Antwort auf: bft#20

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gypsy-tail-wind
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Dann will ich auch endlich mal – wie üblich noch gar nichts gelesen hier; Bedingung ist wie immer, dass zuerst meine eigenen Kommentare, die erste Runde fertig sein müssen.

#1-9 hörte ich letzte Woche mal, heute nochmal alles, dabei meine Eindrücke notierend. Gelesen habe ich noch nichts, erkannt beim ersten Hörgang mit Gewissheit nur die beiden Solisten in #2 – mal schauen, ob heute mehr dazukommt.

Aber vorweg schon sagen kann ich, dass das zu weiten Teilen nicht mein Gebiet ist, dass mir manches etwas zu oberflächlich, anderes irgendwie zu düster ist bzw. mich einfach nicht so anspricht. Ich will aber versuchen, dennoch zu allen Tracks ein paar Zeilen zu schreiben.

#1
Takin‘ it in stride … das ist dann wohl gleich mal mein Motto für diesen BFT. Den Beat holte man sich bei einem Dylan-Song der Sechziger? Jedenfalls ist das Schlagzeug auf Dauer schon etwas platt, auch wenn es ein paar kleine Minimal-Fills und so gibt … der Gesang und der Sound lassen mich an Acid Jazz der 90er denken, Terry Callier als das grosse Vorbild, aber dessen Kunst lebt doch gerade davon, dass die das Detachement eben nur ein scheinbares ist, die Beiläufigkeit eine vorgegaukelte, hinter der sich beängstigende Tiefen auftun. Und davon höre ich hier nun gar nichts, das bleibt an der Oberfläche, ist hübsch (auch: hübsch arrangiert), aber nicht viel mehr.

#2
Jazz … ein zickiger Beat, der Bläser-Einstieg erinnert im ersten Moment an einen der Tracks von „Miles Ahead“, aber das Schlagzeug machte ja schon längst klar, dass das was anderes ist … ich tippe auf einen Big Band-Veteranen à la Don Lamond (der es aber nicht ist), die Soli sind vom schon nicht mehr ganz jungen Phil Woods, aber er klingt hier ziemlich gut (ca. 1959-61?), danach natürlich unverwechselbar Clark Terry … egal, was man von ihm, von seiner musikalischen Art halten mag: die unglaubliche Wiedererkennbarkeit ist doch schon mal bemerkenswert. Auch das ein eher harmloser Track, alles in allem … ich dachte an die Quincy Jones Big Band, die in den gerade genannten Jahren aktiv war, aber das ist sie wohl nicht … und das Arrangement mit dem Holz hinter Terry ist schon ziemlich gut gemacht. Ich habe das Gefühl, ich müsste das kennen, komme aber nicht drauf. Terry selbst leitete noch keine Big Band-Sessions in der Zeit, aus der das kommt, seine Big Bad Band ist das eher nicht (war Woods dort mal dabei?) – egal, ich warte auf die Auflösung …

#3
Frank Loesser, „I Believe in You“ … ich höre den Charm, aber leider mag ich die Stimme ebenso wie die „delivery“ überhaupt nicht. Wenn der Song sein muss, könnte man auch bei Q fündig werden, mit einer wenigstens damals noch über jegliche Zweifel erhabenen Stimme und der grossartigsten „delivery“ ever:

Aber gut, dieses Show/Musical-Ding ist nur selten meins bzw. ich mag es dann so richtig altmodisch – Fred Astaire geht immer. Bin mir nicht sicher, ob das hier Satire sein soll oder im Rahmen einer Show/eines Show-Albums ernst gemeint ist – aber gut, der Song selbst hat ja schon einen doppelten Boden …

#4
Schöner Auftakt, aber die Stimme geht leider einmal mehr gar nicht.

Und auch da eine Alternative, die ich gerade erst in der Tube fand (schlicht, weil ich davor nie danach gesucht habe):

Und hier noch eine geschätzte und bekannte:

Und weil mir – pardon – das Arrangement am Ende vor allem rhythmisch wieder viel zu platt ist und ich darüber gerade stiess: im Interview mit Ethan Iverson weist Drummer Steve Little auf die katastrophal-grossartigen Breaks hin, die Don Lamond hinter Bobby Darin in Beyond the Sea trommelt.

#5
Das ist nun leider einer dieser Tracks, bei dem mich das Klangbild gesamthaft einfach überhaupt nicht anspricht. Einerseits ist das viel zu aufgeräumt, auch wenn sich die Keys und die Drums ganz hübsch verzahnen, andererseits finde ich den Bass ganz übel – erst recht im hässlichen Solo, in dem er verdrängt, dass er ein Bass ist. Der Gesang hat wieder so etwas völlig unengagiertes … aber ich glaube, hier falle ich gerade auf die Nase … ist das die Dildo-Band? Die mag ich ja irgendwie schon und bin immer wieder beeindruckt, auch wenn ich ihre Sachen selten hören mag.
Okay, zum Glück sind sie’s nicht, den Namen habe ich noch nie gehört – das Stück hat halbwegs potential bei mir, nachdem es jetzt gleich mehrmals lief (aber der Bass bleibt potthässlich).

#6
Der Track hat dann aber wirklich potential – mit den sich überlagernden Stimmen und dem Vibraphon denke ich natürlich sofort an Steve Lehman, dessen Oktett ich im Herbst ja erstmals live sehen konnte – da haben wir uns ja kurz unterhalten. Ich vermute schon, dass das Lehman ist, jedenfalls phantastisches Altsax, tolle Performance aber auch von Drums und Tuba und dem ganzen Ensemble. Fügt sich auch zu den etwas „düsteren“ Tracks, ich kenne wenigstens oberflächlich ja das Umfeld, aus dem das kommt, das klingt für mich irgendwie nach den Neunzigerjahren, aber das mag ein Grund sein, warum mich die damalige Popmusik (von einigen Trip Hop-Acts und ganz am Rande etwas Drum’n’Bass abgesehen) eigentlich nicht interessiert hat. Die Überblendung zum Rapper tut weh … aber gut, das ist mein Problem.

#7
Nicht meins, pardon. Da müsste ich ja noch tanzen lernen, wo kämen wir da hin!

#8
Und da sind wir wieder in den Neunzigern, Grunge-Prog-Jazz oder sowas, wenn jemand so Gitarre spielt, egal wie ohrenbetäubend laut, denke ich immer zuerst: Plastic (bzw. heute müsste man sagen: Fake). Aber gut, wenn nach einer Minute das Gewitter, das gar keins ist, vorbei ist, die Streicher einsetzen … der E-Bass ist hier im Vergleich zum Prog-Track vorhin (#5 meine ich) sehr erträglich, trägt aber zugleich wieder massgeblich zum etwas düsteren Klangbild bei, das mich einfach nicht anspricht. Könnte durchaus auch aus der Zorn-Ecke kommen und mich – am passenden Tag, der diese Woche leider nicht dabei war – einigermassen ansprechen. Also wie bei #5 ein gewisses Potential. Aber mittendrin, wenn’s zerfällt, wird das kurz irgendwie zappaesk, dann die Posaune, die sich natürlich anbietet, um den Kitt zu liefern, zurück vom Zirkus zum recht beschaulichen Rock-Jazz (oder ist das Jazz-Rock?) – kann mir vorstellen, dass es grossen Spass macht, so ein Solo zu spielen, aber es bleibt dabei, alles in allem ist mir das zu disparat und klanglich einfach nicht sehr ansprechend — obwohl mich irgendwie, das freut jetzt den Bandleader gewiss diebisch, der Reichtum an Klängen durchaus Spass macht, die Kuhglocken, das Marimba und all das, und das E-Piano-Solo ist geil, klar, allein schon wegen des Sounds! Fazit: also was jetzt? Ich weiss es selber nicht!

#9
Als ich letzte Woche frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit bis zu #9 kam, war ich hier wohl schon abgehängt … „Speak Low“ schleicht sich ein, worauf denn, auf einem Cello? Dann die Percussion-Breaks, das Wah-Wah-Ding … was ist das überhaupt, Bass, Synthesizer? Gefällt jedenfalls ziemlich gut. Das hat etwas leicht Durchgeknalltes, was bei mir gut reinkommt, z.B. das Orgel-Break … danach kommt die „Speak Low“-mässige Linie nochmal von einem Tenorsaxophon … Gut, aber dennoch auch nicht wirklich meins. Ein Mix aus Crime Jazz, Latin und Filmmusik, irgendwie.

#10
Popeye’s here? Zurück zum Prog-Musical? Ich mag auch hier die Stimme wieder nicht so sehr, das steht halt leider schon ziemlich im Weg. Keine Ahnung, was das ist, aber irgendwie gefällt mir das Arrangement und am Ende die ganze Performance gar nicht mal so schlecht!

#11
Aha, da sind sie ja doch noch, die Dildos höchstselbst … auch hier kommt bei mir erstmal eine gewisse Abneigung hoch, aber das ist wie immer bei dieser Gruppe verdammt gut gemacht, auch die einfachen Elemente (der beinah stupide Beat) sind genau so, wie sie sein müssen, fügen sich perfekt ins Ganze ein. Das Album kenne ich nicht, habe nur die Klassiker aus den Siebzigern lückenlos da … muss ich die drei (?) Nachzügler auch haben?

#12
Okay, das beginnt jetzt direkt mal vielversprechend … die haben gewiss oft Sonny Rollins gehört. Passt zu #2, hat wieder diesen treibenden, etwas atemlosen Swing, über den der Mann am Sax aber in einer Seelenruhe soliert … klingt halbwegs vertraut, aber das mag täuschen. Feines Trompetensolo dann, mit leicht bitterem Ton, der mir sehr gut gefällt. Tolles Klaviersolo dann, nach dem zweiten Sax. Ich frage mich gerade sehr, ob ich hier mal wieder etwas nicht erkenne, was ich eigentlich seit Jahren kenne … aber ich habe spontan überhaupt keine Idee (vermutlich hat @vorgarten da schon am Montag aufgelöst?), obwohl mir die Stimmen der Solisten vertraut vorkommen.

Wird wohl niemanden überraschen, aber das ist klar mein Lieblingstrack bis hierhin, obwohl ich ihn jetzt nicht grossartig oder umwerfend finde, aber ganz gut schon und von der Atmosphäre her sehr stimmig.

#13
Okay, aus dem öd-monströsen Kontext gerissen passt das ganz gut … schon recht toll, irgenwdie! Ich muss dem Album bald mal wieder ein Ohr leihen!

Kann es sein, dass der Leader der grosse Schwachpunkt des ganzen Projekts ist? Denn sein Spiel ist jetzt auch hier nicht gerade das erhebende Element, das dem ganzen vielleicht nochmal mehr Schub geben könnte … andererseits ist das ja irgendwie auch gar kein Jazz und die Soli nur ein Element von vielen in einem Ganzen, das stark auf das Kollektiv abstützt.

Egal, heute passt mir der Track, aber achteinhalb Minuten ist auch was anderes als drei Stunden …

Danke, alles sehr anregend, auch wenn für mich nicht so viel dabei war – gerade das macht es ja auch spannend, wenn man versuchen will, seine Meinung zu den Tracks zu formulieren, zu begründen, warum einen etwas nicht so wirklich anspricht.

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