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Wie versprochen hier meine ersten Kommentare. Mit heißer Nadel gestrickt, ohne ausreichende Vorkenntnisse der Materie, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen und unvollständig.
Teil 1
#01
Da hangelt sich einer mehr schlecht als recht durch ein mir unbekanntes Thema, schrammt knapp an den Tönen vorbei und gerät auch manchmal etwas aus dem Tritt. Klingt mehr für sich selbst gespielt als fürs Publikum. Ich finde das als Intro ganz reizvoll. Nicht perfekt, etwas herumstochernd und vor allem macht es neugierig darauf, was darauf folgt. Meine Befürchtungen gehen in Richtung krachigen Free Jazz, bei dem ich nicht vorne oder hinten und oben oder unten unterscheiden kann.
#02
Aber diese Erwartung wird hier völlig über den Haufen geworfen. Das klingt wie von einer Platte, die „Jazz Party!“ oder so heißt. Soulig, gospelig, da klatscht man gerne mit. Hat Humor, macht mir Spaß und ist bei aller Leichtigkeit auch ein tolles Stück Musik.
#03
Das fängt auch so an, als sei es von der imaginären Jazz-Compilation „Jazz Party!“ mit knapp gekleideten Frauen und Cocktailgläsern auf dem Cover. Aber dann wird es doch ein ganzes Stück more sophisticated. Eigenartige breaks mit Tempowechseln, Stimmungsumschwüngen und Akzentverschiebungen auf andere Instrumente, schwer arrangiert und ich vermute mal, dass der Arrangeur hier auch der leader ist? Späte 60er nehme ich an, irgendwie so die Richtung Creed Taylor meets Burt Bacharach. Oder Quincy Jones. Oder Lalo Schifrin. Sind sie sicher alle nicht, aber ich verorte das in dieser Sparte.
#04
Und dann geht es wieder ganz zurück zu den roots mit Humtata-Rhythmus und jungle-growl Trompete. Klingt fast wie eine Straßenkapelle, kein Klavier, ganz einfacher Bass. Hört man da ein bisschen ein Banjo oder eine Gitarre, das/die den Beat markiert? Gefällt mir in dieser Einfachheit sehr gut und ich würde dafür gerne einen Euro springen lassen. Ich vermute mal, dass das postmodern um die Ecke gedacht und neueren Datums (nach 1980 …) ist. Rahsaan Kirk könnte sowas ähnliches auch gespielt haben (ist er aber natürlich nicht) mit seiner song & dance man Attitude.
#05
So, jetzt aber Spaß beiseite, denn das hier ist ernst gemeinter und ebenso zu nehmender Jazz. Da muss ich passen, kann mich nach #02 – #04 nicht erreichen.
#06
Das ist dann schon wieder leicht verdaulich für mich. Klingt anfangs wie ein Bebop- oder Hard Bop-Thema. Das geht für mich erst mal gut los, das Thema geht gut ins Ohr. Dann finde ich die Abfolge der Soli etwas – naja – stereotyp. Jeder kommt halt mal dran und am Ende wieder das Thema. So ist das halt im Jazz. Ich will hier jetzt gar nicht über die Leistung der einzelnen Solisten reden, dazu höre ich das gerade viel zu oberflächlich und sollte mir deswegen jedes Urteil verkneifen. Es ist ja sogar ganz nett, aber im Vergleich finde ich das in seiner Art sogar klischeehafter als die Stücke #02 – #04.
#07
Mysteriös und unheimlich ist diese Welt, durchzogen von Geistern und geheimnisvollen Kräften, die aus dem Unsichtbaren Macht über uns haben. Ich mag das ganz gerne, es erschafft mehr eine Athmophäre, schwebt mehr im Raum als das es eine feste Form annimmt. Eine Geisterbeschwörung. Wohl nicht AEOC, wohl auch nicht Sun Ra. Ich habe mal eine CD von Tony Scott (Music For Zen Meditation) buchstäblich auf der Straße gefunden. Ich weiß, es ist weit hergeholt, aber in seiner meditativen, schwebenden Art erinnert mich das ein wenig daran.
#08
Auch hier zunächst Atmosphäre vor Form, die Trompete formt schon eine Melodie, aber dennoch bleibt das schwebend, kein beat, das ist eher so ein pulsierendes Gewimmel. Entwickelt dann eine gewisse Dramatik, wird dichter und intensiver. Bei ca. 4:15 gibt es dann einen Bruch, eine Metamorphose, und das nimmt viel klarere Formen an. Das ist ein sehr schönes Spiel mit Unklarheit, Erwartung, Spannung und Auflösung. Klar ist hier die majestätische Trompete der Star, für die die Band dem geeigneten Teppich webt. Ist mindestens aus den 80ern oder 90ern, vermutlich auch später. Like!
Bis hier ein für mich sehr reizvoller Mix, auch wenn mir #05 und #06 persönlich nicht so zusagen. Das gehört mit dazu und sorgt auch für etwas Kontrastprogramm. In die weiteren Stücke habe ich schon mal oberflächlich reingelauscht. Bleibt spannend! Weitere Rückmeldungen kann ich voraussichtlich in dieser oder der kommenden Kalenderwoche in Aussicht stellen.
Nichts erkannt.
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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.” (From the movie Sinners by Ryan Coogler)