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na dann…
#1
an diesem stück gibt es sehr viel zu bewundern. wie so vieles hier ist es ausgesprochen produziert, da werden akustische räume auf- und wieder zugeschlossen (z.b. geht was auf für den ersten refrain, mit bigband, ridebecken, dann noch chor, was bei der zweiten strophe beibehalten wird, dann aber vor dem zweiten refrain wieder zusammengefahren wird – gegen jede dramatische logik, sondern einfach nur, um das arrangement spannend, flexibel und unvorhersehbar zu machen), da wird mit latinpercussion, flötensoli, streichern und dem schon benannten alles aufgeboten, was die populäre musik hergibt.
man könnte noch mehr in die details gehen, wahrscheinlich sogar größere arbeiten über diesen kurzen song schreiben, trotzdem mag ich ihn nicht so wirklich, kann ihn höchstens distanziert bewundern. der ganze überschuss wird absurderweise sehr funktional begrenzt, nichts hat wirklich aura, aber man könnte den letztlich bleibenden effekt wahrscheinlich auch mit nur drei instrumenten erzielen (gerüst sind ja text und der ziemlich unflexible beat).
keine ahnung, wer das ist – mein verdacht wäre ein wirklich „informiertes“ arrangement aus den nuller jahren oder noch später, es könnte aber auch etwas solitäres aus den 80ern sein, das damals schon damals distanziert mit 70er-jahre-elementen umgehen konnte.
#2
das wiederum kenne ich, auch wenn ich nicht auf anhieb darauf komme. klassisches bigband-jazz-arrangement, mit angeberischen soli und einer tollen, treibenden rhythm section. trotzdem hat auch das etwas lustvoll überschüssiges, was mich an einen manchmal genialischen, manchmal ziemlich lustlosen arrangeur denken lässt, den wir beide sehr mögen. dann wäre der altsaxofonist wahrscheinlich jemand wie phil woods und der trompeter clark terry. was auch für mich darauf hindeutet, ist der prominente klarinettensound im bläsersatz.
#3
das ist tatsächlich vom besagten arrangeur (vielleicht ist beides sogar vom glechen album?). der jazzscore eine späten broadway-musicals, mit dem original-sänger (der später der buddhistisch inspirierte oberboss der „mad men“ war, oder?). „i believe in you“ ist, wenn man den (hier ironischen) vibrato-kitsch weglässt, ein ziemlich toller song, ich kenne den vor allem von roland kirk (vom DOMINO-album, glaube ich). im arrangement hier ist auch alles drin, was naheliegt und einiges mehr, ohne dass es den kick der nummer stört. aber das erste signal ist und bleibt trotzdem: broadway, was fragen lässt: was ist eigentlich die „jazz version“ daran?
#4
never will i marry, auch ein toller song (auch von loesser), den ich vor allem von helen merrill und (viel cooler) von nancy wilson mag. die sängerin hier macht das gut und dominiert den ganzen unfassbaren aufwand, der um sie herum betrieben wird. ich wage den verdacht: caterina valente?
#5
das kenne ich, aber nur wegen dir (sonst wäre ich niemals darauf gestoßen). hier ergibt sich dann die frage, warum der progressive rock den jazz braucht. das arrangement ist funktional starr, der trademark-bass sehr besonders (und das eigentlich kickende), aber mich kriegt tatsächlich dieses füllende altsax, das für mich überhaupt nicht naheliegt (die drauf- oder eingesetzten streicher schon eher). eine musik der verhärteten muskeln, mit etwas männerschmerz aufgefüllt, fuktioniert eigenartigerweise aber genau, weil es so untänzerisch ist – das sopransax-solo machts halt auch nicht flüssiger. (das ganze arrangement, wie da was zum anderen kommt, könnte man separat davon noch mal bewundern, glaube ich.)
#6
ok, eine aktuelle lieblingsband von mir. das stück war mir schon aufgefallen, aber hier erst höre ich, was da alles drin ist. acht stimmen, die erstmal das spektrum eines akkords ausspielen, computergenerierte schattenklänge darum herum. das nervöse schlagzeug deutet irgendwas anderes an, unterschiedliche zeitwahrnehmungen, die auch schon in der wellenbewegung der bläser (wie die nur den einen ton spielen) liegen. das vibrafon-solo baut dann ordentlich spannung auf, die natürlich nicht gelöst wird. (diese computer-sounds sind echt der wahnsinn, so komplett exakt berechnete kakofonische cluster…). ein drumsolo, in dem man sich so festhört, dass man gar nicht merkt, dass da plötzlich eine basslinie entsteht, die das vibrafon anspielt (und dann noch tuba). der leader soliert, man ist quasi in einem neuen stück – und dann kommt natürlich der hammer, über zwei schritte in der schwarzen popmusik landet man hier:
der titel des stücks hier deutet auf etwas zusammengesetztes hin, das als „trugbild“ einen schlechten ruf hat, weil es keine feste identität anbietet. der titel der originalquelle passt aber fast besser, auch zu deinem mix insgesamt.
#7
schöner übergang in die reine elektronik, obwohl: was ist schon rein. der jazz kommt hier in form der triolischen synthetik-hi-hat. alte synthesizer, tippe auf detroit, mitte/ende 80er? schön, dass das große interesse dieses bfts an überschüssigen arrangements (sag ich jetzt mal so) hier von einer einzigen maschine befriedigt wird. ist super funktional, hat auch schöne details (die gurgelnde begleitung, die flächigen pseudo-streicher, die ihr gewicht ändern), aber um die geht es wohl nicht. funktioniert.
#8
hassmusik für mich. ungerade beats an sich sind noch kein kick, schon gar nicht von so sessionmusikern pedantisch ausgefüllt. noten nach zahlen. die reisebewegung durch ein diskrepantes patchwork schreit auch nach bewunderung, ist auch wirklich irre, aber ich mag’s halt nicht bewundern. grand piano im konzertraum-hall, alte synthesizer, marimba, posaunensolo (dafür muss man dann auch schnell wieder auf 4/4 geradeziehen), neue-musik-einlage (festgeklemmte notenblätter), e-piano-solo, zu dem das schlagzeug wieder das gleiche wie bei der posaune macht. das schwitzt alles ziemlich sportlich und damit möchte ich nicht ins bett gehen.
#9
super. hier haben die sounds, die nicht zusammenpassen, erst mal ein geheimnis. auch wenn die latin-percussion einsetzt: was ist das für ein bass? klingt alles wie ein blaxploitation-soundtrack, ist aber irgendwie krasser, weil es ein anderes soundinteresse gibt. was diese musik will, finde ich nicht interessant, aber die details schon.
#10
weiter geht es mit der großen geste. keine ahnung, wer das ist. mit dieser gesangstradition zwischen soul und broadway habe ich mich bisher zu wenig auseinander gesetzt, das ist jedenfalls näher an shirley bassey und streisand als an motown (oder auch nicht? es hat beides.) das voll-auf-die-glocke-ding darin ist schon toll, da verschwimmen auch die grenzen zwischen vorder- und hintergrund total. absolute dynamite, wohl wahr.
#11
krasser wechsel. alle sounds sind integriert und die höhen und tiefen abgeschliffen, der vortrag ist nicht richtig cool, aber unaufgeregt. klingt nach späten 70ern, frühen 80ern, aufwendige akkordwechsel, die alles irgendwie in schwebe, nicht in bewegung versetzen. beim trompetensolo werde ich wach und kriege eine ahnung, wer/was das sein könnte. eine zusammenarbeit, von der ich erst kürzlich hier erfahren habe, oder?
#12
oh, jazz. toller, cooler, beat, schöne verzahnungen in den intrumenten, schöner einsatz der gesamtbesetzung. altsax klingt nach cannonball, dann wissen andere hier wohl sofort, was das genau ist. das solo ist etwas klischeehaft, das nicht ganz so perfekte vom trompeter mag ich danach etwas mehr. komischer sound des klaviers, live-aufnahme? oh, da kommt noch ein tenor. hört sich auch sehr bekannt an. mobley? die modalen vorlagen werden ziemlich coltranesk bespielt. dann noch ein scheußlich klingendes klaviersolo (ziemlich schön am anfang, dann gehen die ideen aus). der drummer stöhnt zwishendurch, könnte higgins sein. sehr schönes stück.
#13
kenne ich natürlich auch. wo kommt eigentlich dieser generischer beat her, von blakey? elvin? seit ich das hier kenne, frage ich mich, ob ich den song darin berührend oder kitschig finden soll (und hab mich eigentlich für letzteres entschieden). es sitzt alles etwas komisch in der tradition, vor der es sich verbeugt. das sax-solo, das es unbedingt reißen muss, hat keinen einzigen neuen aspekt zu bieten – leute wie courtney pine haben schon das gleiche auf gleiche art und weise zitiert. das arrangement fällt deutlich ab gegenüber sachen, die dieser mix ansonsten versammelt: das klavier muss sich im hall ausbreiten, damit der sound fett wird, auch die orgel füllt nur auf, genauso wie die percussion. der effekt ist gesetzt, die studiomusiker führen aus. beim höhepunkt am ende gehe ich noch mehr auf distanz, weil ich so genau verstehe, wie ich hier fühlen soll. wohlfeiles antirassismus-zitat von malcolm, mit der pointe, dass islam ok ist, was auch immer andere heute darüber denken. dagegen ist nichts zu sagen. und die musik vermittelt auch, dass man gegen sie nichts sagen kann. das istdas abgesichtertste jazzkonzept in diesem bft, obwohl es am politischsten daherkommt.
vielen dank für diesen trip! bin sehr gespannt, was die anderen darin hören.
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