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  • #1024247  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

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    PET SHOP BOYS – Nightlife (1999)

    „Könnte auch von Olli P. sein“, sagte eine Freundin, als damals, Ende 1999, „Happiness Is An Option“ mit seinem markanten, aufdringlichen, nervenden, von einem Frauenchor geträllerten „It is not e-he-he-sey“ aus meinen Boxen tönte. Und das war keineswegs anerkennend gemeint. Mein Argument, dass Benjamin von Stuckrad-Barre „Nightlife“ im ME immerhin als das beste Album des Jahres benannt hatte – wegen unserer gemeinsamen Begeisterung für Oasis hielt ich ihn seinerzeit für unfehlbar – zog nicht sonderlich. Es war im Nachhinein betrachtet auch kein gutes Argument, aber zu mehr war ich mit 15 Jahren noch nicht im Stande. Fest steht: das Album war anders als alles, was man von den Pet Shop Boys gewohnt war. Doch es war alles andere als schlecht.

    Mit „For Your Own Good“, dem Opener, konnte man bereits erahnen, was einen im Folgenden erwarten würde: mehr Beats, mehr Disco als auf dem Vorgänger „Bilingual“ und eine Platte, bei der viele Elemente dem Zeitgeist entsprachen. Dabei war das alles nicht besonders innovativ, dafür aber streckenweise sehr gut umgesetzt.

    Es folgen gleich zwei weitere Highlights, ähnlich gut tanzbar, mit „Closer To Heaven“ und „I Don‘t Know What You Want But I Can‘t Give It Anymore“. Doch „Nightlife“ ist keine reine Disco-Platte. Nach dem fulminanten Auftakt folgt das bereits erwähnte „Happiness Is An Option“ ist ein Midtempo-Song mit Sprechgesang und mit eben dem gewöhnungsbedürftigem Gesangs-Element. Ok, aber nicht berauschend.

    „You Only Tell Me You Love Me When You‘re Drunk“ gehört für viele zum Besten, was die Pet Shop Boys gemacht haben. Und das ist gut nachvollziehbar, es berührt textlich wie musikalisch mit seiner markanten, gesampelten Gitarrenmelodie. Hieran folgt das getragene, von der Melodie nicht sehr abwechslungsreiche, dafür aber atmosphärische „Vampires“, nach dem es mit „Radiophonic“ wieder etwas temporeicher und Beat-lastiger wird.

    Leider hält die zweite Hälfte nicht das Niveau der ersten, es geht hier doch ziemlich durchwachsen zu. Getrost sparen können hätte man sich „The Only One“, zu dem es nicht viel zu sagen gibt, außer eben, dass es belanglos ist. Glücklicherweise macht „Strange Boy“, fast ein richtiger Gitarren-Song, dies schnell wieder vergessen, um danach mit In Denial, dem Duett mit Kylie Minouge, das zwar eine interessante Geschichte erzählen mag, ansonsten aber ziemlich langweilig ist, das Niveau wieder deutlich zu senken. „New York City Boy“ ist dagegen wieder ein gelungener, fast klassischer Pet-Shop-Boys-Discohit und Single-Erfolg. Abschließend dann das ruhigere „Footsteps“, wiederum kein Highlight. Die Strophen sind melodisch noch ganz nett, der Refrain dafür aber ziemlich nervig.

    „Nightlife“ ist eine heterogene und abwechslungsreiche, wenn auch in der zweiten Hälfte etwas abfallende Platte, die zumindest drei ziemlich schwache Songs beinhaltet, aber auch mit einigen absoluten Klassikern aufwarten kann. Die Pet Shop Boys haben sicher im gesamten bessere Platten gemacht. Dafür ist Nightlife ein Album, das man auch nach 14 Jahren gerne noch auflegt. Und das ist ja auch schon mal was.

    ***1/2

    Titelliste:

    01.For Your Own Good
    02.Closer To Heaven
    03.I Don’t Know What You Want But I Can’t Give It Any More
    04. Happiness Is An Option
    05.You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk
    06.Vampires
    07.Radiophonic
    08.The Only One
    09.Boy Strange
    10.In Denial
    11.New York City Boy
    12.Footsteps

    Sterne-Thread

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    #1024249  | PERMALINK

    friedrich

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    McGeadyPET SHOP BOYS – Nightlife (1999)

    Ich kenne NIGHTLIFE nicht – oder genauer: Ich kenne nur die Singles NEW YORK CITY BOY und YOU ONLY TELL ME …. Ersteres finde ich mit seiner augenzwinkernden 70ies-Village People-Studio 54-Nostalgie sehr witzig. Es gibt ja auch eine lustige Cover-Version/Parodie von den Berlin Mitte Boys. Bei YOU ONLY TELL ME … ist immerhin der bandwurmartige Titel toll. Fast schon eine Selbstreferenz der PSB – man denke nur an THIS MUST BE THE PLACE I WAITED YEARS TO LEAVE und HOW CAN YOU EXPECT TO BE TAKEN SERIOUSLY? Die Titel der PSB-Alben hingegen bestehen ja nie aus mehr als nur einem einzigen Wort.

    Ich finde es auf jeden Fall schön, dass hier ein PSB-Album wiedergehört wird. Denn manches von denen ist heute ja schon klassisch. Ich glaube ich werde demnächst mal was zu meinem PSB-Lieblingsalbum BEHAVIOUR schreiben. Das ist sogar schon 23 Jahre alt.

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #1024251  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    Soft Cell – NON-STOP EROTIC CABARET (1981)

    Wenn man 1981/82 das öffentlich-rechtliche Radio als Tagesbegleitprogramm laufen ließ, war eines nicht zu vermeiden: Ob man wollte oder nicht, hörte man im Laufe des Tages mindestens einmal TAINTED LOVE von Soft Cell. Ursprünglich ein obskures von Gloria Jones gesungenes Northern Soul-Stück, wurde die Synthpop-Coverversion von Soft Cell ein Riesenhit und brannte sich in die Erinnerung einer ganzen Generation als typisches Stück der 80er Jahre ein. Keine Ü40 Party kommt heute ohne TAINTED LOVE aus und Soft Cell werden oft ausschließlich mit ihrem größten Hit verbunden, auch wenn sie wenig später mit SAY HELLO, WAVE GOOD BYE noch einen weiteren Hit hatten.

    Das tanzbare TAINTED LOVE und die melodramatische Ballade SAY HELLO … sind durchaus typisch für Soft Cells Debut-Album, das beide Stücke enthält. Aber NON-STOP EROTIC CABARET bietet noch andere Facetten, als diese beiden Hits vermuten lassen. Man kann sie vorschnell als leichtgewichtigen Chart-Pop abtun, aber im Zusammenhang des Albums erscheinen diese Stücke in etwas anderem Licht.

    Sänger Marc Almond und Instrumentalist Dave Ball teilten eine gemeinsame Leidenschaft für elektronische Popmusik einerseits und Soul andererseits. Bei Almond kam noch seine Begeisterung für Dusty Springfield, Jacques Brel und Liza Minelli hinzu und wie diese liebt auch er den großen Auftritt. Der Gegensatz zwischen der kühlen und reduzierten Elektronik von Dave Ball und dem melodramatischen, von Gefühlen überschäumenden Gesang Marc Almonds macht einen großen Teil des Reizes der Musik von Soft Cell aus. Und dann gab es da noch Almonds Lust, in den Schmuddelecken menschlicher Gefühle, Leidenschaften und Abgründe zu wühlen: Hier fand er die Themen der meisten Songs.

    Mit FRUSTRATION beginnt EROTIC CABARET sehr plakativ: Ein kleiner Spießer kotzt sich über sein langweiliges Leben aus und träumt davon, mal so richtig über die Stränge zu schlagen: „Experiment with cocaine, LSD and set a bad bad example / Live a little, run a harem, be a tiger / Meet Bo Derek and be her Tarzan“. Das ist in seiner übertriebenen Klischeehaftigkeit schon wieder lustig – und es gibt das Thema vor: Auf EROTIC CABARET spielen sich lauter kleine Dramen zwischen Versuchung und Moral, Lust und Sünde ab und nicht alles davon ist geeignet für das Tagesbegleitprogramm. Das laszive SEEDY FILMS führt uns erst in ein Kino im Bahnhofsviertel und dann zum Telefonsex („Phone me tonight / And maybe we can talk dirty“) und bei dem aggressiven SEX DWARF brechen dann alle Dämme und die erotischen sado-maso Fantasien werden offen ausgelebt: “I would like you / On a long black leash / Walk my little doggy / Walk my little sex dwarf“ und dazu knallt die Peitsche. BEDSITTER beschreibt den tristen Alltag eines Nightlife-Süchtigen und SECRET LIFE handelt von Doppelleben und Erpressung. TAINTED LOVE und SAY HELLO … sind in diesem Sittengemälde von verbotener oder unerwiderter Liebe und sexueller Abhängigkeit nur zwei weitere Geschichten. EROTIC CABARET enthält lauter kleine Synthpop-Ohrwürmer, in denen sich aber Abgründe verbergen. Sicher ist es auch das Spiel mit dem Voyeurismus und den geheimen Fantasien des Hörers, die gezielte Provokation, die das Album damals so verführerisch machte.

    EROTIC CABARET wurde in kürzester Zeit mit teilweise geliehenem einfachstem Gerät aufgenommen. Der etwas billig klingende elektronische Sound wirkt mit seinem Tuckern, Zischen und Fiepen aus heutiger Sicht schon wieder charmant und originell und passt gut zu der Rotlichtviertel-Athmosphäre, in der sich diese etwas klischeehaften Geschichten abspielen. NSEC ist ein Zeitdokument, aus der Distanz betrachtet für die frühen 80er typisch, eigentlich aber damals innovativ, denn Synthpop wurde ja gerade erst erfunden. Und die Verbindung von Synthpop und großer Stimme, die von Gefühlen übersprudelnd von der dunklen Seite von Liebe und Sex singt, macht NON-STOP EROTIC CABARET zu einem Klassiker nicht nur seines Genres, sondern auch der 80er Jahre.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #1024253  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    Auch wenn die Reaktionen nicht so doll sind, eine Empfehlung: Es lohnt sich unbedingt NON-STOP EROTIC CABARET in der DELUXE-Version mit 2 CDs zu erwerben. Die enthält neben dem Original-Album auch noch das Remix-Album NON-STOP ECSTATIC DANCING sowie 13 weitere Bonus-Tracks. Die 12″-Versionen von Soft Cells Singles sind allesamt sehr hörenswert. TAINTED LOVE wird mit WHERE DID OUR LOVE GO zu einem Medley verwoben, SAY HELLO, WAVE GOODBYE hat ein sehr schönes Intro mit einem Klarinettensolo und BEDSITTER wird um eine gesprochene Strophe ergänzt. Außerdem gibt’s noch andere Singles und B-Seiten zu hören und damit so ziemlich alles, was Soft Cell 1981/82 veröffentlicht haben.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #1024255  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    Klingt interessant, danke für den Tipp!

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #1024257  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

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    asdfjklöPete Brown & Piblokto! – Thousands On A Raft

    Danke dafür, Songs wie „Thousands On A Raft“ haben sich mir dauerhaft eingeprägt.

    Interessant, wie ich finde:

    Brown formed Pete Brown and His Battered Ornaments in 1968, and in 1969 the band recorded two albums; A Meal You Can Shake Hands With In The Dark and Mantlepiece, with a line-up including Pete Bailey (percussion), Charlie Hart (keyboards), Dick Heckstall-Smith (sax), George Kahn (sax), Roger Potter (bass), Chris Spedding (guitar) and Rob Tait (drums). Brown then suffered the ignominy of being thrown out of his own band, the day before they were due to support The Rolling Stones at Hyde Park. His vocals were then removed from Mantlepiece and re-recorded by Chris Spedding, and the band was renamed The Battered Ornaments.

    Quelle: Wikipedia

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    #1024259  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 87,224

    Diese zwei schönen Reviews („Night Life“ und „Non Stop Erotic Cabaret“) sind mir irgendwie entgangen, vielen Dank dafür! (Auf „Night Life“ gehört „In Denial“ zu meinen klaren Favoriten – schon interessant, wie unterschiedlich man Tracks hören kann.)

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    #1024261  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    nail75Klingt interessant, danke für den Tipp!

    Herr RossiDiese zwei schönen Reviews („Night Life“ und „Non Stop Erotic Cabaret“) sind mir irgendwie entgangen, vielen Dank dafür! (…)

    Gerne!

    Ich habe ja auch noch ein altes Vinyl-Exemplar von NON-STOP EROTIC CABARET (das ich übrigens mit seinem etwas verschlissenem Cover für meinen ursprünglichen Post abfotografiert habe). Ist eine schöne Sache, aber die DELUXE-Version ist wirklich Klasse! Die Bonus-Tracks sind fast noch besser als das Album selbst.

    Ich habe einen möglichen Einfluss auf NSEC noch gar nicht erwähnt. Marc Almond hat wenig später unter dem Namen Marc & The Mambas Lou Reeds CAROLINE SAYS aufgenommen. Auch der hat ja sehr gerne in den verborgenen Gebieten menschlicher Lust und Abhängigkeiten gewühlt. Soft Cell tun das eigentlich auch. Auf NSEC wirkt das sehr plakativ und poppig. Aber es ist vielleicht gerade der Reiz, dass es dort im Gewande des Popsongs daherkommt.

    Ergänzung:

    An anderer Stelle hatte ich es schon mal erwähnt, dass Alan Vega von Suicide stocksauer war, weil Marc Almond und Dave Ball angeblich das Konzept von Suicide – Duo aus Sänger und Elektroniker machen die Dekadenz der westlichen Welt zum Thema ihrer Musik – geklaut haben. Der Zusammenhang ist auch nicht zu bestreiten und am allerwenigsten würden Marc Almond und Dave Ball das tun. Aber was soll’s? Auch Suicide haben die Popmusik nicht erfunden und sowieso sind alle guten Ideen geklaut. Für mich macht das EROTIC CABARET nur noch interessanter, denn dadurch tun sich Rück- und Querbezüge auf. Und umgekehrt: Wen haben Soft Cell inspiriert? Ich glaube, ich lehne mich nicht allzu weit raus, wenn ich behaupte, dass das Sänger+Elektroniker-Duo Pet Shop Boys ohne Soft Cell kaum möglich gewesen wäre.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #1024263  | PERMALINK

    asdfjkloe

    Registriert seit: 07.07.2006

    Beiträge: 6,894

    Richard & Linda Thompson – Shoot Out The Lights

    Diese von Joe Boyd produzierte Platte aus dem Jahre 1982 ist eine der für mich wichtigsten Platten der Geschichte des britischen Folk Rocks.
    So kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wie viele Male sich die LP damals
    auf dem Plattenteller drehte, jedenfalls war es sehr oft, denn ganz besonders zwei Titel bewegten mich seinerzeit ganz tief, das waren “Walking On A Wire“ und “Just The Motion“.

    Damals war die Beziehung von Linda und Richard schon fast am Ende, und doch haben die vermeintlich hiermit in Verbindung stehenden Texte über „Beziehungskisten“ mit dieser Krise
    vielleicht gar nichts zu tun, da sie schon eher entstanden.

    Aber offensichtlich kriselte es auch bereits vorher massiv, so dass die Beziehung wohl reichlich Stoff bot für tiefgründiges Textgut.(„…when my heart breaks, it breaks like the weather, if you leave me now it’ll thunder forever“, …I hand you my ball and chain“, …I wish I could please you tonight, but my medicine just won’t come right”, ….I left a letter lying on the bed from a man in need”) , so einige Textbeispiele, aber auch die Titel “Don’t renege on our love”, “Walking on a wire”, “Man in need”, “Wall of death” usw. sprechen eine klare, tiefe Sprache, oder?

    Dennoch ist dieses absolut kein “düsteres” Album, es geht jedoch , auch durch die sparsame musikalische Umsetzung, durch „Mark und Bein“ und hat auch eine positive Ausstrahlung voller Schönheit. Die manchmal scheinbare Melancholie und Traurigkeit beinhaltete für mich auch stets ein wenig Hoffnung in sich.

    Die Musik wird zurückgenommen, schwillt an, explodiert mitunter und Richard Thompson’s knochentrocken gespielte Gitarre bestimmt das Geschehen.

    Es ist nicht unbedingt ein bestimmtes Stück, das sich positiv oder negativ hervorhebt, denn alle üben eine ganz besondere Faszination aus, der ich mich nach all’ den Jahren noch immer nicht entziehen kann. Dabei erzeugen die beiden Noch-Ehepartner mit ihren nicht unbedingt perfekten Stimmen zusammen eine doch perfekte gesangliche Harmonie, die der Stimmung absolut Rechnung trägt.

    Unabhängig davon sind meine anfangs erwähnten Lieblingsstücke beide unglaublich schön-sentimental-traurig und tief in der Seele rührend.
    Und mit “Did she jumped or was she pushed“ werden das Thema Sandy Denny und ihr tragischer Tod aufgegriffen. Denny und Thompson waren schließlich beide Bestandteil von Fairport Convention.

    01: Don’t Renege On Our Love (4:15)
    02: Walking On A Wire (5:24)
    03: Man In Need (3:32)
    04: Just The Motion (6:16)
    05: Shoot Out The Lights (5:20)
    06: Back Street Slide (4:29)
    07: Did She Jump (4:45)
    08: Wall Of Death (3:42)
    09: Living In Luxury (2:30)

    Richard Thompson (vocals, lead guitar, accordion, hammered dulcimer)
    Linda Thompson (vocals)
    Simon Nicol (rhythm guitar)
    Dave Pegg (bass – # 3 6 7 8)
    Pete Zorn (bass – #1 2 4 5, backing vocals)
    David Mattacks (drums)
    The Watersons (Norma, Mike, Lal, and Martin Carthy) (backing vocals)
    Clive Gregson (backing vocals)
    Stephen Corbett (cornet)
    Brian Jones (cornet)
    Phil Goodwin (tuba)
    Stephen Barnett (trombone)
    Mark Cutts (trombone)

    --

    #1024265  | PERMALINK

    nikodemus

    Registriert seit: 07.03.2004

    Beiträge: 21,307

    Tolles Album und eine verdiente Würdigung!!

    --

    and now we rise and we are everywhere
    #1024267  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    Gleich zwei Alben? Ja, gleich zwei Alben!

    Lou Reed – Transformer (1972)

    Im Jahr 1970 hatte Lou Reed bereits seine erste Karriere hinter sich: Mit Velvet Underground hatte er zwischen 1967 und 1970 das neu definiert, was Rockmusik sein konnte, und damit noch Jahrzehnte später unzählige Musiker beeinflusst. Viel verdient hatte er damit aber nicht und so stand er nach der Auflösung von VU ohne Band und Geld da, zog mittellos wieder bei seinen Eltern ein und nahm einen Bürojob in der Firma seines Vaters an. Lou Reeds 1972 unternommener Versuch einer Solokarriere hatte nur bescheidenen Erfolg: Sein musikalisch unentschiedenes Solo-Debut kam bei Kritik und Publikum nicht an. Man hätte Lou Reed zu diesem Zeitpunkt als einen has been abschreiben können, der seinen Zenit bereits überschritten hat, hätte sich nicht auf der anderen Seite des Atlantiks ein alter VU-Fan an ihn erinnert.

    Auftritt David Bowie. Der hatte Mitte 1972 in Großbritannien mit seinem alter ego Ziggy Stardust einen Riesenhit gelandet und war damit zum Star geworden. Er beschließt seinem gestrauchelten Helden und damaligen label-mate bei RCA Lou Reed unter die Arme zu greifen. Kurzerhand ließ er Reed nach London einfliegen und produzierte dort gemeinsam mit dem Gitarristen Mick Ronson Lou Reeds nächstes Album TRANSFORMER.

    David Bowies Handschrift ist auf TRANSFORMER unüberhörbar: Satte Arrangements mit schneidenden Gitarren, Background Chören, Streichern und auch mal einem Saxofon und einer Tuba. Das ist Glamrock, nicht die kratzbürstige Musik von Velvet Underground. Und doch gibt es hier zahlreiche Bezüge zu VU. TRANSFORMER enthält nicht nur vier Songs, die Reed bereits zu VU-Zeiten geschrieben hatte. Auch in anderen Songs bezieht er sich auf die Zeit Ende der 60er, als er Protegé von Andy Warhol und Teil der Bohème um dessen Factory war. In seinem größten Hit WALK ON THE WILD SIDE besingt Lou Reed in jeder Strophe einen anderen von Andy Warhols Superstars. VICIOUS geht auf eine Anregung Andy Warhols zurück, bei MAKE UP glaubt man einen Transvestiten dabei zuzusehen, sich für den Auftritt auf einer Party in der Factory aufzubrezeln und ANDY’S CHEST trägt nicht nur Warhols Vornamen im Titel sondern nimmt darin auch Bezug auf das 1968 auf ihn verübte Attentat, das er nur knapp überlebte und das seinen Oberkörper entstellte.

    TRANSFORMER führt ein Panoptikum gesellschaftlicher Außenseiter und Selbstdarsteller vor, die im Umfeld Andy Warhols mit ihren exhibitionistischen Eskapaden ihre 15 Minuten Ruhm genossen bevor sie wieder von der Bildfläche verschwanden oder drogenbedingt abstürzten. NEW YORK TELEPHONE CONSERVATION handelt vom Klatsch und Tratsch der Bohème, und in GOODNIGHT LADIES klagt Lou Reed über die Langeweile und die Einsamkeit, nachdem er daheim die Tür hinter sich geschlossen hat. In PERFECT DAY träumt er sich in eine heile Welt, kann aber gleichzeitig seinen Selbsthass nicht verleugnen: „I thought I was someone else, someone good“. Man könnte TRANSFORMER den Untertitel SZENEN AUS DEM LEBEN DER BOHÈME geben. Glamour, Ausschweifungen, Dekadenz, Blendwerk und Enttäuschung, musikalisch angemessen untermalt und von Lou Reed mit einer Mischung aus Faszination und Spott vorgetragen.

    Lou Reed / John Cale – Songs For Drella (1990)

    Mehr als 15 Jahre später: Auf Andy Warhols Beerdigung, der 1987 nach einer Gallenblasenoperation gestorben war, treffen sich Lou Reed und sein Weggefährte aus VU-Tagen John Cale wieder. Zwar hatte John Cale nach seinem Rauswurf bei VU geschworen, nie wieder mit Reed zusammenzuarbeiten. Auf Anregung des Malers Julian Schnabel beschließen die beiden jedoch, ein Requiem auf ihren verstorbenen Mentor Andy Warhol zu verfassen. Drei Jahre später nehmen sie eine Sammlung von Liedern auf, die Ende 1990 als SONGS FOR DRELLA veröffentlicht wird. Wer ist „DRELLA“? „DRELLA“ war der Spitzname von Andy Warhol, erfunden von Superstar Ondine. Ein Kunstwort aus Dracula und Cinderella, das die widersprüchliche Persönlichkeit Warhols beschreibt. Einerseits der privat unnahbar und schüchtern wirkende Einzelgänger, andererseits der clevere Manipulator der Kunstwelt, der die Talente seiner Mitarbeiter geschickt zu seinem eigenen Vorteil nutzte. Ein Blick nicht nur auf Andy Warhol also, sondern gleichzeitig auch auf dessen Entourage in der Factory und die New Yorker Kunstszene der späten 60er Jahre.

    Andy Warhol: Geboren als Sohn eines Arbeiters in Pittsburgh, der früh stirbt und ihn in die Obhut seiner Mutter und seines älteren Bruders gibt. „Bad skin, bad eyes, gay and fatty“ wie Reed und Cale ihn beschreiben. Ein Außenseiter von Natur aus, sozusagen, aber auch begabt und ehrgeizig. Später erfolgreicher Werbegrafiker in New York City, Protagonist einer neuen Kunstrichtung, zuerst belächelt und angefeindet, dann umschwärmter Pate einer Bohème-Gemeinde, in der sich Modells, Musiker, Stricher, Transvestiten und psychisch labile Millionenerbinnen tummelten, Star auf dem internationalen Kunstmarkt – und gleichzeitig gläubiger Katholik, der regelmäßig zur Messe ging, einen eisernen Arbeitsethos pflegte und mit seiner Mutter und unzähligen Katzen zusammenlebte.

    Es besteht kein beabsichtigter Zusammenhang zwischen TRANSFORMER und SONGS FOR DRELLA. Dennoch gibt es etwas, was die beiden Alben miteinander verbindet: Zunächst ist dies natürlich Lou Reed als leader bzw. als co-leader neben John Cale. Und dann ist da die Beschäftigung mit der Figur Andy Warhol und dessen Umgebung. Bei SONGS FOR DRELLA ist dies erklärtes Konzept. Dies ist es bei TRANSFORMER zwar nicht, aber es ist kaum zu überhören aus welchem Millieu Lou Reed hier seine Themen schöpft.

    Im Gegensatz zu TRANSFORMER ist SONGS FOR DRELLA sparsam, fast spartanisch instrumentiert. Nur die Stimmen von Lou Reed oder John Cale und die Instrumente, die man mit ihnen assoziiert: Lou Reeds E-Gitarre, John Cales Piano und seine Viola, die schon auf VUs Debut-LP eine prominente Rolle gespielt hatte. Reed und Cale schaffen damit kleine musikalische Skizzen, die einzelne Aspekte aus der Biografie Andy Warhols darstellen. Seine Herkunft aus der Stahlarbeiterstadt Pittsburgh in SMALL TOWN („there’s only one good use for a small town / you hate it and you know you’ll have to leave“), Warhols Konzept der Factory, in der er sich mit einer Schar von „crazy people“ umgab, die ihn inspirierten (OPEN HOUSE), seine Arbeitsethos (WORK: „all that matters is work“). Seine künstlerischen Strategien werden in STYLE IT TAKES, STARLIGHT und IMAGES beleuchtet. Es wird aber auch nicht verschwiegen, dass die Sterbensrate in der Factory vergleichsweise hoch war, Andy Warhol jedoch jegliche Verantwortung dafür von sich wies („IT WASN’T ME“). In dem unheimlichen, von John Cale gesprochenen A DREAM meint man dann aber auch etwas von dem Menschen Andy Warhol hinter der Maske des Künstlers zu erahnen, der alleine verträumt den Schneeflocken zusieht und von Freunden und Mitarbeitern enttäuscht ist. Am Ende macht sich Lou Reed den Vorwurf, Andy zu dessen Lebzeiten nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt zu haben: „Things always seem to end before they start“

    Ein kammermusikalischer Nachruf, der auf die verschiedenen Facetten des Künstlers und Menschen Andy Warhol zurückblickt. Stellt man TRANSFORMER dem Album SONGS FOR DRELLA gegenüber, ergibt sich ein eigenartiger und schöner Kontrast: Das ausschweifende und hedonistische TRANSFORMER einerseits, das nüchterne und spröde SONGS FOR DRELLA andererseits. Zwei Betrachtungsweisen des gleichen Objekts, jedoch aus unterschiedlicher Perspektive, unterschiedlichem zeitlichen Abstand und mit etwas verschobenem Fokus. Scheint Lou Reed auf TRANSFORMER noch mitten im Factory-Millieu zu stecken, so ist SONGS FOR DRELLA von Lou Reed und John Cale ein Rückblick aus der Distanz – nachdenklich, melancholisch, etwas nostalgisch, voller Bewunderung für Andy Warhol aber auch nicht ohne Bitterkeit. Zwei Alben, die bei aller Gegensätzlichkeit doch etwas Verbindendes haben und die side by side gehört gerade dadurch ein überaus reizvolles Paar bilden. Gleichzeitig ein coming of age des Erzählers Lou Reed und vielleicht die beiden besten Platten die er nach Velvet Underground gemacht hat.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #1024269  | PERMALINK

    august-ramone
    Ich habe fertig!

    Registriert seit: 19.08.2005

    Beiträge: 63,676

    @friedrich, eine sehr schöne Beschreibung der beiden Alben. „Songs For Drella“ höre ich recht häufig, habe nahezu das gesamte Album auch schon auf RadioStoneFM gespielt.
    Werde am WE auch einmal beide Album in einem Zug hören.

    Danke schön für Text und Anregung!

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    http://www.radiostonefm.de/ Wenn es um Menschenleben geht, ist es zweitrangig, dass der Dax einbricht und das Bruttoinlandsprodukt schrumpft.
    #1024271  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    August Ramone@Friedrich, eine sehr schöne Beschreibung der beiden Alben. „Songs For Drella“ höre ich recht häufig, habe nahezu das gesamte Album auch schon auf RadioStoneFM gespielt.
    Werde am WE auch einmal beide Album in einem Zug hören.

    Danke schön für Text und Anregung!

    Danke und gerne.

    Ich habe TRANSFORMER nicht gekannt, als es 1972 veröffentlicht wurde. Verzeihlich – glaube ich – da ich zu dieser Zeit noch in die Grundschule ging. Anfang der 80er habe ich die Platte kennengelernt, aber damals noch nichts über die Hintergründe gewusst. Wer wusste damals schon, wer mit Holly, Little Joe und Sugar Plum Fairy gemeint war? Aus der Distanz von nun auch schon 30 Jahren gehört, ergibt sich ein anderes und vielfältigeres Bild.

    Und DRELLA? Ein Nachruf auf Andy Warhol von einem, auf den man letztes Jahr ebenfalls Nachrufe verfasste. Eine trauriger aber guter Anlass beide Platten mal wieder nachzuhören.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #1024273  | PERMALINK

    wahr

    Registriert seit: 18.04.2004

    Beiträge: 15,224

    August Ramone@Friedrich, eine sehr schöne Beschreibung der beiden Alben. „Songs For Drella“ höre ich recht häufig, habe nahezu das gesamte Album auch schon auf RadioStoneFM gespielt.
    Werde am WE auch einmal beide Album in einem Zug hören.

    Danke schön für Text und Anregung!

    Auch von mir ein Riesenlob für den schönen, kenntnisreichen Text, Friedrich. Ist angenehm unaufgeregt und flüssig geschrieben. „Songs For Drella“ steht hier zwar im Schrank, aber ich habe das Album kaum dreimal gehört. Wird Zeit, es mal wieder hervorzukramen. Danke für die Anregung!

    #1024275  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    Nochmals danke!

    Ich wäre auch immer an anderen Meinungen zu TRANSFORMER und DRELLA interessiert.

    Und DRELLA musst Du natürlich unbedingt anhören!

    --

    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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