Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

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    The Wicker Man
    (Regie: Robin Hardy – Großbritannien, 1973)

    Police Sergeant Howie (Woodward) bekommt einen Brief, in dem er gebeten wird, auf einer schottischen Insel das Verschwinden eines 12-jährigen Mädchens aufzuklären. Als er auf der Insel ankommt, merkt er ziemlich schnell, dass etwas nicht stimmt. Niemand will das Mädchen gesehen oder gekannt haben, Kirchen sind verwüstet, die Einheimischen pflegen seltsame Sitten und Gebräuche. Zu spät merkt Howie, dass der Herscher der Insel, Lord Summerisle (Christopher Lee), ein teuflisches Spiel mit ihm treibt…

    Nachdem sich das Christentum durch Europa und Amerika planiert hatte, schickten sich die Bulldozer an, auch im Rest der Welt eine Monokultur zu errichten, die den Gesetzen und Riten des karnevalistisch-kannibalistischen Totenkults der aufgeblähten römischen Sekte gehorchte, welche dem jüdischen Sohn einer bettelarmen Zimmermannsfrau, geschwängert von einem „heiligen“ Geist, bis zum heutigen Tage huldigt.
    In Robin Hardys „The Wicker Man“ verschlägt es Edward Woodward in der Rolle des Police Sergeant Howie auf eine rurale schottische Insel, wo sich abseits der britischen Hauptinsel und des europäischen Festlands ein heidnischer Kult entwickeln konnte, der der finsteren Lebens- und Liebesverachtung des Christentums eine positivere Sichtweise des Daseins entgegensetzt, nicht ohne eigene Schattenseiten.
    Nach Jahren der aus dem Vollen schöpfenden Apfelernten, kommt es zum ersten Mal zu einer Missernte. Ein Menschenopfer soll Abhilfe schaffen. Ein kleines Mädchen an der Schwelle zur Pubertät wird vermisst.
    So macht sich also der Polizist auf den Weg, das Verschwinden aufzuklären. Er ist ein bemitleidenswerter Mann, dessen völlige Leere nur durch seine Polizeiuniform und die auswendig gelernten Glaubenssätze der christlichen Religion zusammengehalten und vor der Implosion in ein schwarzes Loch bewahrt wird. In ihm spiegeln sich alle geistigen und seelischen Deformationen wider, welche die totalitäre Herrschaft des Christentums in der Welt verbreitet hat. Angefangen bei einer völlig wertlosen Autoritätshörigkeit, die nicht nur auf tönernen Füßen steht, sondern völlig unbegründet ist, bis zu einer phantasielosen Lustfeindlichkeit, die tiefere, schmerzvollere Ursachen haben muss, als nur eine zu eng geknüpfte Uniform.
    „The Wicker Man“ ist fest im Geiste der Hippiebewegung verankert, die den überkommenen Mief der althergebrachten Lebensweise überwinden will, und den Pestgeruch des Kadavergehorsams aus den bunten Kleidern schlägt, sowie die starr- und unsinnigen Regeln verlacht und bricht. Kann man bei diesem Totengestank überhaupt noch von einer „Lebensweise“ sprechen? Durch die vergammelten Zähne der Alten pfeift allein schon der Tod sein Liedchen, seine Weise des Grauens.
    Musik spielt eine große Rolle, manche sehen in Hardys Film sogar ein Musical. Soweit würde ich nicht gehen, aber „The Wicker Man“ ist einer der seltenen Fälle, in der ein Filmemacher seiner Vision konsequent folgt, ohne sich um Konventionen zu scheren. Im Spannungsfeld zwischen schottischer und englischer Folklore, sowie den popmusikalischen Klängen des Folk Rock im Sinne der Incredible String Band oder Comus, wird der Film vom Herzschlag der Musik vorangetrieben, komponiert von Paul Giovanni, dargeboten und eingespielt vom Cast und der Gruppe Magnet.
    „The Wicker Man“ hätte es bei einem heutigen Kinostart schwer, zu sehr würde man die Parallelen zur „Mär vom edlen Wilden“, die den naturwissenschaftlichen Zynikern des Fortschritts, die erstaunlicherweise noch mehr bornierte Dummheiten auf Lager haben als gläubige Christen, nicht mehr zugänglich ist, ausbreiten und gutmütig glucksend die Naivität hinter den Gedanken beschmunzeln. Police Sergeant Howie ist so sehr in seinen vermeintlichen Überzeugungen gefangen, dass er nicht in der Lage ist, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Die für seine Augen schockierende Lebensweise der Inselbewohner ist nicht befremdlicher, als die Riten und Kulthandlungen, denen er im Namen Jesus Christus anhängt. Der spirituelle Kahlschlag, den seine Religion verantworten muss, hinterlässt eine Leere, die ihn zusammenzucken lässt, wenn er auf geistiges Leben trifft, das nicht der leblosen, genormten Ödnis entspricht, die man in ihn während seiner Kindheit und Jugend hineingeprügelt hatte.
    Das Traurige ist nicht der Tod eines Menschen zum Schluss dieses Films, sondern dessen ekelhafte Auferstehung in der Mehrheitsgesellschaft, die sich leider nicht so einfach verbrennen lässt, während sie ihren tief verinnerlichten, aber absolut nutzlosen Katechismus vor sich herbetet.
    Mit Christopher Lee, der „The Wicker Man“ zu seinen Lieblingsarbeiten zählt, und Britt Ekland (bekannt aus einem der vielen „James Bond“-Reißer) sind auch weitere Rollen mit großen Namen besetzt, alle machen ihre Sache tadellos, ebenso wie der Kameramann, der aus ruhigen, idyllischen Bildern infernalisches Grauen enstehen lässt, nicht ohne kecke, surreale Schlenker, die den mysteriösen Horror mit Witz und Humor unterfüttern. Eine saftige Bilderwelt, die sich nach allen Richtungen streckt, aber vor allem der Sonne zustrebt, während Edward Woodward in seiner Uniform verdörrt und verkrüppelt.
    Schon damals versuchten die Produzenten Robin Hardys Pflanze im Keim zu ersticken und brachten den Film in einer Fassung in die Kinos, die so vom Regisseur nicht gewollt war und ca. 15 Minuten an Material vermissen ließ. Erst Jahrzehnte später konnte ein „Director’s Cut“ veröffentlicht werden. Umso erstaunlicher, dass „The Wicker Man“ auch im „Original Theatrical Release“ seine betörende Wirkung entfaltet. Da das Beschneiden der Triebe nicht fruchtete, beschloss man 30 Jahre später mit härteren Mitteln vorzugehen und dieses filmische Unikat mit der DDT-Wirkung eines Remakes endgültig zu vergiften. Es ist ihnen nicht gelungen. Die Sonne wird wieder aufgehen.

    Trailer

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    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #4534557  | PERMALINK

    stormy-monday
    Natural Sinner

    Registriert seit: 26.12.2007

    Beiträge: 21,495

    Sehr schön, Harry.

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    ...but everybody wants you to be just like them                              Contre la guerre    
    #4534559  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,712

    Glatzer / Westmoreland – The Last of Robin Hood. Laues Skript, lausige Regie, aber den drei Hauptdarstellern gelingen einige anrührende Szenen.

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #4534561  | PERMALINK

    sonic-juice
    Moderator

    Registriert seit: 14.09.2005

    Beiträge: 10,983

    Das Tagebuch der Anne Frank (Hans Steinbichler)
    Einiges ist sicherlich künstlerisch und dramaturgisch diskutabel, insbesondere zu Beginn und Ende des Films, also dort wo die Erzählzeit des Tagebuchs überschritten wird. Und die gefühlsverstärkende Streicheruntermalung hätte man etwas dezenter einsetzen können. Die Inszenierung bewegt sich nie abseits tradierter Mainstream-Arthouse-Konventionen und adressiert das große Publikum, vermutlich kann man an einen solchen Stoff mit Blick auf die Erwartungen der Förderer, Lizenzgeber, Verleiher, Geschichtslehrer und Millionen Leser auch gar nicht anders herangehen -bzw. käme das hierzulande jedenfalls niemandem ernsthaft in den Sinn. Dafür gelingt es Steinbichler immerhin, Anne Frank als komplexe Persönlichkeit zu zeichnen und ein recht heutiges Bild von ihr zu vermitteln. Und Lea von Acken spielt mit einer Sensibilität, Frische und Natürlichkeit, die auch auf ihre Mitspieler, insbesondere Ulrich Noethen und Martina Gedeck, abfärbt – durchaus filmpreiswürdig.

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    I like to move it, move it Ya like to (move it)
    #4534563  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Stormy MondaySehr schön, Harry.

    Danke. Kennst du den Film im „Director’s Cut“?

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    #4534565  | PERMALINK

    witek-dlugosz

    Registriert seit: 19.11.2010

    Beiträge: 5,114

    Harry, schreibst du deine Filmkritiken eigentlich nur fürs Forum oder hast du auch einen Blog?

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    #4534567  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Witek DlugoszHarry, schreibst du deine Filmkritiken eigentlich nur fürs Forum oder hast du auch einen Blog?

    Das hat vor ein paar Jahren in einem alternativen HipHop-Forum begonnen. Zuerst waren es Einzeiler mit einer Wertung am Ende…und nach und nach wurden dann längere Texte daraus. Kann man als Blog sehen, zumindest poste ich meine Eindrücke dort zuerst. ;-)

    --

    #4534569  | PERMALINK

    kurganrs

    Registriert seit: 25.12.2015

    Beiträge: 8,990

    Stormy MondaySehr schön, Harry.

    @ Harry Rag,
    hat mir auch sehr gut gefallen!
    Wenn ich’s sagen darf, weiter so… Daumen hoch! ;-)

    Wo kann man deinen Blog lesen/sehen?

    #4534571  | PERMALINK

    cleetus

    Registriert seit: 29.06.2006

    Beiträge: 17,576

    Spotlight ****1/2
    Spuren des Bösen – Liebe **
    Die Akte General ***1/2 („Dann schickensee mein‘ juten Froind Ben Jurion meine besten Jerüße!“)
    Der Fall Barschel ****
    Wie nah am wirklichen Barschel war denn Matschkes Darstellung?

    --

    Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the block
    #4534573  | PERMALINK

    tina-toledo
    Moderator

    Registriert seit: 15.06.2005

    Beiträge: 13,392

    Deadpool (Tim Miller, 2016) * * *

    Die Tatsache, dass dieser Film in dieser Form existiert, ist prima. Als Film hat er aber Schwächen, allem voran die Wechsel im Tonfall von ultradistanziertironisch zu Drama und zurück.

    The Sacrament (Ti West, 2013) * * * 1/2

    Mit Found Footage werde ich immer noch nicht so richtig warm, aber im Rahmen dessen sehr gelungen.

    The Innkeepers (Ti West, 2011) * * * 1/2

    Hier funktionierte die Tonus-Schwankung… Als nächstes steht dann „House Of The Devil“ an.

    --

    Sir, I'm going to have to ask you to exit the donut!
    #4534575  | PERMALINK

    fifteenjugglers
    war mit Benno Fürmann in Afghanistan

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 11,597

    25.02.16

    „OOKAMI KODOMO NO AME TO YUKI“ („AME & YUKI – DIE WOLFSKINDER“) von Mamoru Hosoda (Japan 2012). Nicht viel zu meckern. Der bessere „BOYHOOD“. ****

    26.02.16

    „DER MANN DER VOM HIMMEL FIEL“ von Nicolas Roeg (Großbritannien 1975). Über weite Strecken toll, aber auch deutlich zu lang. Und die deutsche Synchronisation ist s.c.h.l.e.c.h.t. Knapp: ****

    28.02.16

    „ZERKALO“ („DER SPIEGEL“) von Andrej Tarkowskij (Sowjetunion 1975). Die Archivaufnahmen fand ich überflüssig. Davon abgesehen schön, aber insgesamt wahrscheinlich der schwächste Tarkowskij (damit aber immer noch besser als das meiste vom Rest). ****

    29.02.16

    „GUSUKÔ BUDORI NO DENKI“ („DAS LEBEN DES BUDORI GUSKO“) von Gisaburo Sugii (Japan 2012). ***1/2

    --

    "Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"
    #4534577  | PERMALINK

    witek-dlugosz

    Registriert seit: 19.11.2010

    Beiträge: 5,114

    Harry RagDas hat vor ein paar Jahren in einem alternativen HipHop-Forum begonnen. Zuerst waren es Einzeiler mit einer Wertung am Ende…und nach und nach wurden dann längere Texte daraus. Kann man als Blog sehen, zumindest poste ich meine Eindrücke dort zuerst. ;-)

    Danke! Ganz schön viel Arbeit für ein reines Foren-Projekt. Hut ab!

    --

    #4534579  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    @ kurganrs: Einfach mal auf die rote Schrift im Beitrag über dir klicken. ;-)
    @Witek Dlugosz: Ich mach das vor allem für mich, damit nicht alle Filme einfach an mir vorbeirauschen. So festigen sich die Eindrücke besser.

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    #4534581  | PERMALINK

    cleetus

    Registriert seit: 29.06.2006

    Beiträge: 17,576

    Auf kurze Distanz ****
    Wieso essen mafiöse Ausländer im Film eigentlich immer so, als ob sie es relativ eilig haben, mit gesenktem Kopf, nach vorne gebeugt und hektisch? So „Jetzt glangts aber mal gscheid zu, Jungs!“-mäßig. Achtet mal drauf.

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    Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the block
    #4534583  | PERMALINK

    fifteenjugglers
    war mit Benno Fürmann in Afghanistan

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 11,597

    02.03.16

    „HAIL, CAESAR!“ von Joel und Ethan Coen (USA 2016). Joah, nett. ***1/2 (knapp)

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    "Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"
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