Gute Texte – mit Begründung!

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  • #7264635  | PERMALINK

    naphta-settembrini

    Registriert seit: 23.10.2008

    Beiträge: 75

    „Aufgewachsen auf dem Lande“ von Hannes Wader

    Aufgewachsen auf dem Lande, in einem kleinen Ort, ich glaube, ich war zu lange nicht mehr dort,
    denn zwischen Kartoffeln und Blumenkohl
    fühl‘ ‚ich mich heute nicht mehr wohl.

    Auf diesem Waldweg parkten damals oft
    Autos in der Dämmerung,
    wenn ein Pärchen drinsaß, dann standen die Jungs
    aus dem Dorfe schon auf dem Sprung.
    Mal schielten sie durchs Fenster, mal wuchteten sie
    halbe Bäume auf das Verdeck,
    wälzten Steine vor die Räder und
    verstopften noch schnell den Auspuff mit Dreck.
    Nie wurde einer von den Flegeln, die je dabei gewesen sind, von den Wageninsassen bemerkt,
    es stimmt, wenn man sagt, die Liebe macht blind.
    Auf diesem Waldweg begegnete mir,
    sehr alt geworden, mit Runzeln im Gesicht Gemeindeschwester Martha,
    sie erkannte mich nicht.
    “ Guten Tag, Schwester Martha. Sie tragen so schwer an Ihrem Korb da, geben Sie ihn mal her.“ Vielleicht traf ich damit nicht den richtigen Ton. Ich streckte nur die Hand aus, da schrie sie schon. Und den Korb fest an die Brust gepreßt,
    schoß sie im Zickzack durch das Geäst.
    Man sah sie, so hörte ich später sprechen,
    im Morgengrauen aus dem Dickicht brechen,
    die Röcke gerafft, von Domen zerstochen,
    mit Tau in den Haaren, doch ungebrochen.

    Refrain

    In diesem Teich haben alle Jungs aus dem Dorfe früh das Schwimmen gelernt.
    Einer war mal da, der hatte sich im Spiel
    ein wenig von den andern entfernt.
    Als er aufsah, waren alle fort, nur an dem Platz, wo seine Hose lag,
    rasteten fast funfzig Mädchen,
    eine Klasse, die hatte Wandertag.
    Nun meinte er, von seiner Blöße,
    wie sollte er’s auch besser wissen,
    den hinteren Teil als die größere Fläche
    mit den Händen verbergen zu müssen.
    Die Mädchen kreischten, und rückwärts stolpernd, stürzte er zitternd und nackt nach Haus.
    Danach zog er drei Jahre lang
    seine Kleider auch im Bett nicht mehr aus.
    An diesem Teich begegnete mir
    nicht mehr so hübsch und mit Übergewicht
    eine Jugendliebe, sie erkannte mich nicht.
    Doch der kleine Junge an ihrer Hand,
    fast schien es, als habe er mich erkannt,
    der Kleine brüllte und zeigt dabei
    mit dem Finger auf mich, schnell lief ich vorbei. Denn auf dem Land bedeutet das nie Gutes,
    hier glaubt man noch an die Stimme des Blutes und daran, daß stets alle Blöden,
    Besoffne und Kinder die Wahrheit reden.

    Refrain

    In diesem Hause wuchsen mein Bruder
    und ich gemeinsam heran,
    mein Bruder war sehr brav, tat nie etwas Böses,
    soweit ich mich erinnern kann.
    Am liebsten saß er den ganzen Tag
    still unterm Tisch auf seinem Topf,
    sprach mit sich selbst, dazu wackelte er
    unablässig mit dem Kopf.
    Mit den Jahren drückte der Rand des Töpfchens
    sich deutlich auf seiner Rückfront ab
    in Form eines flammend roten Kreises,
    worum ich ihn sehr beneidet hab,
    denn ich dachte, bei allen gehorsamen Kindern
    müsse das auch so ähnlich sein,
    nur die Bravsten hätten an dieser Stelle
    genau den gleichen Heiligenschein.
    Vor diesem Hause stand ich jetzt,
    um durchs Fenster zu seh’n, was mein Bruder so macht. Eben hatte seine Frau das Abendbrot gebracht,
    eine Frau, die so aussah, wie ein Mann sie erwählt, dem jeglicher Sinn für schöne Dinge fehlt.
    Meine Neffen, lauter Kindergreise,
    hockten am Tisch und beteten leise:
    “ Gott, gib uns ein langes Leben auf Erden,
    und achte darauf, daß wir nicht so werden
    wie unser Onkel aus der Stadt,
    der sie nicht alle auf der Latte hat“ .

    Wer es kennt, weiß neben der lyrischen Offenbarung sicher auch die schöne Gitarrenbegleitung zu schätzen.

    --

    Gimme shelter.
    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #7264637  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Naphta &eine Frau, die so aussah, wie ein Mann sie erwählt,
    dem jeglicher Sinn für schöne Dinge fehlt.

    Ohne Wader nähers zu kennen, dachte ich bislang so aus der Ferne, er sei ein humorloser Altlinker, der bloß über Moorsoldaten singt.
    Gibt es von ihm noch mehr solche Meistertexte, womöglich ebenfalls mit „schöner Gitarrenbegleitung“?
    Ich bitte um Empfehlungen!

    --

    #7264639  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    alles viel zu lang! Mein Favorit im Moment:

    „These girls fall like dominos“

    (und irgendwas davor und dahinter, ist nicht wichtig…)

    --

    #7264641  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Naphta &“Aufgewachsen auf dem Lande“ von Hannes Wader

    Aufgewachsen auf dem Lande, in einem kleinen Ort, ich glaube, ich war zu lange nicht mehr dort,
    denn zwischen Kartoffeln und Blumenkohl
    fühl‘ ‚ich mich heute nicht mehr wohl.

    Song über die „Ostereierwiese“?

    --

    #7264643  | PERMALINK

    carrot-flower
    Moderator

    Registriert seit: 26.09.2007

    Beiträge: 3,122

    tolomoquinkolomVielleicht handelt der Song auch von einer über reine Männerfreundschaft hinausgehenden unterdrückten Liebesgeschichte und es geht Oldham hier auch um das nichtgelebte Leben im gelebten.

    Letzteres denke ich auch, mir scheint es aber eher nicht um gesellschaftliche Konventionen zu gehen, die einem das Leben vermiesen (etwa die Ächtung von Homosexualität), sondern um ein grundsätzliches Lebensgefühl, die Große Trauer, die zuweilen die Oberhand gewinnt. Und der Song ist sowohl eine Liebeserklärung an einen Freund als auch ein großes Zögern, denn das Lyrische Ich weiß nicht, ob der Freund stark genug oder willens ist, seine Düsternis mitzutragen oder überhaupt Verantwortung zu übernehmen. Wer will schon den Satz hören: „There’s a hope that somehow you can save me from this darkness“? Das Ränzel ist doch etwas schwer.

    Themen sind das vorm Frühstück, pfui deifi.

    --

    the pulse of the snow was the pulse of diamonds and you wear it in your hair like a constellation
    #7264645  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    bullschuetzOhne Wader nähers zu kennen, dachte ich bislang so aus der Ferne, er sei ein humorloser Altlinker, der bloß über Moorsoldaten singt.
    Gibt es von ihm noch mehr solche Meistertexte, womöglich ebenfalls mit „schöner Gitarrenbegleitung“?
    Ich bitte um Empfehlungen!

    Dunkel erinnere ich mich an „Das Schwein Monika“. Wader auf seine seine DKP Vergangenheit zu reduzieren, würde ihm mit Sicherheit nicht gerecht. Gerade vor seiner parteipolitischen Festlegung (also in den 60ern und frühen 70ern) hat er viele subversive aber auch witzige und unterhaltsame Lieder verfasst und aufgeführt.
    Die Hinwendung zur traditionellen Musik seiner friesischen Heimat später brachte auch ein paar hübsche Interpretationen alter Volkslieder hervor.

    --

    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
    #7264647  | PERMALINK

    beetlejuice

    Registriert seit: 15.01.2008

    Beiträge: 7,606

    Diesen Text finde ich gut, gerade weil er so einfach ist:

    Funny Van Dannen, Räumliche Distanz

    Wenn man so rumsitzt und sich so umschaut
    Sieht man die Welt rings umher
    Und wenn sie schön ist benimmt man sich so
    Als ob man ein Teil von ihr wär
    Wenn man so rumsteht und sich so umschaut
    Fällt vielleicht wieder mal Schnee
    Und es wird Abend, wo ist die Liebe
    Ist sie da wohin ich jetzt geh

    Während du lachst sind viele andere traurig
    Und wenn du stirbst werden viele einen Orgasmus haben
    Das hört sich schlimm an – ist es aber nicht ganz
    Denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz

    Man kann seine Schönheit verkaufen
    Und mancher verkauft sein Geschick
    Man kann seine Kraft verkaufen
    Und manche verkaufen ihr Glück
    Manche verkaufen Geheimnisse
    Manche nehmen sie mit ins Grab
    Ich verkaufe meine Liebe
    Das Beste was ich hab

    Während du schläfst haben andere Hunger
    Und während du frühstückst bringen andere sich um
    Das hört sich schlimm an – ist es aber nicht ganz
    Denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz

    Wenn man so rumläuft und sich so umschaut
    Sieht man vielleicht was – wer weiß
    Und es wird morgen, ist das die Freiheit
    Fragst du sie nach ihrem Preis
    Was ist das Gegenteil von nichts
    Hab ich dich einmal gefragt
    Ist es etwas, oder alles
    ‚Küss mich‘ hast du gesagt

    Während du verliebt bist sind andere völlig verzweifelt
    Und während du verwöhnt wirst werden andere von Bomben zerfetzt
    Das hört sich schlimm an – ist es aber nicht ganz
    Denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz

    Während du lachst sind viele andere traurig
    Und wenn du stirbst werden viele einen Orgasmus haben
    Das hört sich schlimm an – ist es aber nicht ganz
    Denn zum Glück gibt es die räumliche Distanz

    --

    [/SIZE][/FONT]A Supposedly Fun Thing I'll Never Do Again.[/B]
    #7264649  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    MikkoWader auf seine seine DKP Vergangenheit zu reduzieren, würde ihm mit Sicherheit nicht gerecht. Gerade vor seiner parteipolitischen Festlegung (also in den 60ern und frühen 70ern) hat er viele subversive aber auch witzige und unterhaltsame Lieder verfasst und aufgeführt.

    Danke für den Hinweis! Ich werde der Spur demnächst mal folgen.
    Und Degenhardt, Mossmann, Süverkrüpp – womöglich auch alle anhörbar?!

    --

    #7264651  | PERMALINK

    angryalpaka

    Registriert seit: 21.09.2009

    Beiträge: 20

    Einer meiner Lieblingstexte ist von Radiohead’s Fitter Happier:

    fitter happier more productive
    comfortable
    not drinking too much
    regular exercise at the gym (3 days a week)
    getting on better with your associate employee contemporaries
    at ease
    eating well (no more microwave dinners and saturated fats)
    a patient better driver
    a safer car (baby smiling in back seat)
    sleeping well (no bad dreams)
    no paranoia
    careful to all animals (never washing spiders down the plughole)
    keep in contact with old friends (enjoy a drink now and then)
    will frequently check credit at (moral) bank (hole in wall)
    favours for favours
    fond but not in love
    charity standing orders
    on sundays ring road supermarket
    (no killing moths or putting boiling water on the ants)
    car wash (also on sundays)
    no longer afraid of the dark
    or midday shadows
    nothing so ridiculously teenage and desperate
    nothing so childish
    at a better pace
    slower and more calculated
    no chance of escape
    now self-employed
    concerned (but powerless)
    an empowered & informed member of society (pragmatism not idealism)
    will not cry in public
    less chance of illness
    tyres that grip in the wet (shot of baby strapped in back seat)
    a good memory
    still cries at a good film
    still kisses with saliva
    no longer empty and frantic
    like a cat
    tied to a stick
    that’s driven into
    frozen winter shit (the ability to laugh at weakness)
    calm
    fitter, healthier and more productive
    a pig
    in a cage
    on antibiotics

    Und da das ganze noch von einem Computer gesprochen wird kommt es besonders gut rüber.
    Eigentlich sidn alle Texte vom Album Ok Computer sehr genial, aber dieser hier ganz besonders.

    --

    #7264653  | PERMALINK

    nes

    Registriert seit: 14.09.2004

    Beiträge: 61,722

    bullschuetz Süverkrüpp – womöglich auch alle anhörbar?!

    Dann empfehle ich Tina Teubner / Ben Süverkrüp live.
    Böse Sachen.
    Lohnt sich.
    Dietrich ist der Vater von Ben.

    --

    #7264655  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,712

    Vancougar „Obvious“

    It’s so obvious to me we were meant to be in love
    Oh

    Alle Wahrheiten dieser Welt, mehr braucht es nicht.

    --

    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #7264657  | PERMALINK

    grandandt

    Registriert seit: 10.10.2007

    Beiträge: 24,622

    Da habe ich auch noch einen Einzeiler:

    TMBG – Shoehorn With Teeth


    People should get beat up for stating their beliefs

    --

    Je suis Charlie Sometimes it is better to light a flamethrower than curse the darkness. T.P.
    #7264659  | PERMALINK

    barfly

    Registriert seit: 19.12.2006

    Beiträge: 79

    Hallo,

    ihr habt hier ja wirklich interessante und gute Texte ausgegraben. Zu meiner Überraschung werden hier sogar Texte der deutschen Liedermacher der 60iger und 70iger vorgestellt.
    Ich möchte hier aber 2 Texte von Liebesliedern vorstellen:
    Speziell Timbuk3 auf der ‚Greetings from Timbuk 3‘ haben einige grandiose Texte

    Den Text hier liebe ich allerdings besonders, denn er ist untrennbar mit meiner Beziehung verbunden.
    Und Textzeilen wie hier sind mMn wunderschön.

    The Pogues
    Once Upon A Time

    The hour’s late and the lights are low
    I’m walking home just kicking stones
    I waited at the depot you never showed
    You missed the last bus hours ago
    I remember the first time
    I saw you on the street
    You looked so pretty my heart skipped a beat
    I can’t wait any longer but I still feel the heat
    I’m down but I’m still on my feet

    I walked on down the old fairground
    Up from the docks blew a lonely sound

    I sat for a while on the cold hard ground
    Watched the stars slowly turn as the earth spun around
    As the past falls behind up ahead there’s a crack
    Of light shining bright through the night so black
    Like a runaway train rolling down the track
    From here there’s no turning back

    Listen to me baby
    Once upon a time
    My heart was an ocean
    You swam against the tide
    The time is past for grieving
    My tears have all run dry
    I’ll leave you with my love
    And now I say goodbye

    The bottles broke the glasses are cracked
    The cards are all dealt and the chips have been stacked
    The lamp shades busted and the curtains are torn
    The door keeps knocking but there’s nobody home
    I stood by the road brushed a tear from my eye
    Cursed the cars and the rain and the rolling grey sky
    I turned around turned my back on that town
    And I never looked back again

    Timbuk3
    I Need You

    I need you to help me find my way
    I need you at the end of the day
    I need you when I’m searching for a sign
    I need you when I’m way out of line

    I need you to help me to be strong
    I need you like a singer needs a song
    I need you like the darkness needs the light
    I need you in the middle of the night

    The road’s full of dangerous curves
    We don’t wanna go too fast
    We may not make it first
    But I know we’re gonna make it last

    I need you when I’m up on the stage
    I need you help me rattle my cage
    I need you when I’m 10 feet off the ground
    I need you to help me get back down

    --

    Ciao BarFly Gute Musik ist gute Musik, egal welche Stilrichtung!
    #7264661  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    bullschuetzOhne Wader nähers zu kennen, dachte ich bislang so aus der Ferne, er sei ein humorloser Altlinker, der bloß über Moorsoldaten singt.
    Gibt es von ihm noch mehr solche Meistertexte, womöglich ebenfalls mit „schöner Gitarrenbegleitung“?
    Ich bitte um Empfehlungen!

    Ein Lied von Hannes Wader, das ich sehr mag, ist „Wieder eine Nacht“. Der Text des Liedes passt durchaus in diesen Thread: In seinen unsentimentalen Impressionen fängt er viel von der Tristesse des Alltags ein und die Traumsequenz der letzten Strophe ist sehr eindrücklich. Wader betreibt keine Nabelschau, sondern blickt auf die Welt, und er macht keine Jammerei aus seinem Thema – der Text bleibt in jeder Hinsicht gefasst.

    Hannes Wader – „Wieder eine Nacht“ (1974)

    Wieder eine Nacht, eine von den viel zu vielen,
    an denen wieder mal der Schlaf nicht kommen will.
    Und wie schon so oft ziehts dich gegen deinen Willen,
    in die dunklen Straßen ohne ein bestimmtes Ziel.

    Und achtlos stößt du so, als wenn es ein Papierknäuel wär,
    mit den Füßen eine tote Taube vor dir her.
    Die Mädchen stehen wartend an der Mauer bei der Bahn,
    sie kennen dich und sprechen dich schon lange nicht mehr an.

    Der Mann dort steht im Schatten, tut als wenn er liest,
    und traut sich erst heraus, wenn dein Schritt verklungen ist.

    Refrain:
    Manche, die dir hier begegnen, sind dir ähnlich, sind allein,
    manche, weil sie niemand haben, andre wolln alleine sein.
    Und sie sehen dich nicht an, tasten sich an dir vorbei
    und verbergen doch ihr Mißtrauen, ihre Angst nur schlecht dabei,
    als wenn ihre Einsamkeit schon ein Vergehen sei.

    Und in jeder Bar siehst du nachts auf deinen Wegen
    viele fremde Männer, volle Gläser in der Hand.
    Sie wollen ihren Kopf nicht auf den Fettfleck legen,
    der über ihrem schäbigen Hotelbett an der Wand

    von den Köpfen vieler hundert andrer Männer stammt,
    die vor ihnen hier lagen, und wie sie dazu verdammt
    zu trinken, daß die Barfrau ein Wort mit ihnen spricht,
    mit der sie sich nie zeigen würden, nicht bei Tageslicht.

    Auch sie weiß das genau, ohne daß sie es verrät,
    doch sicher läßt sie keinen von ihnen in ihr Bett.

    Refrain

    Und beim Pissoir, wo die Stricher wieder warten,
    unter Büschen, Bäumen, die du nie so düster sahst,
    drehst du dich gleich um und meidest diesen Garten,
    weil du noch von früher her ein Bild vor Augen hast:

    Den schwulen Alten, morgens früh im Stiefmütterchenbeet,
    den Schädel eingeschlagen und auf den Bauch gedreht.
    Sein Hirn schon in der Nacht von den Blumen aufgesaugt,
    lag er ohne Hose da, ganz mager, ausgelaugt

    von einem Leben voller Elend, wie sein Tot so grau,
    und sein Toupet hing noch im Dornbusch, feucht von Blut und Tau.

    Refrain

    Auch im Wartesaal dösen jetzt betrunkne Männer,
    reden mit sich selbst, immer nur den gleichen Satz.
    Auch du setzt dich an den Tisch, zu jenem Wermutpenner,
    der findet jede Nacht hier seinen warmen Platz.

    Frische Narben, Tage alter Schmutz verdecken fast
    an seinem Handgelenk die Tätowierung aus dem Knast.
    Vornüber auf den Tisch gesunken, wie die meisten hier,
    den Kopf in einer Lache aus Rotwein, Rotz und Bier.

    Du fragst dich wie er so verbogen, eingeknickt und krumm
    noch schlafen kann, und du beneidest ihn darum.

    Refrain

    Du sitzt da und fängst nach und nach selber an zu träumen,
    siehst dich als kranke Taube, die sich kaum noch regt.
    Hast dich fernab von Luft und Sonne und von hohen Bäumen
    im Luftschacht eines Hauses zum Sterben hingelegt.

    Und aus den tristen Fensterlöchern über deinem Grab
    fallen Auswurf und Gestank pausenlos auf dich herab.
    Geräusche hörst du, während deine Lebenskraft verrinnt,
    von denen Röcheln, Spucken, Fluchen nicht die schlimmsten sind.

    Doch ganz hoch über dir kannst du ein helles Viereck sehen,
    ein Stück Himmel, ein Stück Hoffnung, schon bewegst du deine Zehen,
    stehst auf, schlägst mit den Flügeln und erwachst bei dem Versuch,
    dich hochzukämpfen zu dem Fleck, der Leben heißt für dich, der doch nur aussieht wie ein oft benutztes Taschentuch.

    Refrain

    --

    To Hell with Poverty
    #7264663  | PERMALINK

    amadeus

    Registriert seit: 04.12.2003

    Beiträge: 10,741

    @Go 1: ein sehr schönes Lied von Wader. Sehr zu empfehlen.

    @Bullschuetz: am besten gefallen mir die alten Sachen von Wader wie „Rattenfänger“, „7 Lieder“ und „ich hatte mir noch so viel vorgenommen“. Die Texte sind teils ironisch und witzig, teils sozialkritisch, teils deftig und derb. Überwiegend Balladen mit ansprechender Gitarrenbegleitung. Hier solltest du unbedingt reinhören. Anspieltips: „Schon so lang“, „es ist schon viele Jahre her“, „manche Stadt“, „heute hier, morgen dort“, „Charley“ und viele mehr.

    --

    Keep on Rocking!
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