Blonde Redhead, Karlstorbahnhof Heidelberg

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  • #44869  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    So, die BR-Kritik ist jetzt auch online. Ihr könnt sie hier lesen:

    http://www.regioactive.de/story/5471/blonde_redhead.html

    In einer der klügsten Albumkritiken der letzten Jahre versuchte das amerikanische Online-Musikmagazin Pitchfork seinen Lesern die Bedeutung von Sonic Youths Meisterwerk Daydream Nation näherzubringen, indem es erklärte, die Wertschätzung für dieses Album sei essentiell für das Selbstverständnis der Fans des amerikanischen Indie-Rocks. Sie definierten sich als Fans sogar in maßgeblicher Weise durch dessen Kanonisierung. Sonic Youth repräsentierten sozusagen einen zentralen Bezugspunkt, auf den immer wieder Bezug genommen wird, wenn es darum geht, amerikanischen Indie-Rock einzuordnen und zu bewerten. Im Fall von Blonde Redhead liegt der Einfluss von Sonic Youth offen zu Tage. Sie existieren in derselben musikalischen Welt und würden vermutlich die Bedeutung ihrer berühmten Kollegen für ihr eigenes Werk jederzeit zugeben, vor allem da sie von Sonic Youths Schlagzeuger Steve Shelley entdeckt wurden, der auch ihren 1995 erschienenen Erstling produzierte.

    Blonde Redhead sind ein Trio, das aus den Zwillingsbrüdern Simone (Schlagzeug) und Amedeo Pace (Gitarren und Gesang) sowie dessen Ehefrau Kazu Makino besteht, die als Sängerin, Gitarristin und Keyboarderin fungiert. Die ungewöhnliche Kombination aus zwei italo-amerikanischen Zwillingsbrüdern und einer japanisch-amerikanischen Kunststudentin konnte natürlich nur an einem einzigen Ort der Welt entstehen: in einem italienischen Restaurant in New York City.

    Dieses Jahr erschien ihr siebtes Album, kurz 23 betitelt, auf dem bekannten 4AD Label. Blonde Redhead entfernen sich auf diesem weiter vom feedback-durchtränkten Indie-Rock und nehmen neue Elemente in ihren Sound auf. Sogar nach dieser Veröffentlichung, die ihnen in den USA viele positive Kritiken einbrachte, dürften hierzulande nur diejenigen den Namen der Band kennen, die sich häufig mit amerikanischem Indie-Rock beschäftigen. Knapp dreihundert vornehmlich junge Fans haben sich dennoch am Samstagabend im Karlstorbahnhof versammelt, um den Auftritt der Band im Rahmen der Delta Connection zu erleben. Das Konzert zeigt in aller Deutlichkeit, in welche Richtung die Band ihren Sound weiterentwickelt hat. Blonde Redhead verwenden neuerdings elektronische Loops, die als Grundlage für Gitarren und Schlagzeug dienen und die Funktion des Basses übernehmen. Simone Pace ist ein außergewöhnlich präziser und kontrollierter Drummer, der den Songs ein genau bestimmtes Tempo verleiht. Gleichzeitig erhalten die Gitarren genügend Raum durch seine unauffällige, aber effektive Spielweise. Kazu Makino und Amedeo Pacen erzeugen dazu mit den Gitarren, zu denen gelegentlich ein Keyboard hinzugefügt wird, einen wall of sound, der sich vornehmlich durch seine Elastizität und Offenheit auszeichnet und selten sperrig oder gar aggressiv wirkt.
    Abwechselnd übernehmen Kazu Makino und Amedeo Pace die Gesangsparts. Kazu zieht durch ihre hohe Stimme die Aufmerksamkeit auf sich. In hervorragender Weise ist ihr Gesangsstil in layers of layers of guitars eingewoben. In manchen Augenblicken erinnert sie an Mimi Parker von Low, dann an Björk, ohne dabei ihren eigenen Charakter zu verlieren. Wenn Amedeo Pace den Gesang übernimmt, dann klingt die Band hingegen konventioneller und die Wurzeln der Sonic-Youth-Schüler treten deutlicher hervor.
    Durch die ständige Wiederholung rhythmischer Elemente entsteht ein hypnotischer Klang, der an My Bloody Valentine erinnert. Trotz des alles durchdringenden Sounds wirkt die Band außerordentlich kontrolliert. Sie will ihr Publikum nicht mit übermäßiger Lautstärke an die Wand spielen, sondern methodisch gekonnt in ihre Klangwände einschließen und wieder entlassen. Feedback-Orgien oder ausgelassene Schlagzeugsoli sind nicht Teil des Programms.
    Es gibt Momente an diesem Abend, da funktioniert das Redhead-System nicht. Dann mäandern die Lieder unspektakulär dahin und aufgrund der Ausdruckslosigkeit der Musik kehrt Langweile ein. Kurz darauf gelingt es Blonde Redhead jedoch wieder, mit hell leuchtender Intensität beim Publikum einen tiefen Eindruck zu hinterlassen. Insgesamt ist es ein gelungenes Konzert einer Band, die sich erfolgreich daran gemacht hat, neue Wege einzuschlagen. Man kann nur hoffen, dass sie auch in Deutschland viele Fans gewinnen werden.

    Wie nicht anders zu erwarten, ist dies kein Konzert zum Mittanzen oder Abfeiern. Die Band kommuniziert kaum mit dem Publikum. Erst als ein Zuschauer – irgendwann des Schweigens müde – „Hi!“ ruft, scheinen die Musiker das Publikum wahrzunehmen, verabschieden sich von ihrer Shoegaze-Mentalität und richten einige Worte an das Publikum. Allerdings nicht bevor sie sich erkundigt haben, ob dieses auch Englisch versteht. Die Stimmung ist dennoch ausgesprochen gut und die jungen Fans bejubeln die Band so ausgelassen, wie es bei einem solchen Konzert möglich ist. Vor der ersten Zugabe schreit sich ein Fan vor der Bühne die Seele aus dem Leib, er will „Please! Please!“ unbedingt ein bestimmtes Lied hören, erfährt aber von Kazu Makino, dass sie ihm seinen Wunsch nicht erfüllen kann. Die Begeisterung des Publikums ist jedoch ungetrübt und er ausdauernde Applaus veranlasst Blonde Redhead noch für eine zweite Zugabe zurückzukehren. Nach knapp zwei Stunden ist das Konzert vorüber.

    Nachsatz: Auf der Rückfahrt bemerke ich zwei jugendliche Anhalter, die an einer Bushaltestelle stehen. Ich halte an und nehme sie den erstaunlich kurzen Weg mit (die Jugend von heute!). Auf der Fahrt kommen wir ins Gespräch und sie fragen mich, wo ich den Abend verbracht hätte. Im Karlstorbahnhof entgegne ich, beim Konzert der Band Blonde Redhead. „Nie gehört! Was machen die für Musik?“ „Nun“, entgegne ich, „kennt Ihr Sonic Youth?“.

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
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    #5764099  | PERMALINK

    j-w
    Moderator
    maximum rhythm & blues

    Registriert seit: 09.07.2002

    Beiträge: 40,483

    Schön beschrieben, Daniel!
    Man bekommt beim lesen fast das Gefühl man wäre dabei gewesen! ;-)
    Waren das wirklich zwei Stunden? Gefühlt weniger. Egal. Und laut war es sehr wohl, sehr laut!

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    Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue
    #5764101  | PERMALINK

    themagneticfield

    Registriert seit: 25.04.2003

    Beiträge: 34,031

    Also ist das neue Album so untypisch? Ich kann mit Sonic Youth nämlich nix anfangen, finde „23“ aber toll

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    "Man kann nicht verhindern, dass man verletzt wird, aber man kann mitbestimmen von wem. Was berührt, das bleibt!
    #5764103  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    TheMagneticFieldAlso ist das neue Album so untypisch? Ich kann mit Sonic Youth nämlich nix anfangen, finde „23“ aber toll

    Im Konzert werden die Wurzeln der Band im SY-Sound deutlicher, aber die Songs von „23“ klingen immer noch wie Songs von „23“. Aber ehrlich gesagt, ich kannte die Band bis Samstag nicht. :-)
    Wenn das stimmt, was ich so lese, dürfte zumindest das Frühwerk für Dich nicht interessant sein.

    @jan: Ja, gell? ;-)
    Das war doch nicht laut! Nick Cave in Düsseldorf war laut! Das war – bis auf einige Höhen – fast angenehm leise! Danke, jedenfalls.

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #5764105  | PERMALINK

    gurgelstock

    Registriert seit: 04.07.2007

    Beiträge: 4

    Also ich hör auch immer das BRH sich wie SY anhört uns muss hierzu folgendes sagen: blödsinn!

    Ich bin riesiger BRH fan und SY beschreibe ich grundsätzlich mit einer abwägenden Handbewegung und einem „ehrm naja…“
    Ich muss ehrlich zugeben nicht viele CDs von SY gehört zu haben, aber die 3 die ich kenne haben mich nicht wirklich überzeugt. Mir fehlt hier irgendwie das gewisse Extra, und BRH hat das, in jedem Album.

    Das erste Album orientierte sich vielleicht an Sonic Youth aber genauso waren NoWave Einflüsse spürbar, daher finde ich den andauernden Vergleich mit SY einfach unangebracht.

    Weiterhin finde ich den Sprung zwischen Misery is a Butterfly und 23 nicht so riesig wie oft behauptet wird. Und das ist nicht negativ gemeint. So finde ich sind die bekannten melancholischen Melodien durchaus noch vorhanden und die gesammte vom Album ausgehende Stimmung ist immer noch eher depressiv als fröhlich. Was auch gut so ist. Und musikalische Ausbrüche in andere Genres waren bei BRH immer schon vorhanden.
    Daher kann ich jedem der die älteren Alben nicht kennt nur empfehlen: Kaufen! Vorallem Misery is a Butterfly und La Mia Via Violenta wird Leuten die 23 mögen mit großer Sicherheit gefallen. Aber auch die anderen Alben, allen voran „Fake can be just as good“ sollte man gehört haben. Etwas rockiger das ganze aber durchaus eigenständig genug um nicht andauert mit SY verglichen zu werden. Und vorallem: viel abwechslungsreicher und intensiver. Das ist meine Meinung zumindest.

    Ach ja, das Konzerrt war echt mal klasse! Ich würde am liebsten jedes Wochenende BRH live spielen sehen. Was mich wirklich nervt ist das meine Kamera keine 3 Stunden vorher kaputt ging. Falls also irgendjemand hier Bilder gemacht hat wär ich echt dankbar wenn er sie uploaden könnte!

    Übrigens, Kazu lief vor dem Auftritt mal durch den Club und ich musste sie natürlich ansprechen und nach einem Autogramm fragen. Nachdem ich in meiner Nervosität und fast schon hysterischen Freude nicht klar denken konnte bin ich erst gar nich auf die Idee gekommen mir meine KonzertKarte unterschreiben zu lassen und musste auf das nächstbeste zurückgreifen: ein Flyer für einen Friseur. Egal, hauptsache ich hab Kazus Signatur! Auf meine Worte „you have one of the most beautiful voices I have ever heard“ sagte sie jedoch gar nichts, naja wahrscheinlich schon tausend mal gehört…

    Wer BRH mag sollte sich mal mit Deerhoof vertraut machen, etwas experimenteller aber dafür umso abwechslungsreicher und mit Blonde Redhead meine absolute Lieblingsband!

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    #5764107  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 45,074

    Ich hatte Deine Frage völlig überlesen, MF. Ich bin allerdings auch nicht kompetent genug, um Auskunft über die alten Alben zu geben. Gurgel kennt die Alben mit Sicherheit viel besser als ich und hat Deine Frage ja auch schon beantwortet.

    Die Herkunft der Band als Sonic Youth Schüler ist jedoch unbestreitbar, wenn man das Konzert miterlebt hat und die in meinem obigen Artikel enthaltenen Informationen kennt. Sonic-Youth ähnliche Elemente sind im Liveauftritt zur Genüge vorhanden. „23“ hat mit Sonic Youth oder ähnlicher Musik allerdings dann wirklich gar nichts mehr zu tun. Ob sich die auf „23“ bemerkbare Entwicklung schon vorher angedeutet hat, weiß ich jedoch nicht.

    @Gurgel: Es hat ja BR niemand vorgeworfen, SY-Kopisten zu sein, aber eine gewisse Ähnlichkeit, vor allem dann, wenn Amadeo Pace singt, lässt sich wohl kaum bestreiten, unabhängig davon, wer besser oder wer schlechter ist.

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #5764109  | PERMALINK

    gurgelstock

    Registriert seit: 04.07.2007

    Beiträge: 4

    Die Herkunft der Band als Sonic Youth Schüler ist jedoch unbestreitbar

    Absolut korrekt und ich wollte auch nicht unbedingt klarstellen das Blonde Redhead besser als Sonic Youth ist, das ist halt meine Meinung. Ich wollte nur verhindern das Leute welche ältere BRH Alben nicht kennen, vor einem Kauf zurückschrecken, weil sie keine SY Fans sind. Denn das wäre wirklich schade. Wenn euch 23 also gefällt, ihr aber keine SY Fans seiht, gebt BRH trotzdem eine Chance!

    Auf jeden Fall ist es schön, nachdem ich meine Freundin zwingen musste mit auf das Blonde Redhead Konzert zu gehen weil ich keine Freunde hab die die Band kennen oder mögen, sich mit Leuten zu unterhalten die mich, zumindest bedingt, verstehen können ;)

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