Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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Opernhaus Zürich, 7. Dezember 2016:
Don Carlo
Oper von Giuseppe Verdi (Mailänder Fassung in vier Akten von 1884)

Musikalische Leitung Fabio Luisi
Inszenierung Sven-Eric Bechtolf
Bühne Rolf Glittenberg
Kostüme Marianne Glittenberg
Lichtgestaltung Jürgen Hoffmann
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Janko Kastelic

Elisabetta di Valois Anja Harteros
Filippo II René Pape
Don Carlo Ramon Vargas
Rodrigo, marchese di Posa Peter Mattei
La principessa d’Eboli Marina Prudenskaya
Il grande inquisitore Rafal Siwek
Un frate Ildo Song
Tebaldo Soyoung Lee
Voce dal cielo Sen Guo
Il conte di Lerma Otar Jorjikia
Deputati fiamminghi Andrzej Filonczyk
Dmytro Kalmuchyn
Huw Montague Rendall
Dimitri Pkhaladze
Stanislav Vorobyov
Ildo Song

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Zusatzchor der Oper Zürich
SoprAlti
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Solo-Cello Bruno Weinmeister

Grossartige Sache, auch wenn es praktisch keine Regie gab (man stand halt da und sang, ruderte mal etwas mit den Armen … passt leider zu meinem bisherigen Gesamtbild von Bechtolfs Arbeit). Dafür eine tolle Bühne, die mit den Kostümen zusammen ein feines Ensemble bildete: scharfe Kontraste, ganz wie sie der Oper entsprechen (Rolf und Marianne Glittenberg, mehr von ihnen hier: http://www.nzz.ch/article9YO7S-1.331306). Aber was für ein Sänger_innenfest! Einzig Don Carlo war wohl etwas weniger grossartig als der ganze Rest der bis in die kleinen Rollen hervorragend besetzten Wiederaufnahme. Nicht nur die versammelte Riege auf der Bühne, auch das Orchester war grossartig aufgelegt. Prudenskayas Eboli beeindruckte (ging aber im Terzett – im zweiten Akt dieser Fassung, glaube ich – in den beiden Männerstimmen unter, im Quartett mit Elisabetta später dann aber nicht), ihre Arien und sonstigen Solo-Parts waren wirklich klasse. Matteis Posa war ebenso toll, vermutlich von den Männern der beeindruckendste an diesem Abend. Und klar, Harteros ist derzeit wohl wirklich nicht zu toppen. Ihre Stimme als solche, ihr Pianissimo, die gehaltenen Noten … wunderbar. Pape als alter König war ebenfalls gut, ganz besonders in der Solo-Szene zu Beginn des dritten Aktes. Auch Siwek (der Inquisitor) und Song (der Frate) waren sehr gut. Vargas in der Titelrolle hätte wohl in einem etwas weniger glänzenden Ensemble eine sehr gute Figur gemacht, aber in diesem Umfeld reichte es halt nicht immer – allerdings fiel er auch keineswegs in einem Masse raus, als dass man das ständig gedacht hätte, auch er hatte sehr gute Momente.

Allerdings ist wirklich zu bedauern, dass man den ersten Akt (Fontainebleau) wegliess – es macht den Plot eigentlich unverständlich. Nichtsdestotrotz ist diese Oper inzwischen eine meiner allerliebsten. Und ich sehe sie am 1. Februar in der Mailänder Scala gleich noch einmal – in der vollständige fünf-aktigen Fassung dann! (Bei der – anscheinend rundum weniger gelungenen – Erstaufführung dieser Inszenierung gab man vor ein paar Jahren wie es scheint die fünf-aktige Version und Zubin Mehta stand am Pult, das musste nicht sein: http://www.nzz.ch/versteinert-vor-angst-1.15435684)

: . : . : . :

Opernhaus Zürich, 21. Dezember 2016:

Die Entführung aus dem Serail
Oper von Wolfgang Amadeus Mozart

Musikalische Leitung Maxim Emelyanychev
Inszenierung David Hermann
Bühne Bettina Meyer
Kostüme Esther Geremus
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreinstudierung Jürg Hämmerli
Sound-Collagen Malte Preuss
Dramaturgie Beate Breidenbach

Bassa Selim Sam Louwyck
Konstanze Olga Peretyatko
Blonde Claire de Sévigné
Belmonte Pavol Breslik
Pedrillo Spencer Lang
Osmin Nahuel Di Pierro
Janitscharen Katarzyna Rzymska, Bettina Siegfried, William Lombardi, Michael Schwendinger

Orchestra La Scintilla
Zusatzchor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Nachdem ich im November krankheitshalber eine teure Karte hatte verfallen lassen, kaufte ich mir für die Dernière dieser Neuinszenierung noch eine billige (stellte sich aber als sehr guter Platz heraus … muss mir langsam merken, welche billigen Plätze wirklich was taugen), denn ich wollte Peretyatko doch noch sehen – und hörte auch im Pausengespräch mit einem älteren Herrn in der Tonhalle (der seine Abo-Karte für den „Serail“ weitergereicht hatte, weil ihm die Kritiken die Lust verdarben), dass die Inszenierung doch ganz in Ordnung sein soll. Der erste Schreck war die Ankündigung, dass Peretyatko erkältet sei, aber singen werde, lediglich um etwas Nachsicht bitte. Das stellte sich zum Glück als überflüssige Warnung heraus – es dauerte wohl da und dort ein paar Töne, bis ihre Stimme frei war (Järvi hatte im Konzert in der Tonhalle neulich übrigens mittendrin einige Male gehustet, zum Schluss sogar mit Taschentuch, während er einhändig weiterdirigiert).

Was nun die umstrittene – im Tagesanzeiger verrissene, in der NZZ diskutierte – Inszenierung betraf: die Grundidee ist es, die Handlung als innere im Kopf von Belmonte darzustellen, als Eifersuchtsdrama, als Wahn mit Doppelgängerpaar (Pedrillo und Blonde) und einem stummen Verführer, sehr toll von Sam Louwyck gespielt, dieser Bassa Selim, der sich nachts um Belmonte schlängelte, jeder Berührung auswich bzw. sich zurückstossen liess, der aber auch zumal fürs Publikum sichtbar das Bett mit der angebeteten Konstanze teilte, aber ob sie sich ihm nun hingab oder nicht, bleibt natürlich unklar, denn wir sind ja nur im Kopf von Belmonte. Der Rahmen für das Drama um Belmontes krankhafte Eifersucht ist ein schickes Restaurant, in dem dieser zum Auftakt seiner Konstanze gleich mal vorwirft, ihn zu betrügen (so wird auch vom Sinn her denn einiges umgestellt, die grosse „Martern“-Arie von Konstanze zumal, während anderes dann doch nicht mehr so ganz passt, Blondes „Zärtlichkeit und Schmeicheln“-Arie etwa) – und in dem Osmin quasi als Personifizierung der Ängste des Belmont den Oberkellner mimt. Angst vor dem Verlust, Angst vor der gesellschaftlichen Blamage (die tritt natürlich umgehend ein, denn Konstanze schliesst sich in der Toilette ein und die ganze Bude glotzt), Angst auch vor der „Abweichung“: in der „Vivat Bachus“-Szene wird es später handfest homoerotisch zugehen zwischen Pedrillo und Osmin. Zudem ist anzufügen, dass fast komplett auf die gesprochenen Dialoge verzichtet wurde, dass zwischen einigen Nummern dafür eine leise pochende oder sirrende Geräuschkulisse eingebaut wurde, die wohl das Blut in Belmontes Kopf darstellen sollte, seine innere Erregung.

Am Pult der Scintilla – dem HIP-Ensemble des Opernhauses, das ich zum ersten Mal in Aktion erlebte – stand Maxim Emelyanychev, der für den schon während der Probenarbeit krankheitshalber ausgefallenen Teodor Currentzis einsprang (ihn habe ich bisher leider immer verpasst, aber sowohl hier wie auch bei Shostakovich, s.u., gab es würdigen Ersatz). Das Orchester spielte formidabel auf (im Gegensatz zum Verriss im Tagesanzeiger hörte ich keinesfalls Patzer am laufenden Band) und ich fand es überhaupt klasse, eine Oper mit solcher Begleitung live zu hören, kannte ich bisher ja nur auf CD und das ebnet im Vergleich ja schon sehr ein.

Peretyatko als Konstanze mag da und dort mit ihrer eher leichten Stimme tatsächlich an die Grenzen gekommen sein, ich fand sie allerdings sängerisch wie darstellerisch überzeugend. Pavol Breslik als Belmonte gefiel mir gut, aber Spencer Langs Pedrillo war eine Spur besser, intensiver, direkter – letzteres Prädikat passt auch auf Claire de Sévignés Blonde. Es ist, als hätte das „niedere“ Paar sich weniger mit dem Ballast der Interpretation zu befassen, schliesslich waren sie ja nur Doppelgänger, der Belmont’schen Phantasie entsprungen. Nahuel Di Pierro hat nicht ganz die nötige Tiefe für Osmin – aber da bin ich vorbelastet, ausser Gottlob Frick kann keiner die Rolle wirklich perfekt singen, glaube ich.

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Opernhaus Zürich, 27. Dezember 2016:
Lady Macbeth von Mzensk
Oper von Dmitri Schostakowitsch

Musikalische Leitung Vasily Petrenko
Inszenierung Andreas Homoki
Bühne Hartmut Meyer
Kostüme Mechthild Seipel
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Dramaturgie Claus Spahn

Katerina Ismailowa Gun-Brit Barkmin
Boris / Geist des Boris Pavel Daniluk
Sinowij Oleksiy Palchykov
Sergej Misha Didyk
Axinja Kismara Pessatti
Sonetka Deniz Uzun
Zwangsarbeiterin Sen Guo
Der Schäbige / Kutscher Michael Laurenz
Pope / Alter Zwangsarbeiter Wenwei Zhang
Polizeichef / Wächter / Sergeant Valeriy Murga
Verwalter / Polizist Dimitri Pkhaladze
Hausknecht Dmytro Kalmuchyn
Lehrer Trystan Llŷr Griffiths
1. Vorarbeiter Michael Laurenz
2. Vorarbeiter Gyula Rab
3. Vorarbeiter Huw Montague Rendall
Mühlenarbeiter Robert Weybora

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Gestern gab es schliesslich, als krönenden Abschluss eines enorm intensiven Musikjahres (klick), das auch ein kurzes aber tolles Opernjahr war – das erste überhaupt nach fast 20 Jahren Pause – den krönenden Abschluss mit Schostakowitschs „Lady Macbeth“.

Barkmin in der Titelrolle war schon 2013 dabei, als die Inszenierung erstmals in Zürich gezeigt wurde (da stand Currentzis am Pult): http://www.nzz.ch/feuilleton/buehne/scharf-gewuerzt-1.18060319. Bei dieser letzten Wiederaufnahme engagierte man Vasily Petrenko, und unter seiner Leitung war das Orchester einmal mehr phänomenal. ich hatte einen teuren Platz mit perfektem Blick auf die Bühne und auf das Orchester und Petrenko, der mir öfter wie ein Magier vorkam (obwohl ich noch nicht mit Schostakowitschs Symphonien angefangen habe, muss ich mir Petrenko da mal merken). Ich habe keine Worte für das Gehörte, aber es war unglaublich intensiv, die ganzen kleineren Rollen um Barkmin herum waren ebenfalls sehr gut besetzt, besonders gut gefiel mir der dunkle Mezzo von Deniz Uzun, aber auch Wenwei Zhang als Pope war klasse, ebenso Valeriy Murga als Polizeichef … aber auch die Rollen des Sergej, des lüsternen Schwiegervaters etc. waren bestens besetzt. Im Orchester gab es fünf oder sechs Schlagzeuger, dazu ein über dem Graben positionierter weiterer Mann am Xylophon. Nicht nur die Blechbläser (mit Tuba) hatten viel zu tun, auch im Holz gab es immer wieder solistische Ausflüge (von den drei Flöten und Piccolos, der Bassklarinette, der ersten – von drei – Klarinetten, den Fagotten oder dem Kontrafagott). Eine zupackende, handgreifliche, manchmal vulgäre Musik, die noch gesteigert wird durch die Banda, die in Clown-Kostümen auf der Bühne mitten im Geschehen positioniert war, geleitet (auf der Bühne) von Michael Laurenz, der eine Doppelrolle als Kutscher und als der Schäbige übernahm, in einem Kostüm, das an Kubricks „A Clockwork Orange“ erinnerte. Ganz gewiss nichts für feine Gemüter (die beiden älteren Herren neben mir ganz vorne in der Loge kamen nach der Pause nicht mehr, obwohl ihnen gerade die Sexszenen hervorragend zu gefallen schienen … vielleicht hatten sie schon genug nach den ersten fünf Bildern/zwei Akten).

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