Volksmusik

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  • #685  | PERMALINK

    b-b-grunt

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 782

    Ich bin in einer Familie aufgewachsen wo das mindestens genau so viel gesungen wurde, wie Schallplatte gehört. Es sind Verwandte und Bekannte zusammengekommen um Musik zu machen bzw. Lieder zu singen. Dadurch hab ich schon von Kindesbeinen an mit Volksmusik zu tun gehabt. Und war auch recht angetan von selbiger. Später hat sich mein Musikgeschmack erweitert, aber noch immer nimmt die Volksmusik bei mir einen gewissen Stellenwert ein. Darum hier ein Versuch der Auseinandersetzung mit dieser Musik.

    Für mich war die Stärke dieser Musik immer ihre Subversion. Während die Geschichte fortschreitet, stets der Stärkere gewinnt und alles immer noch schneller, besser und größer wird, wird hier ein Stück Gegengeschichte gesungen. Alltagserfahrungen in Alltagssprache verpackt wird in Melodien ausgedrückt die auch das Unsagbare noch zu sagen vermögen (d.i. die Erfindung des Jodelns). Die Texte sind jedoch nicht so banal wie sie auf das erste scheinen mögen und alles andere als stilles Einverständnis in die je herrschenden Zeitverhältnisse. Es menschelt gewaltig und selbst im Liebeslied findet sich oft noch gewaltige Auflehnung gegen das „wie-es-eben-so-ist“. Wenn die junge Frau bemitleidet wird weil sie nicht heiraten kann wen sie liebt, weil ihr das Geld dazu fehlt, was ist das denn anderes als Gesellschaftskritik? Und so manches „Gstantzl“ bietet weit mehr als billige Unterhaltung bzw. in Unterhaltung verpackte Kritik an Obrigkeit in Staat und Kirche. Die Melodien in ihrer einfachen Form schaffen es durch unendliches Wiederholen auch unendliche Variationen zu schaffen und machen mit diesem Versteck- und Wiedererkennungsspiel diese Musik für mich so spannend.

    Was heute jedoch vielfach als Volksmusik verkauft wird, bzw. anbiedernd volkstümliche Musik genannt wird, ist das genaue Gegenteil der Musik die ich so gern mag. Das ist nicht Musik-von-unten, sondern Musik, die glaubt, indem sie die Hegemonie über die Biertische erreicht, auf der Siegerseite zu sein. Triumph durch Banalität. Dummes „Wir sind Wir“ anstatt des sich Einbettens und sich Auflehnens in größere gesellschaftliche Zusammenhänge. Wenn der Kontrast zum Herrschenden plötzlich selbst Herrschendes wird (und sei es nur im Musikantenstadl) geht dabei notgedrungen sein Wesen verloren. Und ist das Wesen erst fort, fallt mit ihm auch der Inhalt weg. Und ohne Inahalt wird die Form inhaltsleer und verschwindet bald zur Gänze. Die Texte verlieren ihre Bedeutung und die Musik ihre Kanten und Risse. Sie wird ausdruckslos, weil sie nichts mehr auszudrücken hat und verschwindet bald vollkommen in Berechnungen der Marktkompatibilität. Das ist traurig, das ist leider alltäglich.

    Wer interessiert ist, wirkliche Volksmusik (aus dem Teil der Welt, wo ich zu Hause bin) zu hören, dem/der sei der Trikont Sampler „Volksmusik – Oberöstterreich-Salzburg – Rare Schellacks 1910-1949“ ans Herzen gelegt. Sehr EinsteigerInnen geeignet! Einziges Problem für viele dürfte der Dialekt sein, aber auch an den kann man sich gewöhnen.

    Wer kennt weitere gute, echte Volksmusik?

    --

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    #367275  | PERMALINK

    derbuschmann

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 3,195

    Da fallen mir als Nordlicht Shanties ein. Im Ursprung haben sie Arbeitsbedingungen in der Seefahrt beschrieben. In sog. Volksmusiksendungen ist das dann zur Seefahrtromantik verkommen.
    Gibt in Bremen einen Chor der sich den Originalen zugewandt hat: Hart Backbord. Weiss aber nicht ob es von denen CD’s gibt.

    Gruß Volker

    --

    Die meiste Zeit geht dadurch verloren, dass man nicht zu Ende denkt. Alfred Herrhausen (1930-89)
    #367277  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    bb das ist jetzt mal ein thread, der mich richtig interessiert, weil keine ahnung davon.
    schau mal, ob du irgendwo meinen thread über bluegrass findest, da hatte ich dies als frage angedeutet.

    --

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    #367279  | PERMALINK

    b-b-grunt

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 782

    Ich kenn eher ältere Leute die „echte“ Volksmusik machen. Ein paar Zechen weiss ich, wo auch junge Leute dabei sind. Es ist der Ausdruck von einem Lebensgefühl, das heute wohl oft anders ausgedrückt wird. In Linz gab es vor etlichen Jahren schon den Versuch traditionelle Volksmusikgruppen mit jungen Punk-Bands gemeinsam auftreten zu lassen. Die Veranstalter waren damals der festen Überzeugung dass es beiden um das selbe geht. Das Problem war, dass die traditionellen MusikerInnen alle ein eher schon fortgeschrittenes Alter erreicht gehabt haben, aus dem ländlichen Raum kamen und in ihrem Leben wahrscheinlich noch nie Nietenarmbänder und grüne Haare gesehen haben. Als das Publikum (das nun einmal zu 60% Punks bestanden hat) bei ihrer Musik laut gejubelt und geklatscht hat, wurden die MusikantInnen ganz unsicher und haben wahrscheinlich auch ein bisschen geglaubt dass sie verarscht werden. Vielleicht habens viele der ZuschauerInnen wirklich als Freak-Show erlebt, den Veranstaltern wars mit dieser Kombination jedenfalls sehr ernst.

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    #367281  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    bb, hatte eben keine zeit dein eingangspost richtig zu lesen. gratulation! mit das beste, was ich bisher im forum gelesen habe.
    es beantwortet meine frage, inwieweit musikalische einfachheit musikästhetisch (das meint auch im weitesten politisch) wertvoll sein kann. das gibt mir den glauben an den bluegrass und an den folk überhaupt zurück. weil es wohl nicht sein kann, dass nur amis und iren und all die teile der welt, die ich musikalisch nicht so gut kenne, ihre folkmusic haben, nur wir sollen keine haben!!! da stimmte doch was nicht. und wenn greil marcus analyse in basement blues nur annähernd richtig ist, dann muss es sowas auch bei uns ge/geben haben.
    ich freue mich, so was mal anzuhören. auch wenn man „geschmacklich“ womöglich einen rubikon zu überschreiten hat. hatte mir den trikont-sampler sogar schon mal angeschaut, aber mich nicht getraut. weils da auch so viele von gibt.
    jedenfalls noch mal danke

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    #367283  | PERMALINK

    b-b-grunt

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 782

    Interessant ist auch das Sunseitn (Sonnenseite) Festival. Auf ein paar Mühlviertler Bauernhöfen und Gastäusern wird moderne mit traditioneller Tanzmusik kombiniert. Neben- und und miteinander auf verschiedenen Tanzböden. Ein tolles Erlebnis jedenfalls immer. Und sehr spontan und gemütlich. Sowohl die KünstlerInnen als auch das Publikum sind dabei immer sehr gut (und witzig) gemischt. Menschen die sich sonst wohl das ganze Jahr über kaum sehen. Da gibt es dann spontane Breakdance Einlagen zu traditioneller Polka Musik und Blasmusik zu Techno-Beats. Eine wirklich sehr schöne und gelungene Veranstaltung.

    --

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    #367285  | PERMALINK

    b-b-grunt

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 782

    @otis

    Nur Mut! Hab von Trikont eigentlich noch nie etwas schlechtes gehört (im wahrsten Sinn des Wortes). Vor allem der Oberösterreich-Salzburg Sampler ist wirklich schön. Durch das Alter der Aufnahmen und ihren rauhen Klang können sie dir auch die nötige Distanz gewähren, die man bei dieser Art von Musik dann doch immer wieder braucht um nicht Musikantenstadl-Ängste zu bekommen. Das Booklet ist auch (wie bei Trikont eigentlich immer) großartig und gibt Einblicke in eine vertraute, fremde Welt.

    --

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    #367287  | PERMALINK

    copperhead
    ausgemachter exzentriker

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 37,406

    hallo bb,

    in der richtung ist auch josef ahndl & die höllentaler musikanten (nix zum deitn) zu empfehlen. ist, soviel ich weiß, auch auf trikont erschienen !

    ciao

    --

    BAD TASTE IS TIMELESS    
    #367289  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    @otis

    Nur Mut! Hab von Trikont eigentlich noch nie etwas schlechtes gehört (im wahrsten Sinn des Wortes). Vor allem der Oberösterreich-Salzburg Sampler ist wirklich schön. Durch das Alter der Aufnahmen und ihren rauhen Klang können sie dir auch die nötige Distanz gewähren, die man bei dieser Art von Musik dann doch immer wieder braucht um nicht Musikantenstadl-Ängste zu bekommen. Das Booklet ist auch (wie bei Trikont eigentlich immer) großartig und gibt Einblicke in eine vertraute, fremde Welt.

    das hatte ich mir damals auch gedacht, als ich ihn in der hand hatte. habe selber auch mal schellacks gesammelt.
    also.. er steht auf meiner einkaufsliste. gabs auch mal bei 2001, wenn ich mich recht erinnere.

    --

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    #367291  | PERMALINK

    little-joe

    Registriert seit: 10.07.2002

    Beiträge: 121

    natürlich gibt es „neue volksmusik“ abseits von „hansi hinterseer and the maniacs“ und dem „original naphalm duo“.

    mir fällt da als erstes die neue cd von „attwenger“ SUN ein. sehr gelungen und echt groovend.

    auch ausgesuchte stücke von hubert von goisern (abseits vom hüatamadl) finde ich gut….

    übrigens: super eingangstext!

    :band:

    --

    Renoviert wird!
    #367293  | PERMALINK

    annamax

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 4,599

    Stichwort subversiv: Wenn ATTWENGER, HAINDLING oder HUBERT VON GOISERN als Volksmusiker durchgehen (und das tun sie meiner Meinung nach), dann ich bin ich ein glühender Verehrer der Volksmusik.
    Auf schwäbisch wäre noch GRACHMUSIKOFF akzeptabel, wenn sie nicht immer so „lustige“ Texte machen würden.
    Bitte weiter diskutieren! Klasse Idee, dieser Thread!
    :twisted:

    --

    I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.
    #367295  | PERMALINK

    mitchryder

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 25,961

    Ich liebe die Volksmusik… hohe Tannen oder Schwarzwaldmädel zählen zu meinem Auftrittshighlights

    --

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    #367297  | PERMALINK

    b-b-grunt

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 782

    Das Problem an Volksmusik dürfte sein, dass das beste meist nicht auf Tonträger festgehalten werden kann, weil es in der Situation entsteht und nur für die Situation gemacht ist. Spontane Texte über anwesende Personen und aktuelle Ereignisse, werden oft schon ein Monat später und drei Ortschaften weiter nicht mehr verstanden… Ausserdem sind die meisten Menschen die traditionell musizieren mit moderner Studiotechnik nicht vertraut und wirken dann auf Aufnahmen oft befangen. Die Studiotechniker umekehrt haben oft auch keine Ahnung was sie mit bestimmten Gruppen machen sollen. Das ist leider oft das Problem traditioneller Gruppen. Zeitgenössische Volksmusik wurde hier teilweise schon besprochen, ich möchte noch Biermösl Blosn nennen …. manches von ihnen ist wirklich gut und auch witzig. Attwenger und Haindling hatten mE schon mal bessere Zeiten, live sind vor allem erstere aber nach wie vor großartig. Hubert von Goisern beeindruckt mich vor allem, weil er künstlerisch seine ganz eigenen Wege geht, dabei aber nie abgehoben oder selbstverliebt wirkt.

    --

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    #367299  | PERMALINK

    mitchryder

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 25,961

    Biemösl Blasn??? Ist das wirklich Volksmusik… oder bedienen sich die Brüder nur der Musik für ihre Kabarett???

    --

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    #367301  | PERMALINK

    b-b-grunt

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 782

    Die Frage ist ob Kabarettistisches in Form von Volksmusik dargeboten wird oder ob die Form der Volksmusik selbst Teil des Kabaretts ist? Ich vermute in diesem Fall ersteres. Vor allem weil Biermösl Blosn ja schon vor iherer Zusammenarbeit mit Herrn Polt Musik gemacht haben ….

    --

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