Antwort auf: Lesefrüchte

#10012339  | PERMALINK

hal-croves
אור

Registriert seit: 05.09.2012

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Zwei Welten

[Spalte 1:] Ich rufe das edle Weib, das mit mir nach den Sternen greift, mit mir jauchzt und schafft, mit mir steigt und fällt. Ich rufe das stolze, echte Weib, das hoch über dem Alltag schreitet, ausschließlich eigenen Gesetzen folgt, groß und heiß empfindet. Ich rufe das Weib, das mir Hort und Auflösung sein soll, Dienerin und Gebieterin sein will. Diese Worte sind an 25- bis 32jährige schöne Damen der exklusiven Kreise gerichtet, die sich wie ich nach himmelhoher, abgrundtiefer, dämonischer Wesenseinheit sehnen. Pekuniäre Tendenzen ausgeschlossen. Antworten erbittet ein vornehmer Mann (Zweiunddreißiger) unter »Zerrissene Ketten«

[Spalte 2:] Gesucht wird für einen feschen, intelligenten, 37jährigen Herrn (unschuldig geschieden), einer angesehenen isr. industriellen Familie entstammend, ein wohlerzogenes Mädchen aus feiner israelitischer Familie, von schönem Exterieur und Statur. Nachdem derselbe das von ihm bisher geleitete große, industrielle Unternehmen seines Vaters in der nächsten Zeit übernehmen soll, ist auch die entsprechende Mitgift erforderlich. Nur ernstgemeinte, direkte Anträge werden berücksichtigt. Zuschriften erbeten unter »Gut versorgt« ….

Der Hinterteil besteht aus zwei Partien. Aber nachdem der eine das Unternehmen übernehmen soll und der andere nur nach den Sternen greifen will, so dürfte die Wahl nicht schwer fallen. Um ganz ehrlich zu sein, muß ich darauf aufmerksam machen, daß ich die Chiffre »Gut versorgt« aus einem andern auch nicht schlechten Unternehmen übernommen habe. Ich glaube aber, daß sie auch hier zutrifft, und jedes anständige Mädel, das nicht gerade eine dämonische Kettenzerreißerin sein will, wird wissen, wie sie zu wählen hat. Der links ist interessant, aber kein Verkehr. Wenn mir die beiden Herren ihre Phot. überlassen wollten, ich würde diese auch gern nebeneinander veröffentlichen. Sollten sie einander ähnlich sehen, so würde ich dennoch den Rat geben, rechts zu gehen und auf abgrundtief nicht hereinzufallen.

(Die Fackel: Nr. 387-388, 17.11.1913, S. 39)

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=