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Ich weiss gar nicht, was man dazu gross sagen muss oder kann … es haut mich gerade wieder völlig weg! Was die drei zusammen anstellen ist wirklich beeindruckend, geht auf alle Seiten los, in jedem einzelnen Augenblick, und hat dennoch eine ganz klare Richtung, einen Drive, es reisst einfach mit.
Und dass jemand tatsächlich Herbie Nichols covert – kein Niederländer oder sonst irgendein Querulant, sondern ein Trio, das mitten heraus aus dem Hauptstrom kommt, bei dem direkte Verbindungen von Bill Evans bis zu Ornette Coleman bestehen, das ist schon sehr, sehr toll. Überhaupt bei Allen, auch das Cover von Dolphys „Gazzelloni“ (auf „At This Time“ mit dem Trio 3, ob die Idee von Lake oder von Allen kam, egal, Allen schrieb ja auch ihren „Dolphy’s Dance“).
Aufgereiht als nächstes ist dann auch wieder ein Album mit Oliver Lake, aus dessen Soul Note Box (auf den anderen spielen Donald Smith bzw. Charles Eubanks (je auf zweien, eines ist mit Michael Jackson an der Gitarre, zudem gibt es noch ein Duo mit Borah Bergman – hab die Box noch nie mit gebührender Aufmerksamkeit und sowieso noch nicht komplett angehört):
Hier gibt es durchaus Berührungspunkte zum Funk, wenn die Rhythmen von Fred Hopkins und Pheeroan akLaff immer zickiger und zerklüfteter werden. Ziemlich toll, wenn Allen darüber dichte Cluster legt und dann noch Lake am Altsaxophon und Kevin Eubanks an der – teils ziemlich rockigen – Gitarre darüber abheben,so am Ende des zweiten Tracks, „Comous“. Die Aufnahme stammt von 1984 und hat auch zartere Momente – überhaupt handelt es sich hier um ein typisches Beispiel dafür, wie der Jazz der 80er *hätte sein sollen*, wenn das Zentrum des Kapitalismus (das nunmal auch die Heimat des Jazz ist) nicht die telegenen Youngsters aus NOLA entdeckt und ihren in jeder Hinsicht neokonservativen Approach präferiert hätte. Hier kommt eben alles zusammen, was spätestens seit den Siebzigern auch zusammengehört: Jazz (auch von Eubanks – toller Ton im schönen Solo im gerade erwähnten „Comous“!), Funk, Zartes und Wildes, Erdiges und Abgehobenes, Fliessendes und Zerklüftetes. Hören mag ich das nicht alle Tage, aber das hier sind die echten (teils zugegeben nicht mehr sooo) Young Lions und es ist schon klasse, was die alles drauf hatten.
Dann nimmt mich jetzt natürlich auch ein Wiederhören des „Montréal Tapes“-Albums mit Allen und Motian wunder, dem ich mich ja auch erst über die Jahre annäherte (mein Cover ist schwarz, dasselbe Photo aber kleiner und fünffach). Ich bin mal so frei und zitiere meinen halbgaren Text für get happy!?, der schon ein paar Jahre alt ist, aber zeigt, dass mir der Mitschnitt schon damals beim Wiederhören schon ziemlich gut gefiel (im Regal steht das Album schon länger):
Geri Allen/Paul Motian – Kansas City Avantgarde (Verve, 1997)
Behutsam, tastend beginnt das Set mit Geri Allen. Haden spielt einen dreckigen Walking Bass, repetiert beharrlich die Töne, während Allen in die Musik findet, eine Art modernisierten Basie gibt, und Motian den sich entwickelnden Groove mit spitzen Einwürfen eher zu hintertreiben scheint. Hadens Bass ist das Herz der Musik. Sein erstes Solo ist wie eine Erklärung: Eine Montage aus Zitaten, kleinsten Motiven, aus denen das Ganze sich erst zusammensetzt. In Motians sehr freiem „Fiasco“ gibt Haden – zögerlich – seinen Gesang auf, der dann in seinem „First Song“ umso stärker wieder aufsteigt. Allens Klavier schlägt in ihrem eigenen Stück „Dolphy’s Dance“ wilde Haken, lässt die Töne purzeln und kollidieren. Das Konzert endet nachdenklich mit Allens Hommage an John Malachi, dem Pianisten, dem ihre Figur im Film Kansas City nachempfunden war, und Motians „In the Year of the Dragon“. Das Konzert zeugt von einem Bemühen darum, gemeinsamen Boden zu finden, zusammen etwas zu schaffen, dessen Erfolg keineswegs vorprogrammiert ist. Das Ergebnis sind wundervolle Momente, aber auch Augenblicke, in denen das Trio nicht wie erhofft vorankommt. Das Konzert ist durch Unsicherheiten und Wagnisse geprägt.
(get happy!?, Heft Nr. 5 – der Text ist von 2013, heraus kam das dann wohl erst 2014)
Dass ich gerade zu Allens Spiel in „Fiasco“, dem mit 12 Minuten längsten Stück des Albums, damals nichts schrieb, hängt wohl auch damit zusammen, dass es mir damals als einer der Momente des „Nicht-Vorankommens“ schien (was ich aber bekräftigen muss: ihr Spiel in „Dolphy’s Dance“ – holy holy!). Das höre ich naturgemäss im neuen Kontext auch wieder anders bzw. empfinde es gelassener. Es gibt ja auch anderswo Verbindungen von Detroit nach Chicago (Roscoe Mitchell holte sich die vormalige Allen-Rhythmsugruppe Jaribu Shahid und Tani Tabbal) und vielleicht ist hier bei Allen auch etwas von dieser Gelassenheit zu finden, die in Chicago so stark vorhanden ist, dieses Nichts-Erzwingen-Wollen, das gerade als Nicht-Wollen einen so starken Willen voraussetzt. Mit Oliver Lake ist natürlich auch der Bezug zu St. Louis da, wo mit der BAG ein Pendant zum AEoC entstand – auch da sind Parallelen vorhanden: Lester Bowies Bruder Joe ist dabei, Drummer Charles „Bobo“ Shaw nahm mit Lester Bowie im Duo auf, Baikida Carroll hat Bezüge nach Chicago (Muhal Richard Abrams etc.), nach Kalifornien (John Carter), in die New Yorker Loft-Szene (David Murray, Sam Rivers etc.) – und genau das scheint mir, macht auch Geri Allen so bedeutend, dass sie einerseits ihre Wurzeln in Detroit nicht vergass, aber in alle Richtungen offen war, sei es eben mit Oliver Lake, mit Haden/Motian, mit Ornette, M-Base … und dann natürlich auch mit Charles Lloyd (bei dem es „Jumping the Creek“ war, mit Allen am Piano, das mich vor einigen Jahren aus einer Phase der längeren, distanzierten Skepsis erweckte).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba