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Zürich, Tonhalle, Grosser Saal – 6.2.
Il Giardino Armonico
Giovanni Antonini Dirigent
Sandrine Piau Sopran
JOSEPH HAYDN
Sinfonie D-Dur Hob. I: 6 «Le matin»
«Berenice, che fai»
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WOLGANG AMADEUS MOZART
Rezitativ «Giunse al fin il momento» und Arie «Deh vieni non tardar» (aus: Nozze di Figaro)
Arie «Non mi dir» (aus: Don Giovanni)
JOSEPH HAYDN: Sinfonie A-Dur Hob. I: 64 «Tempora Mutantur»
WOLGANG AMADEUS MOZART: Rezitativ «Grazie ai numi parti» und Arie «Nel grave tormento» (aus: Mitridate re di Ponto)
Kaum zuhause ging es ans nächste Konzert – das passte natürlich perfekt, denn Il Giardino Armonico wurde einst von Studenten der Mailänder Musikhochschule gegründet. Ich schätze die bisher drei Veröffentlichungen ihres grossangelegten Haydn-Projektes sehr (und hoffe natürlich, dass Antonini und sein Ensemble und vor allem das Label alpha – und nebenbei ich – bis 2032 überleben werden und die Reihe tatsächlich vollendet werden kann), schätze aber auch, was ich bisher von Sandrine Piau gehört habe. Keine Frage, dass ich hin musste, auch in der grössten Erschöpfung. Glücklicherweise hatte ich mir einen Platz in der ersten Reihe gegönnt, links vom Mittelgang und daher nur zwei, drei Meter vor Piau (und Antonini direkt daneben auf dem Podest). Die Haydn-Symphonien wurden mit viel Verve angegangen, ausser den beiden Cellisten und dem Kontrabass (einer, aber ein toller!) standen alle Musiker, am hinteren Rand der Bühne waren ein paar Stühle aufgestellt. Für Hob. I: 6 war das Orchester sehr klein besetzt, später wuchs und schrumpfte es mehrmals, doch behielt es stets die kristalline Klarheit, mit der die kleinsten Details hörbar gemacht wurden, trotz der teils wohl recht raschen Tempi (ich bin auch bei Haydns Symphonien noch nicht weit, das ist ja hier auch bekannt). Dann die lange grosse Arie von Haydn zum Abschluss vor der Pause mit einer sehr eindrücklichen Piau.
Mit zwei Mozart-Arien (und einem neuen Kleid) ging es nach der Pause weiter, zuerst die tolle Arie der Susanna aus „Le Nozze di Figaro“, dann aus Don Giovanni „Non mi dir“ von Donna Anna – und das gefiel mir fast noch besser. Was für eine Stimme, was für eine Kontrolle! Und wie toll, das aus nächster Nähe hören zu können, völlig ungefiltert und auch ziemlich laut. Dazu ein Wort: im grossen Tonhallesaal gehen Ensembles mit alten Instrumenten wohl etwas unter, bisher hatte ich aber zum Glück stets die Geistesgegenwart, mir bei solchen Konzerten recht teure Plätze ganz vorne zu leisten; das ist jeweils die dritte von Sechs Preiskategorien, ab Reihe 4 oder 5 beginnt die erste Kategorie, im Regelfall nehme ich die billigsten Karten auf der seitlichen Galerie, wo man aufstehen (sonst sieht man nichts, was auch okay ist) und gesetzt der Laden ist nicht voll (also praktisch immer) auch etwas herumspazieren und sich da hinstellen kann, wo man die beste Sicht hat. Aber gut, Il Giardino Armonico legte dann mit der Sinfonie Hob. I: 64 los, die ich nochmal ein ganzes Stück interessanter fand als die erste frühe. Und natürlich musste auch Piau nochmal ran, mit einer grossen Arie aus der mir noch unbekannten Mozart-Oper „Mitridate“. Danach gab es zwei Zugaben mit Piau, was die erste, auf deutsch gesungene, war habe ich leider vergessen (Piau sagte sie an bzw. sagte irgendwas, aber ich kannte die Arie bzw. das Stück nicht und habe keine Textbausteine mehr präsent, die ich suchen könnte). Als zweites gab es dann – Piau sagte nur: „Barbarina“ und strahlte! – die kleine, bezaubernde Arie der Barbarina aus „Le nozze di Figaro“, „L’ho perduta“. Damit endete ein beeindruckendes Konzert mit einer stillen Note – oder mit einem plötzlichen Abbruch. Vielen Dank, gerne bald wieder!
In der NZZ gab es eine nicht sehr lesenswerte Kritik:
https://www.nzz.ch/feuilleton/sandrine-piau-und-il-giardino-armonico-warum-schreit-berenice-auf-ld.144238
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Zürich, Tonhalle, Grosser Saal – 10.2.
Tonhalle-Orchester Zürich
Michel Tabachnik Leitung
Katia und Marielle Labèque Klavierduo
Clara Mouriz Mezzosopran
PHILIP GLASS: Four movements for two pianos
FRANCIS POULENC: Konzert d-Moll für zwei Klaviere und Orchester
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MANUEL DE FALLA: El sombrero de tres picos (Der Dreispitz)
Die Woche endete dann mit dem zweiten Konzertbesuch, den ich auch geplant hatte, um endlich mal den neuen und schon wieder abtretenden Chefdirigenten der Tonhalle, Lionel Bringuier zu hören. Die Labèques waren mir bis dahin unbekannt, das wird sich nach diesem fulminanten Auftritt ändern. In High Heels, für die man einen Waffenschein benötigt, kommen die beiden auf die Bühne und spielen zunächst das vierteilige Opus von Glass – äusserst mittelmässige Musik, nichtsdestotrotz brilliant präsentiert. Mittelmässig, weil ich öfter mal dachte: das klingt jetzt so, wie wenn einer etwas zu oft das „Köln Concert“ angehört hat und „sowas“ jetzt mal rasch komponiert. Geht nirgends hin, ist aber auch bei weitem nicht insistierend genug, als dass es jemals wirklich interessant würde. Aber gut, es klingt ganz nett, Pop-Klassik halt – kommt natürlich super an, das Publikum tobt, die Schwestern gehen nach hinten und wieder nach vorn und wieder nach hinten pp.
Dann das Konzert von Poulenc – mit relativ kleinem Orchester, ohne Umbau, die Bühne um die beiden Flügel herum immer noch leer, das Orchester dahinter. Am Pult also Tabachnik, ein mir völlig unbekannter, wie ich las einst von Karajan geförderter, auch nicht mehr so junger Dirigent. Ich weiss nicht, was ich von dem Stück halten soll, manche Passagen finde ich spitze, anderswo höre ich abgehangenes neoklassizistisches Zeug wie bei Stravinsky … aber die Labèques ficht das nicht an, in den leisesten Passagen wie im lauten Tastenlöwensteinwaydonner machen die eine souveräne Figur. Das Orchester spielte mit Verve, das Solocello im Flageolett war grossartig, anderes da und dort auch, aber beim Zusammenspiel schien es manchmal etwas zu hapern. Das fiel umso mehr auf, als die Labèques mit selbstverständlicher Souveränität aus der perfekten Synchronizität in leichte Versetzungen und wieder zurückfinden konnten – schon bei Glass war das sehr faszinierend zu beobachten.
Nach der Pause dann Falla – ein riesiges Orchester (acht Kontrabässe – die lagen bei Glass noch wie gestrandete Wale in der hintere Ecke der abgestuften Bühne herum), sehr farbig, zupackend, mitreissend. Die Mezzosopranistin Clara Mouriz stand für den ersten Auftritt mitten im Orchester zwischen den Celli und den Bratschen (die Geigen sassen nebeneinander links und mittig, daneben die Bratschen, die Celli vorne am Bühnenrand), für den zweiten dann am Geländer der Galerie hinter der Bühne – das war alles ganz gut gemacht, aber weder musikalisch noch interpretatorisch wirklich zwingend. Und am Ende brauche ich von Falla doch eher etwas Klaviermusik und vielleicht Rubinsteins „Noches“. Uraufgeführt hatte das Werk in der Tonhalle übrigens in
Auszügen Igor Markewitsch im Jahr 1952, zuletzt gespielt wurde es vor 24 Jahren under Vladimir Fedoseyev … ich glaube das ist ein Intervall, das man in etwa beibehalten kann, da gibt es doch interessanteres, wenn man denn schon mal Musik aus dem 20. Jahrhundert programmieren mag.
Hier gibt es eine Besprechung eines der anderen Auftritte (mit Ravel statt Glass und ohne Falla – es gab vier Konzerte, ein kurzes über Mittag, das unten besprochene und zwei „richtige“ Abendkonzerte, von denen ich eines gehört habe):
https://www.nzz.ch/feuilleton/hazel-brugger-in-der-tonhalle-keine-angst-vor-fallenden-kronleuchtern-ld.144867
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