangement von „Well You Needn’t“, das die Band spielt, inklusive Shout-Chorus vor Brooks‘ Solo. Shaw, der in seinen letzten Jahren keine eigene Band mehr leitete, sprüht hier nur so vor Ideen, begleitet auch mal leise, wenn Allen soliert. Und mit Allen und Brooks ist auch in der Rhythmusgruppe für ein grosses Mass an Charakter gesorgt. Allens Spiel gefällt mir hier wieder enorm gut – und wenn ich zurückblicke, wäre dieser Mitschnitt schon vor Jahren ein weiterer Hinweis darauf gewesen, dass ich bloss etwas hartnäckiger hätte an ihr dranbleiben müssen, denn was man hier zu hören kriegt, gefiel mir schon immer. Hurst am Bass setzt solistisch ebenfalls seine Akzente und begleitet einwandfrei – mehr ist auch gar nicht vonnöten, wenn von Klavier und Schlagzeug schon so viele Impulse kommen, die über das Erwartete hinausgehen. Allens „Eric“ ist natürlich auch Eric Dolphy gewidmet – an dessen Seite Woody Shaw 1963 schon aufgenommen hat. Doch er setzt hier aus und in Sachen Allen ist das einer der Höhepunkte dieses Albums – sie wird sehr effektiv begleitet, hat die Nummer ganz für sich und macht sie zu einem – sehr zarten und lyrischen – Parforceritt. Eins von Brooks Markenzeichen sind seine Toms mit variabler Tonhöhe – sie kommen immer wieder zum Einsatz. Besonders toll – nicht nur im Hinblick hierauf – sind einige Runden von Fours mit Books, Shaw und Allen. In „Nutty“ hat der Gute sogar mal die Impertinenz, nach einem Knall auf die Eins des ersten Taktes, einfach vier Takte Pause zu machen. Soviel zum Thema Personality. Grossartige Sache, diese Doppel-CD!
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Eine kleine Abschweifung, aber das spukt mir seit der Nachricht von Allens Tod im Kopf herum, weil da eben auch wieder Kenny Kirkland und andere genannten wurden: Er hat – im Gegensatz zu Allen – regelmässig mit Woody Shaw gespielt, wurde ebenfalls sehr geschätzt und starb vor ein paar Jahren auch unerwartet und deutlich zu früh: Mulgrew Miller (1955-2013). Würde mich sehr wundernehmen, wie sein Einfluss auf andere jüngere Pianisten eingeschätzt wird bzw. ob es damals abgesehen von einer Menge Respektbekundungen auch Äusserungen in die Richtung gab, wie es bei Allen jetzt der Fall ist? Klar, er war tiefer im Mainstream drin, aber dennoch …
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba