Antwort auf: bft#20

#10139333  | PERMALINK

friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

Beiträge: 5,160

Was ich noch sagen wollte:

# 01
Ein smoother Einstieg, das E-Piano und die Bläser klingen nach frühen/mittleren 70ern. Hat was von Soft Rock oder Yacht Rock. Elegant und luxuriös. Dünner aber charmanter Gesang. Dabei habe ich Warren Beatty vor Augen, der in sommerlichem weißen Anzug in Malibu oder Sausalito auf eine Party kommt: „You walked into the party like you were walking onto a yacht / Your hat strategically dipped below one eye / Your scarf it was apricot / You had one eye in the mirror as you watched yourself gavotte / And all the girls dreamed that they’d be your partner“. Ist aber nicht 70er sondern so ne hippe Retro-Geschichte. Habe mit detektivischem Spürsinn rausgefunden, dass das von einem Glatzkopf mit klassischer Ausbildung ist. Verführerisch!

#02
Ein scharfer Kontrast, denn das hier ist alles andere als smooth sondern hot! Eine Big Band, bei der aber die Solisten stark im Vordergrund stehen und die horn section nur zwischendurch ein Riff reinwirft. Das hat seine Show-Werte, da jeder Solist auch seine akrobatischen Fähigkeiten zeigt. Bleibt bei mir nicht dauerhaft hängen, macht mir aber 3:32 min Spaß. Keine Ahnung, wer das ist.

#03
Nehme an, das stammt aus einem Musical und der Witz darin beruht zu großen Teilen auf dem Gesang und vor allem dem Text. Bin aber gerade zu faul, das rauszuhören und musikalisch spricht mich das nicht an. Nächstes Stück, bitte!

#04
Never Will I Marry, das ich bisher nur in der Interpretation von Helen Merrill kenne, die ganz anders ist als diese doch viel mehr ins Show-Fach gehende Version mit großem Orchester, Streichern und allem pipapo. Ich weiß nicht, aus welcher Zeit der Song ursprünglich stammt – aber sicher 60er oder vorher -, und ob er für eine männliche oder weibliche Stimme geschrieben wurde. Aus dem Munde einer Frau klingt das umso selbstbewußter, hier sogar triumphal. Ich schätze das ist aus den 60ern, weiß aber nicht, wer da singt und spielt.

#05
Gemäßigt funky, gemäßigt jazzig, dominantes E-Piano, das mir mit dem wiederholten Riff gut gefällt. Der Bass schiebt sich weit in den Vordergrund. Mit dem Sax-Solo wird es noch jazziger. Hat ein bisschen was Muckertumiges, man hört, dass das alles technische Könner sind, die das auch gerne zeigen. Eigentlich eigenartig, dass es da überhaupt einen Sänger gibt: Bei dem fällt mir vor allem die etwas dünne hohe Stimme auf, aber ich höre das gar nicht als Song. Auch das bleibt bei mir nicht unbedingt hängen, kann mir aber auch eine Weile Spaß machen.

#06
Das ist eine Art von Jazz, mit der ich mich etwas schwer tu. Klingt zunächst sehr tastend, ziemlich locker gewebt, in meinen Ohren dadurch unscharf und wirr. Zum Ende hin nimmt das schärfere Konturen an, vor allem durch das staccatoartige Bläseriff, das dann – Hoppla! – völlig überraschend in einen Hip Hop Beat überleitet um dann mit einen R&B Sample zu enden. Eigenartig, wie kommen die darauf und was soll das ganze? ;-)

#07
Ein Detroit Techno Track, geschätzt späte 80er oder eher frühe 90er, wenn es keine Retrogeschichte ist. Da klappert der 808 oder der 909, es klingt aber schon ein ganzes Stück raffinierter als die Ursuppe des Techno, komplexere beats, geschichtete sounds, dramatischer Aufbau. Der Jazzzusammenhang erschließt sich mir hier aber nicht ganz. Triolische hi hat? Na ja … Es gab aber damals im Techno den einen oder anderen Versuch, einen Zusammenhang zum Jazz herzustellen. Juan Atkins‘ Jazz Is The Teacher, aber auch da ist Jazz eher namedropping als hörbare Wirklichkeit. Das ist inzwischen schon historisch und klassisch und ich frage mich, wie das heute in den Ohren von jemanden klingt, der nach 1990 geboren wurde. Völlig verstaubt oder ultra hip? Ich finds klasse!

#08
Bei 2:30 dachte ich: Frank Zappa! Aber der Gitarrensound und das monotone Riff passen eigentlich nicht zu ihm. Klar ist das alles total ausgedacht und abgezirkelt, gleichzeitig ist es aber auch herrlich albern. Die völlig willkürlichen Brüche, Tempowechsel, wechselnden Instrumentierungen, Stilwechsel, akrobatischen Kabinettstückchen, völlig bescheuerten Sounds. Eine wilde Collage. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? wird hier zum Prinzip erhoben und lustvoll ad absurdum geführt. Ich stelle mir vor, dass das life ein tolles Spektakel ist. Irgendwie fiel mir dazu diese Kunstaktion von Fischli und Weiss ein.

#09
Habe zuerst gar nicht gemerkt, dass hier ein neues Stück anfängt und es sich nicht um eine weitere Eskapade von Track #08 handelt. Auch hier ein haarsträubender Stilmix, teilweise passiert alles gleichzeitig, klingt wie Jazz, Minimal Music, Blaxploitation und Salsa im time tunnel. Oh mein Gott, wo kommt jetzt auf einmal diese Geige (oder so) her? Von allem zuviel gilt hier unbedingt. Sehr eklektizistisch, sehr professionel gemacht, irgendwie schräg und irre aufregend! Mir kam als möglicher Urheber ein Argentinier in den Sinn, der auch für den schmutzigen Harry verantwortlich war?

#10
Jeder Filmfreund erkennt dieses Stück natürlich sofort! ;-) Hey @vorgarten, was ist los? Brandstand 3000 hat vorne und hinten sogar kleine Dialogfetzen montiert, die allerdings nicht aus der Szene stammen, in der dieses Stück vorkommt. Ich kann die Musik kaum von dieser Szene trennen, auch wenn mir erst jetzt auffällt, wie geschickt und passend diese Musik ausgewählt ist, die im Film als live performance, also als Musik im Film, aber auch gleichzeitig als Filmmusik eingesetzt wird. Hier wollen alle zu viel, mindestens bis zum Mond, und da passt das Stück natürlich super, genauso gut wie die aufgetürmten Bienenkorbperücken der Frauen und die dicken Zigarren der Männer im Copacabana – am Ende geht das alles aber gründlich schief. Der Songautor stammt aus der Ecke Bacharach, die Produzenten aus Philly und die Sängerinnen wohl aus dem Kirchenchor. Grandios!

#11
Das sind die beiden nerds, deren lange fettige Haare in den 70ern in eigenartigem Widerspruch zu ihrem musikalischen und technischen Perfektionismus standen und die auf der Jazz Wars Collage ja unten in der Ecke stehen. Oder ist das vielleicht gar kein Widerspruch, denn es ist ja ein Grundeigenschaft des nerds, dass sein Interesse auf ein einziges Fachgebiet fixiert ist, während er alles andere völlig vernachlässigt. Auf jeden Fall sahen sie in ihrem Schlodderlook unendlich cool aus. So oder so: Dies ist ein Stück aus der späteren Reinkarnationsphase dieses Duos, die ich nicht gut kenne. Generell sage ich, I prefer their early stuff, habe sie aber vor ein paar Jahren mal persönlich live gesehen. Da waren die Haare aber schon längst ab. Einen wesentlichen stilistischen Bruch gegenüber ihrer doch deutlich von den 70ern geprägten Musik gab und gibt es aber nicht. Man hört doch deutlich die Jazz/Fusion und Soul-Einflüsse. Wie immer haben Arrangement und Produktion Premiumqualität, vielleicht noch etwas mehr weichgespült als in den 70ern, vielleicht dadurch aber mit weniger Hitqualitäten. Vielleicht ist die Stimme von dem einen nerd auch inzwischen etwas flach – und der war schon immer eigentlich ein Sänger ohne Stimme.

#12
Ach, jetzt kommt wieder Jazz! Irgendwo aus der Post-Bop Ära. Das Sax am Anfang tänzelt ganz witzig, erinnert mich spontan an Sonny Rollins, so etwa St. Thomas. Ist aber lockerer gestrickt. Ganz flott, ist aber auch eher so was, das ich über die Dauer des Stücks gerne höre, ohne dass es sich bei mir festsetzt.

#13
Das ist ja schon erkannt worden und war auch für mich nicht schwer zu erraten. Dem hype konnte man nicht entkommen und ich hatte die Platte zumindest mal in der Hand, habe sie aber nicht gekauft. Das klingt, als hätte jemand eine doppelte Portion Coltrane, Sanders, Sun Ra und einiges andere in einen großen Kessel geworfen, ordentlich Sahne und Geschmacksverstärker dazugeben und oben drauf noch ne fette Messitsch, Prädikat moralisch besonders wertvoll. Wahrscheinlich ist das alles auch noch spirituell. ;-) Muss man das gut finden? Zugegeben gut gemacht, aber die Messitsch deckt die Musik in meinen Ohren fast zu . Ich finde das prätentiös, kitschig und – mit Verlaub – etwas abgeschmackt. Bisschen dick aufgetragen meine Kritik, ich weiß, aber wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus. Sorry.

# 14 bonus track
Funky, souly stuff, wieder sehr aufwändig und elegant arrangiert. Bei 2:00 min + gibt es dann aber einen eigenartigen Bruch, der etwas forciert und konstruiert wirkt. Und dann kippt das alles sehr ins jazzige mit einem ausgedehnten Sax-Solo, bis es wieder zurück kippt. Den Kontrast zwischen den beiden Teilen finde ich eigenartig, man hat ja nicht das Gefühl, das ist jetzt der B-Teil, der Spannung aufbaut um danach wieder zum A-Teil zurückzukehren. Kaum habe ich das zuende geschrieben, gibt es aber den nächsten Querschläger: Bei 6:40 min – das hast Du doch jetzt selbst hinten ran geklebt, oder? Die Stimme meine ich zu kennen. Nein, jetzt sag nicht, dass das so ein ganz verbotener Spät-70er Hochglanzpop ist, wie das hier, so ein guilty pleasure, das man heimlich lauter dreht, wenn es im Radio kommt!

Passen würde es ja in diesen wilden Mix, der sich von der Geschmackspolizei nicht stoppen lässt. ;-)

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)