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„Bleibt alles Anders“ hätte man dieses Album auch gut nennen können. Der griffige Titel „Protest“ verwirrt nämlich ein wenig, weil wir es hier möglicherweise mit dem unkritischsten HRK-Album aller Zeiten zu tun haben. Aber dazu später. Es gibt nämlich noch mehr Neues, was Vergleiche mit dem gewohnten Kunze-Stoff recht schwierig macht.
Das erneute Ausscheiden von Heiner Lürig, der diesmal nicht wie bei „Rückenwind“ von einem anderen „starken“ Produzenten ersetzt wurde, führte zu einer nie gekannten Demokratisierung im Studio, und die gesamte Band steuerte Kompositionen bei. Kunzes aktuelle Verstärkung, nun schon zum vierten Mal beisammen, ist nämlich zu einer Einheit zusammengewachsen. Die stark beschäftigten Mitstreiter Jörg Sander (u.a. Lindenberg, Witt, Stürmer), Jens Carstens (u.a. Rosenstolz), Matthias Ulmer (u.a. Anyones Daughter) und der hauptamtliche Produzent Leo Schmidthals, der parallel gerade seine alte Band Selig mit reformiert, haben in der deutschen Musikszene allesamt klangvolle Namen.
Und noch etwas hat sich verändert. Nach zwei Low Budget-Produktionen wurde diesmal wieder richtig Geld in die Hand genommen, um lang vorher an verschiedenen Orten und letztlich noch zwei Monate im Gaga-Studio angemessen arbeiten zu können.Alle diese Zutaten lassen ein untypisches HRK-Album entstehen, dass vor allem denen zu schaffen machen wird, die an Kunze festgelegte Erwartungen haben. Richtig sachliche Kritiken bekommt man also diesmal wohl nur von Hörern, die grad neu bei Kunze einsteigen.
Tatsächlich sind die Themen und Texte der 15 (lim. Ed. mit 17) Songs ein ganzes Stück zurückgenommener. Dabei sollte aber auf der vergeblichen Suche nach dem sonst so triefendem Sarkasmus nicht übersehen werden dass die typisch gekonnten Wortspiele sehr wohl vorhanden sind. Sie beißen nur diesmal nicht so unerbittlich zu.
Wem z.B. die etwas verspätete Abhandlung des Irakkrieges „Astronaut in Bagdad“, zu zahn- und kritiklos daherkommt, dem sei zu dem grandiosen „Operation Medusa“ geraten, einem Kunze-Text aus 2002, der als Liedtext aber leider nur für einen Zwölfminüter getaugt hätte, und bitterer als hochkonzentriertes Cortison ist.
Der Schwerpunkt liegt diesmal auf Liebesliedern, schon nachdenklich, auch mal ein bißchen schwermütig, aber eben positiv. Das wird nicht jeder Altfan ertragen. Mich irritiert es auch. Man muss vor allem erstmal begreifen dass HRK das ernst meint. Früher bekam man ja selbst in seinen Liebesliedern unvermittelt noch was auf die Fresse. Diesmal wartet man vergeblich auf die 180-Grad-Wendung innerhalb des Songs.
Radiotaugliche Nummern wie die erste Single „Längere Tage“, „Einmal noch und immer wieder“ (könnte mit guter Promo zu „Dein ist mein ganzes Herz“ Part 2 mutieren), „Ein besondrer Tag“ oder der herrlich minimalistischen Schlußnummer „Elixier“, haben eine von neuer Leichtigkeit getragene Schwebestimmung, die dem Heinz glatt sein Image versauen können.
Auch luftig leicht, aber eher im textlichen Widerspruch, befindet sich mein bisheriger Favorit „Aber Menschen ?“.
Und bevor der Ballon jetzt ganz davon schwebt, sei erwähnt dass das Album auch vier bis fünf Bretter enthält, die für eine bemerkenswerte stilistische Spannbreite sorgen. „Bagdad“ rockt wie selten zuvor, und die schrägen „Selbst ist die Zerstörung“, „Dagegen“ (mit düster wavigen Keyboards), das bluesige „Warum“ und der Bonustrack „Umsonst rasiert“ tragen ordentlich Hardcoreattitüde ins Feld. Hier bekommt man auch die gewohnte schwere lyrische Kost geboten, die HRK so einzigartig macht. In „Umsonst rasiert“ auch inklusive der Frage was der Künstler uns denn eigentlich sagen will.Dazu kommen die wunderschöne Trennungs-Ballade „Regen in meinem Gesicht“, und die auch nach fast dreißig HRK-jahren das Zeug hat in die Gruppe der Klassiker aufgenommen zu werden, das herrlich entspannt sehnsüchtige „Auf einem anderen Stern“. Hingegen das etwas zu sehr dahinplätschernde „Frei zu sein“, das in die Sackgasse laufende „Möglich“ (die Harmonikahymne) und das belanglose „Sie geht vorbei“ hätte ich nicht haben müssen, zumal aufgrund der ursprünglich Überlegung, ein Doppel-Album zu machen“ über dreißig fertig komponierte Songs zur Auswahl standen. Ein dringend aufs Album gehörender Song versteckt sich übrigens noch auf der gering limitierten Amazon-Edition.
Die Produktion ist übrigens zwiespältig zu sehen. Einerseits professioneller Wohlklang mit glasklaren Konturen, andererseits gelegentlich etwas zu seicht und ganz gelegentlich sogar mal dicht an die Schlagergrenze ausschlagend. Die Chöre oft sehr gefällig und einfallsreich, hier und da aber auch mal etwas zu inflationär eingesetzt. Die Musiker machen einen abgezockten und gekonnten Job, haben auch im Gegensatz zu den beiden Vorgängeralben mehr Raum, sich zu zeigen, aber trotzdem kommt die auch mal rauhe Sessionathmo nicht auf, die man gern mal gehabt hätte. Die Sau kommt nicht richtig raus. Auch die Rocknummern wirken etwas sehr reguliert.
Und obwohl Heinz als Vocalist besser den je daherkommt, wirkt er als Rockshouter nun mal verkleidet.Nicht zufällig gibts auf der Booklet-Rückseite ein Dylan-Zitat, womit ich abschließend zum eingangs erwähnten Albumtitel komme. „all my Songs are protest songs“ antwortete dieser nämlich auf die Frage „Why don´t you write protest songs anymore ?“
Das ist sicher zu einfach um die neue Stimmung auf einem Kunze-Album zu erklären. Aber die Hörer sollten sich auch klarmachen, dass Heinz bereits auf dem Vorgänger „Klare Verhältnisse“ in diese Richtung gedroht hatte. Und dass ein Kunze-Album namens „Protest“ eine Ansammlung von Stücken ist, die sich an den frühen Achzigern orientieren würden, hat niemand im Ernst erwartet. Wir nehmen Albumtitel sowieso zu wichtig.Wertung: knapp ****/5
Ariola Sony, Vö 30.1.09
(lim Ed. mit 2 Bonustracks und Video nur bei Amazon)--
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WerbungDer 2., 3., 4., und 5. Absatz sind doppelt vorhanden.
Schöne Besprechung, scheint ein lohnendes Album zu sein. Das letzte Album, das ich von Kunze kenne ist „Rückenwind“.--
Das Leben macht sich ja mehr und mehr aus dem Staub.Danke Dir.:-)
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Wasser im Mund mir zusammenläuft
Tolle Besprechung, ctte.
Erwarte heute die Amazon-Sonderedition mit 2 zusätzlichen Stücken.--
"And everything I know is what I need to know and everything I do's been done before."„Sie geht vorbei“, von ctte nicht gerade wohlwollend beurteilt, ist für mich eines der zündesten Stücke auf dem Album. Das YES bzw. Styx Intermezzo als ersten Break kann heute wohl nur noch ein Siebzigerjahrerockverehrer wie Kunze bringen. Herrlich anachronistisch.
Ansonste würde ich mich zu der Beurteilung hinreissen lassen, dass die neue Platte in keiner Weise „Gute Unterhaltung“ überbietet. Die ganz großen Melodien, wie noch vor 2 Jahren, wollen ihm nicht gelingen. Zumindest tat ich mich damals mit dem Konsum der Platte auf Anhieb leichter. Mal weiterschauen.
Die Bonustracks sind m.E. verzichtbar.--
"And everything I know is what I need to know and everything I do's been done before."Dennis BlandfordAnsonste würde ich mich zu der Beurteilung hinreissen lassen, dass die neue Platte in keiner Weise „Gute Unterhaltung“ überbietet. Die ganz großen Melodien, wie noch vor 2 Jahren, wollen ihm nicht gelingen. Zumindest tat ich mich damals mit dem Konsum der Platte auf Anhieb leichter. Mal weiterschauen.
Meintest du „Klare Verhältnisse“? „Gute Unterhaltung“ ist inzwischen schon unglaubliche ZWANZIG Jahre her…
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Es ist viel leichter in dem Werke eines großen Geistes die Fehler und Irrthümer nachzuweisen, als von dem Werthe desselben eine deutliche und vollständige Entwickelung zu geben. (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1988, S.531)Da muß ich ausnahmsweise selber lachen.
Ich werde alt u. kann mir nicht mehr alle Plattentitel merken.
Anmerken möchte ich noch, dass ich Heinz dann am schönsten finde wenn er in der Tradition von Degenhardt, Hüsch oder Mossmann mit der Klampfe bewaffnet die Welt verbessern will. Da ist er authentisch u. groß. Auf „Protest“ geschieht dies m.E. nur 1-2 Mal u. dann auch nur solala.
„Klare Verhältnisse“ hält da, gerade zum Schluss („Find mich eines Morgens“, „Woran man mit mir war“), Größeres bereit.--
"And everything I know is what I need to know and everything I do's been done before."
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Danke für den Text, Close to the edge. Ansonsten hätte ich dieses bunte Füllhorn der Selbstverarschung glatt verpasst. Gerade die Tatsache, dass Kunze sich so unglaublich ernst und wichtig nimmt und dabei diesen unterirdischen Schlontz abliefert, hat mir viel Spaß bereitet. Selten so gelacht.
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Dennis Blandfordwenn er in der Tradition von Degenhardt, Hüsch oder Mossmann mit der Klampfe bewaffnet die Welt verbessern will.
Hüsch mit Klampfe? Da verwechselst du wohl was.
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Noch mehr Comics für alle! Jetzt PDF herunterladen!@ Reino: im Zusammenhang mit den Burg Waldeck Festivals ab 1967 meinte ich mich zu erinnern, dass Hüsch auch eine Akustische geschlagen hätte, es waren aber wohl nur Wortvorträge bzw. solche mit eigener Orgelbegleitung.
Wichtiger ist mir die Feststellung wie er seine Lyrics (teilweise) minimalistisch wiedergibt u. in welcher Tardition er dann steht. Wenn er rockt, so urteilt B. Fuss im RS richtig, ist er leider weniger interessant u. eher platt.--
"And everything I know is what I need to know and everything I do's been done before."Dennis BlandfordWenn er rockt, so urteilt B. Fuss im RS richtig, ist er leider weniger interessant u. eher platt.
Ja, da ist was dran. Liegt sicher auch etwas daran dass Rocknummern weniger Raum für ausschweifende Textbausteine und den Kunze-typischen Ausdruck lassen. Und ein Rocksänger ist er nun mal auch nicht wirklich.
Und @ Kramer: Ganz so wichtig wie du nimmt er sich aber nicht.
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Gestern Abend gabs in HH im NDR-Studio eine Albumvorstellung von „Protest“, bei der allerdings der zweite Gitarrist für die Tour noch fehlte.
Hier der Livestream der immerhin 9 Songs vom neuen Album und ein paar Klassiker enthält. Leider ist das ganze ein wenig übersteuert.
http://www.ndr2.de/pages_video_lib/0,,OID5177744_VID5185450_TYPflashhigh_LOCint,00.html
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„Protest“ läuft gerade zum x-ten Mal bei mir durch. Hatte nach dem ersten Hören gedacht, dass ich die Scheibe (ähnlich wie „Alter ego“ damals) recht schnell ins Regal stellen würde. Mittlerweile hat sie sich aber in meinen Ohren zu einem absoluten Grower entwickelt. „Astronaut in Bagdad“, „Aber Menschen?“, „Selbst ist die Zerstörung“, „Auf einem anderen Stern“, „Elixier“ sind richig gute Nummern, die sich auch im Kunzeschen Gesamtwerk durchaus weit vorne einordnen lassen. M.E. ist es Kunze bei diesem Album gelungen, Textinhalte zwar weniger kryptisch als früher, mitnichten aber belangloser zu formulieren. Musikalisch eine eingängige, abwechslungsreiche, sauber produzierte Platte. Sicher, Alben wie „Richterskala“ oder „Draufgänger“ waren sperriger (und erschienen damit sicherlich anspruchsvoller), aber auf „Protest“ zeigt Kunze eine andere seiner Stärken: Pop- / Rocksongs mit grandiosen Harmonien aus dem Handgelenk schütteln zu können. Einziger Minuspunkt: „Sie geht vorbei“ ist musikalisch altbacken und textlich onkelhaft. Aber „es geht vorbei“ und ist bei 15 Stücken zu verkraften.
Ich freue mich auf die Tour zu diesem erfolgreichen Album!--
70% bewerten mit *. Das gibt es sicher selten.
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If you try acting sad, you'll only make me glad.Bei welcher Gelegenheit hast du sie so ausführlich hören müssen, Prodigal Son?
(Ich kenne sie nicht. Meine Leidenschaft für Kunze starb, als ich ungefähr 16 war.)
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Lately I've been seeing things / They look like they float at the back of my head room[/B] [/SIZE][/FONT] -
Schlagwörter: Heinz Rudolf Kunze
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