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Ein lesenswerter Vorgeschmack (Quelle) auf ein Album, das ich schon das ganze Jahr gespannt erwarte:
PeterLicht – Melancholie und Gesellschaft
Melancholiker sitzen in der ikonografischen Tradition gerne auf Steinen, am Wegesrand, den gedankenschweren Kopf in die Hand gestützt, und sinnieren dem Weltlauf hinterher. Etwas ist vorbei, doch was? Was ist bloß passiert, und wann? Dieser Bestandsaufnahme eines Verlustes, die dort in einsamer Denkerpose auf dem Stein, am Wegesrand geschieht, wird zu einem späteren Zeitpunkt womöglich Ausdruck verliehen, gegen die eigene Handlungsgehemmtheit, gegen das Wissen um das große Umsonst. Noch bei Freud galt die Melancholie als Krankheitsbild, als psychopathologischer Zustand; inzwischen hat sie sich längst zum Erkennungsmerkmal eines bestimmten Künstlertypus gemausert, der irgendwo zwischen Abgeklärtheit, Schwermut und Geistesblitz mit den verbliebenen Resten wuchert. PeterLicht, bisher eher als Ironiker denn als Melancholiker bekannt, gibt dieser Entwicklung mit seinem vierten Album „Melancholie und Gesellschaft“ nun einen weiteren und durchaus freundlichen Dreh: Fortan darf man sich den Melancholiker als glücklichen Menschen vorstellen.
Zu Vorstellungen und Projektionen verschiedenster Couleur lud die Kunstfigur PeterLicht seit ihren Anfängen ein. Durch die konsequente Verweigerung, dem Musiker auch ein Gesicht zuzuordnen, konnte der Status der Kunstfigur aufrechterhalten werden, die mit heller, klarer Stimme wie aus einem abstrakten Raum zu uns sprach und dabei doch spürbar Zeitgenosse war. Eine große Freiheit des poetischen Zugriffs war die Folge. Kippfiguren zwischen Oberfläche und Tiefgang, Slogans aus dem entfremdeten Leben wurden mit einer Leichtigkeit gesungen, die tröstete, ohne Identifikation anzubieten. Selbst in seinen Texten folgte PeterLicht dem Prinzip einer humorvollen Zerstreuung und anarchischen Wendigkeit, innerhalb derer kein Gedanke und keine Beobachtung davor sicher waren, ausgetestet und angerissen, ironisiert oder poetisiert zu werden. Ob nun mit fragmentierter Systemkritik, versprengten Utopieresten oder launigen Gebäudebeschimpfungen, der Wortkünstler PeterLicht sprang zwischen großer Geste, subversiver Zeitdiagnostik und schillerndem Detail hin und her, um Befindlichkeiten und Ängste zu konstatieren, ohne gravitätische Repräsentationsmodelle zu bedienen.
Auf „Melancholie und Gesellschaft“ nun meldet sich der Mensch hinter PeterLicht stärker als bisher zu Wort. Der da bisher so leichtfüßig tänzelte, scheint sich jetzt auf einen der Steine am Wegesrand gesetzt zu haben, um durchzuatmen und eine Art persönliches Zwischenresümee zu ziehen. Ein freundlicher Melancholiker gewinnt an Konturen, ernsthafter und sehnsüchtiger als zuvor. Stimmungen des Abschieds durchziehen die zehn Lieder. So manches ist abhanden gekommen, es werden Koffer gepackt, Beziehungen beendet, die eigenen Wände sind einem fremd geworden. „Diese alte Liebe / dieser neue Tag / ein letzter Blick ein letzter Rest von letzter Luft“: Bestandsaufnahme im Moment des Verschwindens. Die Frage, wo „alle unsere Leute hin sind“, stellt sich gleich in zwei Liedern. Wo sind sie hin, die Weggefährten? Schon wieder: irgendwie abhanden gekommen, unterwegs im täglichen „Marketing“, im Klein-Klein der Quittungen, Selbstpositionierungen und Arbeitsmärkte: „der Raum ist voll / doch keiner ist da“.
Andere Räume werden aufgespannt. Die Sehnsucht nach einem „Weit-und-weiter-weg“, nach Fluchtpunkten am Horizont, nach fernen Orten in Zweisamkeit wird spürbar. Die Weite der Natur lockt den tendenziell beschädigten Städter in einfachen Bildern von Sternen, Meer, Wind und Land zum Aufbruch. Er wird nicht aufbrechen, doch reicht das bloße Phantasma, die Möglichkeit des Utopischen, um die Melancholie ins Positive zu wenden. Kein Hauch von Resignation, nein, der Sprachspieltrieb und die Ideenflut setzen wieder ein, und der freundliche Melancholiker kann in der Nachfolge seines Generationssongs „Ihr lieben 68er“ mit der ihm eigenen Nonchalance den Terror der Kommerzialisierung befreiter Körper anprangern („Stilberatung / Restsexualität“).
Bisher vor allem in Sachen Ironie und Fragmentpoetik ein schwereloser Nachkomme der deutschen Romantik, hat sich PeterLicht nun auch in musikalischer Hinsicht weiter dem Kunstlied angenähert. Das NDW-Erbe und die Dada-Camouflage sind nahezu vollständig abgelegt, entschlackte Arrangements mit Klavier, Schlagzeug, Gitarre und Streichern verleihen dem Album eine einheitliche Unmittelbarkeit. Auch hier die Bewegung von Zerstreuung zu größerer Präsenz, von schlauer Bricolage hin zu elegischer Schönheit. Die zahlreichen Live-Auftritte mit Band mögen den Musiker hierbei inspiriert haben.
Manches mag verschwunden und der Sommer vorbei sein – aber, und das singt PeterLicht auf diesem zugleich schwermütigen und weltbejahenden Album so emphatisch wie derzeit kein zweiter: „Der Traum geht weiter“. Vieles ist abhanden gekommen, aber nichts ist verloren. Wir träumen von der Freiheit jenseits der Freiheit. Man muss sich den Melancholiker als glücklichen Menschen vorstellen.
Thomas MelleVeröffentlichung: 05.09.2008
Reihenfolge der Lieder:
1. Räume räumen
2. Alles was Du siehst gehört Dir
3. Marketing
4. Dein Tag
5. Beipflichten
6. Trennungslied
7. Heimkehrerlied
8. Stilberatung/Restsexualität
9. Freunde vom leidenden Leben
10. Landlied--
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WerbungDie Platte ist draußen und, wen wunderts, ich höre sie gerade. Erster Eindruck: Könnte meine liebste von PeterLicht werden, mindestens so gut wie die obige Rezension. Hoffentlich kommt TMF bald wieder, dann unterstützt mich hier mal jemand!
PS: Danke fürs Verschieben, Signore!
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Is this my life? Or am I just breathing underwater?War bisher so gar nicht meine Stelle. Aber: Die 3 Songs gestern Abend auf Bayern2 haben mir richtig gefallen. War selber sehr überrascht…
Könnte noch was ergeben.--
Jetzt schon 62 Jahre Rock 'n' RollNa, das ist doch mal ein guter Anfang.:-)
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Is this my life? Or am I just breathing underwater?fokaHoffentlich kommt TMF bald wieder, dann unterstützt mich hier mal jemand!
Ich springe mal eben ein, wenns recht ist. Ich muss zwar noch mal den Vergleich zu „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ erhören, aber ich denke, „Melancholie und Gesellschaft“ ist in der Tat das bisher beste PeterLicht-Album. Tolle Pop-Platte (bei dem Wort ist die Koppelung richtig sinnvoll) mit bisweilen großartigen Texten.
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Dominick BirdseyIch springe mal eben ein, wenns recht ist. Ich muss zwar noch mal den Vergleich zu „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ erhören, aber ich denke, „Melancholie und Gesellschaft“ ist in der Tat das bisher beste PeterLicht-Album. Tolle Pop-Platte (bei dem Wort ist die Koppelung richtig sinnvoll) mit bisweilen großartigen Texten.
Es liegt für mich mit Sicherheit auch ganz vorne mit Lieder vom Ende des Kapitalismus. Letzteres ist mir bisher rein musikalisch vielleicht etwas lieber, während das neue Werk textlich noch elaborierter scheint. Melancholie und Gesellschaft ist mir durchgehend ein wenig zu brav-lalala-poppig bei Instrumentierung und Arrangement, auch wenn das natürlich ein bewusst und geschickt eingesetztes Stilmittel ist. Wobei das zu negativ klingt, ich finde die Melodien reizend und singe lauthals mit, nicht ganz so laut aber wie bei den Kapitalismus-Liedern.
@Birdsey: Welches sind denn Deine Highlights bisher, wenn ich fragen darf?
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Is this my life? Or am I just breathing underwater?Kurzes Reinschneien zur Unterstützung: Erster Eindruck sehr sehr gut, wobei ich den Vorgänger mopmentan noch einen Tacken lieber höre. Und für alle, die schon auf meine nächste MIA-Lobeshymnen-Rezension warten ;-). Das Album ist eine große Enttäuschung, leider auch fernab aller vorurteilsbeladenen Political Correctness-Schwachmaten.
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"Man kann nicht verhindern, dass man verletzt wird, aber man kann mitbestimmen von wem. Was berührt, das bleibt!foka@Birdsey: Welches sind denn Deine Highlights bisher, wenn ich fragen darf?
Du darfst, aber nach drei Hördurchgängen habe ich noch keine Antwort. Mir gefällt der Opener wegen des Klaviers und des grandiosen Textes. Das nachfolgende „Alles was Du siehst gehört Dir“ erinnert mich an ein anderes Lied, ich weiß nur nicht an welches. Die „Stilberatung“ hat mich zum Lachen gebracht, die letzten beiden Lieder muss man einfach genauso umarmen wie das „Trennungslied“. Und das „Alphabet der Zerstörung“ wie PeterLicht die Reihenfolge von „Vokabeln der Auslöschung“ in dem Song „Marketing“ selbst nennt, verdient in diesem Satz eine gesonderte Erwähnung.
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TheMagneticFieldUnd für alle, die schon auf meine nächste MIA-Lobeshymnen-Rezension warten ;-). Das Album ist eine große Enttäuschung
Komplett offtopic: ich habe gestern „Mein Freund“ gehört und finde es gar nicht übel.
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verdammt
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"Man kann nicht verhindern, dass man verletzt wird, aber man kann mitbestimmen von wem. Was berührt, das bleibt!
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
„Melancholie und Gesellschaft“ ist der absolute Alptraum und diese unsäglichen Texte werden auch noch als ganz große Kunst gehandelt. Zum Weglaufen.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
@kramer: bin nun auch kein all zu großer Freund von PeterLichts Liedern. Im schlimmsten Falle ist das wirklich arg grenzwertig („Wettentspannen“ bspw.), was das Peterle (bzw. der Meinrad) in seiner stillen Kammer da so zusammendichtet. Aber irgendwo in diesen Textergüssen lauert womöglich die Ironie, die wir nicht verstehen (und die pickelige Indiestammhörer in Verbindung mit der Musik vermutlich in ekstatischen Taumel reißen). Jedoch: wortgewandt ist er, unser kamerascheuer Peter! Alle Achtung, das muss man ihm lassen! Seine Lesung beim letztjährigen Bachmann-Wettbewerb (wo er ausschließlich von hinten gezeigt wurde) fand ich zB. großartig. Der wusste exakt an den richtigen Stellen die Pointen zu setzen, den Text zu kneten und zu formen etc. So funktionierte das, das hatte Flow und Humor und Esprit und Leichtigkeit und war, auf großzügige Prosalänge ausgestreckt, schließlich tatsächlich gut, GUT! Und KUNST! Schade nur, dass das alles auf den Platten nie hinhauen will.
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@pinch: Gibts deutschsprachige Alben, die nach 2000 veröffentlicht wurden, die dir gefallen?
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
chocolate milk@pinch: Gibts deutschsprachige Alben, die nach 2000 veröffentlicht wurden, die dir gefallen?
Ja, da gibts durchaus einige (wenngleich wenige) Sachen die mir sehr gefallen: Dudajim, Testament der Angst, Tocotronic, Kapitulation, Schafott zum Fahrstuhl, Lenin, die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative… das wars dann wohl auch schon, glaub ich. Bewegen sich aber alle im **** – ****1/2 Bereich auf meiner Rechnung, sind also richtig, richtig starke Sachen!
Ansonsten bleibt nach 2000 nicht ganz so viel, fürchte ich: Tilman Rossmy hat ja schon lange nichts mehr veröffentlicht, Bernd Begemann mag ich mittlerweile nicht mehr (das Debut Album der „Antwort“ finde ich aber nach wie vor hinreißend!), die restlichen bewegen sich zwischen halbwegs okay bzw. grad noch so lala (Friebe, Sterne, Knarf Rellöm, irgendwo auch PeterLicht) bis hin zu völligem musikalischen Abschaum (Seeed, Jan Delay)--
pinchTilman Rossmy hat ja schon lange nichts mehr veröffentlicht, Bernd Begemann mag ich mittlerweile nicht mehr (das Debut Album der „Atnwort“ finde ich aber nach wie vor hinreißend!), die restlichen bewegen sich zwischen halbwegs okay bzw. grad noch so lala (Friebe, Sterne, Knarf Rellöm, irgendwo auch PeterLicht) bis hin zu völligem musikalischen Abschaum (Seeed, Jan Delay).
Es ist sicherlich von Vorteil ganze Alben zu kennen, aber Seeed’s „Ding“ empfand ich damals, in Kombination mit diesem wunderbaren „Tieretanzenimneonlicht“-Clip, ganz vorzüglich. Mehr kenne ich allerdings auch nicht von ihnen. Peter Licht werde ich mir nachher mal bei myspace zu Gemüte führen, Interesse geweckt.
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Hold on Magnolia to that great highway moon -
Schlagwörter: PeterLicht
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