blindfoldtest #28 – gypsy tail wind

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  • #10586615  | PERMALINK

    vorgarten

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    gypsy-tail-windsonst löse ich das gleich auf (was ich morgen im Laufe des Tages eh tun werde – Dann haben wir immerhin noch das Wochenende, um in Ruhe über die Auflösung zu reden

    finde ich gut bzw. freu ich mich drauf, hab hier eh keine zeit mehr, um diskografien zu wälzen. mich hätte noch interessiert, was @udw zum zweiten teil zu sagen gehabt hätte, aber das war auch einfach eine menge schönes zeug, mit dem du uns hier versorgt hast (hab gerade selbst #1-#6 schon wieder aus den augen verloren…).

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    #10586629  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    Ich bin zum Glück nur an einem Wochentag nicht im Büro (das ich nicht in de Wohnung habe, das wär nicht mein Arbeitsmodell, wenigstens nicht bei dem Job, den ich jetzt habe und den ich noch eine Weile zu tun gedenke), der Lärm ist daher halbwegs okay, der Rest war aber schon mühsam (Staub, täglich – auch am freien Tag) potentiell ab 7 Uhr Leute auf dem Baugerüst, die einem beim Schlafen oder beim aus der Dusche kommen zugucken – nicht dass es die interessieren würde, aber …), seit Mitte Juli keine Fensterläden, mit denen man nachts abdunkeln konnte, ist allmählich echt anstrengend … das Gerüst kommt aber wohl erst in den nächsten Wochen weg (hoffe, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin, sind die Spuren getilgt …)

    Aber gut: bei der „Gegend“ fehlte ein „d“ – und ja, es gibt doch diese südlichen Saxer … don’t mess with Tejas und so. Dazu ebenfalls Jazz und Soul, also doppelt zweisprachig, wenn man so will. Damit sollte sich der Track nun aber ganz schnell entschlüsseln lassen :-)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10586631  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    Und klar, wenn @udw zu den restlichen Tracks noch Kommentare schreiben würde, würde mich das ebenfalls sehr freuen!

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    #10586637  | PERMALINK

    dietmar_

    Registriert seit: 29.10.2013

    Beiträge: 764

    gypsy-tail-windes gibt doch diese südlichen Saxer … don’t mess with Tejas und so. Dazu ebenfalls Jazz und Soul, also doppelt zweisprachig, wenn man so will. Damit sollte sich der Track nun aber ganz schnell entschlüsseln lassen

    Das stimmt. Erster Treffer bei Eingabe der Stichworte „texas tenor jazz soul“:

    https://www.npr.org/sections/ablogsupreme/2011/10/05/141088887/five-titans-of-texas-tenor-sax

    Nummer 4.

    edit:
    Der Pianist Norris Austin ist mir komplett unbekannt. Aber gut.

    zuletzt geändert von dietmar_

    --

    #10586639  | PERMALINK

    udw
    so little gets done

    Registriert seit: 22.06.2005

    Beiträge: 3,284

    Ich bin leider gerade noch ohne Computer unterwegs und komme hoffentlich Anfang der Woche endlich dazu, meine Eindrücke aufzuschreiben und hier zu posten. Du musst jetzt aber nicht unbedingt mit der Auflösung auf mich warten, wenn alle verständlicherweise mit den Hufen scharren. Ich komme in den nächsten 4 Tagen eh nicht mehr dazu, hier mitzulesen.

    --

    so little is fun
    #10586643  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    dietmar_

    gypsy-tail-windes gibt doch diese südlichen Saxer … don’t mess with Tejas und so. Dazu ebenfalls Jazz und Soul, also doppelt zweisprachig, wenn man so will. Damit sollte sich der Track nun aber ganz schnell entschlüsseln lassen

    Das stimmt. Erster Treffer bei Eingabe der Stichworte „texas tenor jazz soul“:
    https://www.npr.org/sections/ablogsupreme/2011/10/05/141088887/five-titans-of-texas-tenor-sax
    Nummer 4.

    :good:

    Und eben, gemäss den Credits hat der Pianist das Stück geschrieben (und Newman es wohl auf einem Album für HighNote in den letzten Jahren nochmal eingespielt).

    udwIch bin leider gerade noch ohne Computer unterwegs und komme hoffentlich Anfang der Woche endlich dazu, meine Eindrücke aufzuschreiben und hier zu posten. Du musst jetzt aber nicht unbedingt mit der Auflösung auf mich warten, wenn alle verständlicherweise mit den Hufen scharren. Ich komme in den nächsten 4 Tagen eh nicht mehr dazu, hier mitzulesen.

    Okay, danke für die Rückmeldung! Ich lese natürlich auch gerne nach der Auflösung noch weitere Kommentare von Dir!

    Mit den Hufen scharren wäre an sich auch noch für ein paar Tage okay, aber da ich ab Mittwoch nur noch das Handy haben werde für über zwei Wochen und im Urlaub nicht Stunden damit verbringen will, Posts zu tippen, die ich auf dem Rechner in fünf Minuten hätte, muss die Auflösung eben vorher noch geschehen – und etwas Zeit will eingeplant sein, um die Diskussion, die sich in der Regel dann ja nochmal etwas verdichtet, noch zu führen.

    --

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    #10586661  | PERMALINK

    udw
    so little gets done

    Registriert seit: 22.06.2005

    Beiträge: 3,284

    gypsy-tail-wind

    Okay, danke für die Rückmeldung! Ich lese natürlich auch gerne nach der Auflösung noch weitere Kommentare von Dir!
    Mit den Hufen scharren wäre an sich auch noch für ein paar Tage okay, aber da ich ab Mittwoch nur noch das Handy haben werde für über zwei Wochen und im Urlaub nicht Stunden damit verbringen will, Posts zu tippen, die ich auf dem Rechner in fünf Minuten hätte, muss die Auflösung eben vorher noch geschehen – und etwas Zeit will eingeplant sein, um die Diskussion, die sich in der Regel dann ja nochmal etwas verdichtet, noch zu führen.

    Ja, das ist doch klar. Ich lese Auflösung und Diskussion dann gerne nach, wenn ich meinen Nachklapp hier gepostet habe. :-)

    --

    so little is fun
    #10587881  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    RollingStone Forum Blindfold Test #28

    Auflösung – Teil 1/4

    Track 1:

    MAX ROACH QUARTET featuring HANK MOBLEY
    1. Kismet (Hank Mobley)

    Hank Mobley (ts), Walter Davis II (p), Franklin Skeete (b), Max Roach (d)
    New York, NY, 10. April 1953
    von: Max Roach Quartet Featuring Hank Mobley (Debut, 1955; CD: Fantasy/OJCCD, 1990)

    Der ersten Ton mag eingeblendet sein, aber da fehlt nichts. Aber Hank Mobley (1930–1986)und Max Roach (1924–2007)fallen mit der Tür ins Haus. Das Thema ist attraktiv in seinem Wechsel zwischen dem Teil mit einem Bass-Riff und einer Art Stop-Time-Feel und dem zweiten Teil in walking 4/4. Mobley und sein Ton – @sandman hat ihn erkannt – konnten einfach niht fehlen hier, er ist vielleicht der allererste Musiker, an den ich denke, wenn ich „Hard Bop“ denke.

    Um es nicht zu leicht zu machen, wählte ich diesen frühen Track von einer Session für das von Mingus und Roach gemeinsam gegründete Label Debut Records, das erste von Musikern der neuen Generation gegründete und geleitete Label, soweit ich weiss. Roach war zu dem Zeitpunkt wohl schon fast wieder raus und überliess das Label und die Arbeit Mingus und dessen damaliger Ehefrau Celia. Doch hier ist Roach sehr präsent mit seinem vertikalen Beat, der eher tanzend vorwärts marschiert als swingt. Dem entspannten Beat, wie ihn Blakey mit den Jazz Messengers (wieder mit Mobley am Sax, versteht sich, und mit dem Trompeter aus #4) ein Jahr später zu perfektionieren beginnen würde, mochte Roach nie fröhnen, auch nicht, als er 1955/56 mit Clifford Brown zusammen eine der bedeutendsten Combos des Hard Bop leitete (von denen eine unsterbliche Version von „Delilah“, #18) stammt.

    Walter Davis Jr. und Franklin Skeete machen ihren Job, aber ich muss gestehen, dass ich Davis nie wirklich mochte. Er hat immerhin ein schönes Album für Blue Note gemacht, auf dem Donald Byrd und Jackie McLean dabei sind, aber sein Spiel, seine Akkorde in der Begleitung – mir ist das alles etwas zu dick. Aber ich wollte ja Mobley vorstellen und ihn finde ich hier ganz wunderbar, allein schon von der Haltung her, mit der er sofort zur Sache kommt.

    Das Album als ganzes finde ich nicht wahnsinnig gut, es setzt sich aus vier Septett-Tracks zusammen (gleiche Band plus Idrees Sulieman, t; Leon Comegys, tb; Gigi Gryce, as – letzteren gibt es hier in #5), die fünf Quartett-Tracks mag ich insgesamt lieber, dann ist da noch die „Drum Conversation“ … schon eine feine Zusammenstellung, wenn man Roach unterwegs vom Bebop zu seiner eigenen Musik ausgiebig mal hören will, aber kein Lieblingsalbum.

    Roach hat übrigens das Stück geschrieben, mit dem der offizielle BFT endet (#15) – ein Stück im 3/4, was in den Fünfzigern mal eine Spezialität war, es gibt ein ganzes Album von ihm mit Stücken im 3/4, und das färbte auch auf den letzten Saxophonisten des Clifford Brown/Max Roach Quintet ab, einen gewissen Sonny Rollins, der auf dem Album mit der Brown/Roach-Combo, das bei Prestige unter seiner Leitung entstand, ebenfalls einen famosen Jazz-Walzer vorstellte, „Valse Hot“.

    Track 2:

    ERNIE HENRY
    2. Beauty and the Blues (Benny Golson)

    Lee Morgan (t), Melba Liston (tb), Ernie Henry (as), Benny Golson (ts), Cecil Payne (bari), Wynton Kelly (p), Paul Chambers (b), Philly Joe Jones (d)
    Reeves Sound Studios, New York, NY, September 1957
    von: The Last Chorus (Riverside, 1958; CD: Fantasy/OJCCD, 1998)

    Der Altsaxophonist Ernie Henry (1926–1957) war ein Musiker, an den ich ebenfalls sehr schnell dachte, als @vorgarten den Vorschlag machte, ich solle doch einen ganz dem Hard Bop gewidmeten BFT zusammenstellen. Weshalb, sollte bei seinem Einstieg ins Solo sofort klar werden: dieser Ton, die träge Phrasierung (geschult natürlich, wie fast alle Altsaxophonisten damals, an Charlie Parker), die bluesgetränkten Phrasen (besonders toll, wenngleich ziemlich klischiert, z.B. die ab 1:17) … dann übernimmt Lee Morgan (1938–1972), neben Mobley (und Sonny Clark und Johnny Griffin) vielleicht DER Hard Bop-Favorit in meinem Haus, den ich ebenfalls nicht mit etwas vorstellen mochte, wo man ihn gleich erkennt – wobei @vorgarten ja auch hier umgehend den richtigen Riecher hatte.

    Reizvoll ist hier aber auch die Rhythmusgruppe: das Bass/Drums-Gespann, das 1955/56 mit dem ersten „great quintet“ von Miles Davis spielte, Paul Chambers und Philly Joe Jones, dazu der Pianist, der 1959 oder 1960 als Nachfolger von Bill Evans in dieselbe Band kam. Wynton Kelly soliert als nächster, und gerade im Vergleich mit Walter Davis wird deutlich, wie leicht er klingt, ohne je leichtfüssig zu wirken. Dann hören wir Benny Golson (*1929), der 1958 zur frühen Version der zweiten grossen Jazz Messengers-Besetzung gehören sollte, geleitet von Art Blakey: Horace Silver behielt die Band (Donald Byrd, den Nachfolger von Kenny Dorham, Hank Mobley und Doug Watkins, suchte sich einen neuen Drummer; Blakey behielt den Namen, brauchte aber eine neue Band … 1956/57 war Jackie McLean der zentrale Sideman, ich bin im Blakey-Thread mal durch die Aufnahmen dieser Zeit). Auch Golson ist ein Musiker, den ich unheimlich gerne mag, den ich aber für viel zu leicht erkennbar hielt, als dass ich ihn mit einem eigenen Track vorstellen mochte – er hat sein Stück wohl auch selbst arrangiert. Eine andere Kandidatin fürs Arrangement wäre die nächste Solistin, Melba Liston an der Posaune. Dass sie hier zweimal einen Auftritt hat, mag über das Fehlen des gerade verstorbenen Randy Weston hinwegtrösten, der zwar bestens in den Mix gepasst hätte, den ich aber dennoch irgendwie nicht als Hard Bopper höre (als was denn sonst? Als Randy Weston halt). Es folgen noch Soli von Cecil Payne am Barisax (auch ihn hören wir nochmal) sowie von Paul Chambers und Philly Joe Jones (1923–1985).

    Letzteren, das wurde hier ja schon mehrfach angetönt, halte ich alles in allem – neben den Leadern und Ausnahmekünstlern Roach und Blakey (der hier tatsächlich fehlt, ebenso wie Horace Silver: zu einfach, zu bekannt, zu offensichtlich – aber natürlich haben sie beide eine Menge grossartige Musik gemacht) – für den vielleicht besten Drummer, der in der Zeit in New York aktiv war. Leider kam er wohl mit Alfred Lion nicht so richtig klar (zu sehr der Junkie, was ja auch der Grund für den Rausschmiss – zusammen mit Coltrane – bei Miles Davis war) und war bei Blue Note nicht so oft zu hören, ebensowenig bei Prestige. Bei Riverside hingegen war er sowas wie der Hausdrummer und hat bei Aufnahmen mit so unterschiedlichen Leuten wie Chet Baker, Johnny Griffin, Kenny Drew, Bill Evans, Elmo Hope, Blue Mitchell, Milt Jackson, Sonny Rollins, Ben Webster und Ernie Henry mitgewirkt. Bei Henry, der Ende des Jahres 1957 viel zu jung starb (an einer Heroin-Überdosis, auch da war Charlie Parker, wie bei so vielen, das Vorbild, fatalerweise), wirkte Jones auch mit, neben dieser Septett-Session (die nur für ein halbes Album reichte, das postume „Last Chorus“, das mit Alternate Takes, einem anderswo erschienenen Track sowie einem ebenfalls der vollständigen Version eines Stückes der Monk-Session zu „Brilliant Corners“ entnommenen Extrakt angereichert wurde) auch beim einen wirklich guten Album Henrys mit, „Seven Standards and a Blues“, ebenfalls mit Kelly, aber mit Wilbur Ware am Bass, der im BFT leider nicht vertreten ist.

    Track 3:

    RAY CHARLES
    3. Dawn Ray (Ray Charles)

    Ray Charles (p), Oscar Pettiford (b), Joe Harris (d)
    Atlantic Recording Studios, New York, NY, 30. April 1956
    von: The Great Ray Charles (Atlantic, 1957; CD: Pure Genius – The Complete Atlantic Recordings (1952–1959), Rhino, 8 CD, 2005)

    Dass das Trio von Ray Charles (1930–2004) hier so gut ankam, freut mich sehr! Der Mann war ja wirklich kein Virtuose, aber ein beeindruckender Musiker (es gibt auch ein grossartiges Solo am Altsax, aufgenommen bei einer der Sessions mit Milt Jackson, die in den gleichen Kontext gehören wie die Session, bei der ein paar Stücke im Trio entstanden. Etwas schade finde ich es schon, dass Oscar Pettiford am Bass nicht auch noch zum Zug kommt (womit wir wieder bei der Solo-Diskussion wären), dafür ist Joe Harris, den ich oft als etwas grob und ungelenk empfinde, hier wirklich völlig okay. Es war @vorgarten glaube ich, der korrekt festgestellt hat, dass es ziemlich egal ist, wo er hier seine Akzente setzt, denn sie passen in dem tollen Groove schlicht überall hin (was er aber so ab 2:40 macht, um ein Beispiel zu nennen, würde mich in einem anderen Kontext vielleicht total nerven, auch die Übergänge zur Snare bei 2:52 und dann wieder bei 3:06 finde ich nicht gerade subtil). Aber egal, der Track ist wirklich gut, nicht? Ich hatte hier – wie auch bei #11 einige Bedenken, dass er als langweilig empfunden würde.

    Und auch schön, dass der Track bei @demon so gut ankommt … vielleicht ist es ja möglich, mal eine Ray Charles Plays Jazz-Sendung zusammenzustellen, die 4-Tracks-Regel ist da aber ein Problem, muss ich mir mal genau anschauen – mit ein paar längeren Tracks, die Milt Jackson als Co-Leader haben und vielleicht etwas von „Fathead!“, dem Debutalbum des Herrn in #10, das Charles produziert hat, wäre müsse das eigentlich zu machen sein.

    Track 4:

    DAVE BAILEY SEXTET
    4. Grand Street (Sonny Rollins)

    Kenny Dorham (t), Curtis Fuller (tb), Frank Haynes (ts), Tommy Flanagan (p), Ben Tucker (b), Dave Bailey (d)
    New York, 1. Oktober 1961
    von: Bash! (Jazz Line, LP, 1961; CD: Tommy Flanagan – Trio & Sextet, Prevue, 1998; auch unter Kenny Dorhams Name als „Osmosis“ bei Black Lion erschienen)

    Und hier ist sie wieder: die Haltung. Und es ist wohl auch kein Zufall, dass es wieder ein Tenorsaxophon ist, das sie verkörpert. Bis hierhin hörten wir mit Mobley einen typischen, ja stilbildenden Hard Bopper, und mit Benny Golson einen eher atypischen, der sich was den Ton betrifft an Veteranen wie Coleman Hawkins und Ben Webster orientiert, aber neben Coltrane und Jimmy Heath und anderen vollkommen im modernen „Lager“ daheim war. Es gab noch Lucky Thompson, der mit Charlie Parker spielte und aufnahm, auf Miles Davis’ famoser „Walkin‘“-Session dabei ist, aber eigentlich – wie der Pianist hier, Tommy Flanagan – schon damals über allen Stilen stand und eine Art klassischen Modern Jazz machte.

    Hier hören wir einen fast völlig unbekannten Mann am Sax, Frank Haynes (1928–1965). Gemäss Wikipedia kam Haynes in Tulsa zur Welt, gemäss den 1973er Liner Notes von Mark Gardner zur CD-Ausgabe (die erste unten mit Flanagan als Leader) 1931 in San Francisco. Ich tentiere da eher dazu, Wiki zu glauben als einem alten Text, der halt wieder verwendet wurde. Haynes kam 1960 nach New York, spielte da mit einigen Leuten, besonders aber mit den Bands von Randy Weston (there we go again) und Walter Bishop Jr. (mit beiden machte er auch Aufnahmen). Neben drei Sessions mit Dave Bailey, der hier der Leader ist, wirkte er zudem bei der Pacific Jazz-Session von Les McCann mit, bei der auch Stanley Turrentine spielte (das war ein Deal zwischen Alfred Lion und Dick Bock, McCann spielte auf einem tollen Blue Note-Album mit Turrentine und dieser dann eben auf einem Live-Album, das McCann für Pacific Jazz machte). Haynes starb gemäss den Liner Notes ans Krebs, gemäss Wiki wiederum waren Coltrane, Monk und Rollins an seiner Beerdigung anwesend.

    Und Sonny Rollins, den ich auch nicht unterbringen konnte (hätte ihn jemand nicht erkannt, hätte ich glatt den Fehdehandschuh werfen müssen :whistle: ), spielt hier natürlich auch eine Rolle, denn das Stück, „Grand Street“, stammt von ihm (er hat es für sein Metrojazz-Album „Sonny Rollins and the Big Brass“ mit grosser Besetzung eingespielt). Bailey swingt mit den Besen, Haynes haut das Thema mit unglaublicher Autorität raus, der Bass spielt ein Two-Beat-Ding … dann steigen die anderen Bläser ein, das Arrangement (von wem? Das für die grosse Band kam von Ernie Wilkins) führt zu einer etwas bittersüssen Note. Dann Break, Haynes, Solo, Haynes – er zieht das voll durch, wirkt enorm entspannt und dennoch auch höchst fokussiert. Wie er in die Bridge reingeht, alles ganz simpel, aber enorm wirkungsvoll – und obendrein der Ton!

    Produziert wurde das Album von Peter Ind, einem inzwischen 90jährigen, aus England stammenden Bassisten, der 1949 auf der Queen Mary als Musiker über den Atlantik spielte und in New York Lennie Tristano begegnete, zu dessen Umfeld er nach seinem Umzug 1951 bis zur Rückkehr ins UK 1966 gehörte. Ind wirkte wohl in seinem Heimstudio auch als Toningenieur. Diese Ausgabe, wie fast alle Bailey-Alben später unter dem Namen eines der bekannteren Sidemen erschienen, verantwortete Don Schlitten, auf Black Lion gibt es die Session mit zusätzlichen Alternate Takes auch unter Kenny Dorhams Namen (zweites Cover unten), aber ich entnahm es der CD, auf der ich es kennen und schätzen lernte. Wobei es da nichts zu lernen gab, das war eher Liebe auf den ersten Ton, die CD kostete damals ein Vermögen, aber die konnte nicht im Laden bleiben!

    Nach dem Tenorsaxophon hören wir Curtis Fuller an der Posaune, ein etwas verschwurbeltes Solo, das bei 2:52 nah an einem Zitat von „Knock Me a Kiss“ vorbeischrammt. Tommy Flanagan am Klavier greift die Phrase auf, um sein Solo zu eröffnen, das zwar tolle Momente hat, aber tatsächlich nicht sehr kohärent wirkt. Tadellos ist danach Kenny Dorham, mit seinem üblichen bezaubernden Ton und seiner Zurückhaltung, sparsam, perfekt phrasiert und intoniert mit den gebogenen Tönen – auch er ein Musiker, den ich unheimlich schätze, von dem ich auch mühelos noch einen Track hätte beigeben können (am besten vom 10″-Album, das er 1953 mit Jimmy Heath für Mingus/Roachs Label Debut aufnahm … aber es gab so vieles, was ich auch noch hätte in den Mix aufnehmen können).

    Trivia: auf dem Album gibt es auch ein Stück des Saxophonisten Norris Turney („Soul Support“). Er tourte 1967 mit Ray Charles, spielte dann in der späten Band von Duke Ellington (als erster Solist an der Querflöte, notabene, und als Versicherung gegen die abnehmende Gesundheit von Johnny Hodges) … und mitten in dieser Zeit, 1973, wirkte er auch bei einem von Randy Westons schönsten Alben mit „Tanjah“ (Polydor), wo er natürlich einen Ellington-Vibe hineinbringt.

    Hier zudem noch einmal der Link zum tollen, sehr ausführlichen Artikel, der vor ein paar Tagen über Kenny Dorham erschienen ist:
    https://www.austinchronicle.com/music/2018-09-14/trumpet-colossus-kenny-dorham-towers-alongside-the-jazz-gods/


    Coda/Exkurs (nicht trivial): „Kein Zufall“ schrieb ich oben, und liess den Satz dann offen stehen ohne darauf Bezug zu nehmen – das muss ich noch rasch nachholen. Das Tenorsaxophon wurde – vor allem dank der unfassbaren Musik, die Sonny Rollins ab 1956 machte – wurde zum prägenden Instrument der Hard Bop-Ära. Neben Rollins etablierte sich mit John Coltrane eine neue Stimme, die noch einen weiten Weg vor sich haben sollte. Zahlreiche andere Tenoristen tauchten auf, die die Szene belebten: Johnny Griffin, Benny Golson (#2), Jimmy Heath (der früher auch als Altsaxer im Schatten Birds gewirkt hatte), Hank Mobley, Clifford Jordan, J.R. Monterose (#12), Stanley Turrentine, Wayne Shorter, Yusef Lateef (ein Veteran, der aber erst im Hard Bop seine Stimme fand und seine eigene Musik zu machen begann) etc. In der Bebop-Zeit stand das Tenor – trotz Efforts von Wardell Gray, Lucky Thompson, Dexter Gordon, Teddy Edwards und ein paar anderen – immer am Rand, im Schatten von Bird; eine vergleichbare Stimme am Tenor gab es nicht, während an der Trompete mit Dizzy Gillespie und bald diversen anderen, an der Posaune mit J.J. Johnson, am Piano mit Bud Powell, am Schlagzeug mit Roach, Haynes, Blakey, die neue Musik rasch ihre bedeutenden Vertreter fand … das Tenorsaxophon musste noch ein paar Jahre warten, setzte sich dann aber umso stärker durch (und bezog in einzelnen Fällen – Thompson, Golson, Turrentine – durchaus auch die vor dem Bebop bedeutende Stimmen des Instruments mit ein. Die „modernen“ Impulse, die für die Tenorsaxophonisten wichtig waren, kamen davor eher von Lester Young als von Parker, was wohl die etwas andere Entwicklung erklärt, die das Tenorsaxophon nahm, verglichen mit dem Altsaxophon, das mit Parker halt wirklich den Kern des Bebop bildete (wohingegen, das Altsax danach eine Weile brauchte, um sich wieder zu etablieren: alle neuen Stimmen der Fünfziger standen längere Zeit im Schatten von Parker, erst Jackie McLean und Eric Dolphy gelang es um 1960 herum, wirklich neue Wege zu gehen, bei denen der Parker-Einfluss kreativ verwandelt und in neue Spielweise einverleibt wurde).

    Track 5:

    EDDIE COSTA QUINTET
    5. Stretch in ‛F’ (Art Farmer)

    Art Farmer (t), Phil Woods (as), Eddie Costa (p), Teddy Kotick (b), Paul Motian (d)
    New York, NY, Juli 1957
    von: Eddie Costa Quintet (Mode, 1957; CD: V.S.O.P., 1992)

    Dieser zugegeben etwas atypische Track rutsche rein, weil ich den Pianisten (und Vibraphonisten, vgl. #5) Eddie Costa (1930–1962) enorm schätze. Er spielte u.a. mit Tal Farlow (mehrere Alben für Verve), aber auch mit Gil Evans, Coleman Hawkins, Shelly Manne, Bill Evans („Guys and Dolls Like Vibes“, Evans am Klavier, Costa am Vibraphon) und vielen anderen. Sein wichtigstes Album als Leader ist zugleich eines der grossen Klaviertrio-Alben jener Zeit, „House of Blue Lights“ (Dot, 1959), auf dem derselbe Drummer wieder zu hören ist, wie hier: Paul Motian (1931–2011), der ein paar Jahre später auch zum Bill Evans Trio mit Scott LaFaro gehören sollte („Portrait in Jazz“, „Sunday at the Village Vanguard“, „Waltz for Debby“, „Explorations“). Motian hatte (wie auch der Bassist hier, Teddy Kotick) auch 1956 schon beim Debutalbum von Evans mitgewirkt („New Jazz Conceptions“; alle genannten Evans-Alben kamen bei Riverside heraus).

    Aber hier geht es um Eddie Costa, der einen sehr dichten, meist auf das tiefe und mittlere Register konzentrierten Stil pflegte, mit einem unglaublichen Drive (der z.B. in der Gruppe von Tal Farlow, die oft ohne Schlagzeug auskam, für ordentlich Swing sorgte). Der nicht gerade sehr beliebte Track, seinem Mode-Album von 1957 entnommen, präsentiert mit Art Farmer (1928–1999) aber noch einen Musiker aus der Zeit, den ich sehr schätze. Vermutlich wird er – ähnliche wie Benny Golson (#2), Gigi Gryce (#5) oder Johnny Coles (#9) nicht als typischer Hard Bopper wahrgenommen, doch gehörte er in den Fünfzigern zum Quintett von Horace Silver, leitete später mit Golson zusammen das Jazztet (das etwas mehr Sophistication, mehr Beachtung für Arrangements und Material, aber und weniger Wumms mitbrachte als die typischeren Hard Bop-Combos), spielte auch bei Alben von Hank Mobley und anderen mit. Farmer und Coles können wohl neben bzw. nach Miles (und Kenny Dorham!) als die grossen Trompetenlyriker jener Zeit gelten (Chet Baker läuft da irgendwie auch noch mit, aber er schaltete sich ja immer wieder erfolgreich selbst aus).

    Nach den Soli von Costa und Farmer ist auch noch Phil Woods (1931–2015) zu hören, der schon im Thema eine prägende Präsenz ist. Auch er ein Musiker, der völlig unter dem Einfluss von Charlie Parker stand, die Drogen aber überlebte und spät im Leben zu einer satten, ziemlich selbstgerechten Type wurde, die wenig Sympathie erwecken mag. Doch damals war Woods Spiel frisch, sein Ton noch biegbar (er selbst wohl auch, aber was geht uns das an?), und auch später machte er noch einige tolle Aufnahmen, z.b. mit der European Rhythm Machine, seinem Quartett mit den Pianisten George Gruntz bzw. Gordon Beck, dem Bassisten Henri Texier und dem Drummer Daniel Humair. Woods spielte – als Nachfolger von Jackie McLean – in den 50ern auch in der Band des Bebop-Pianisten George Wallington, wo er neben Donald Byrd (und Teddy Kotick) zu hören war – auch das eine Combo, die sich zwischen Bebop und Hard Bop bewegte, aber tolle Musik machte. Und wie ja schon beobachtet wurde, sorgt auch im Quintett von Costa Schlagzeuger Motian für eine gewisse Irritation bzw. für Abwechslung und einen Touch, der definitiv neuer ist, den es so im Bebop nicht gegeben hätte.

    Trivia: beim von Colpix veröffentlichten „Eddie Costa Memorial Concert“ (Costa starb mit 31 in einem Autounfall) wirkten u.a. Coleman Hawkins und Clark Terry mit, aber auch Roy Haynes (#16) und Sonny Clark, der hochvererhte, hier leider abwesende Pianist, der schon im Januar 1963 selbst sterben sollte (an einer Heroin-Überdosis wohl, auch er).

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    RollingStone Forum Blindfold Test #28

    Auflösung – Teil 2/4

    Track 6:

    GIGI GRYCE ORCH-TETTE
    6. Reminiscing (Gigi Gryce)

    Richard Williams (t), Gigi Gryce (as), Eddie Costa (vib), Richard Wyands (p), George Duvivier (b), Bob Thomas (d)
    New York, NY, 10. November 1960
    von: Reminiscin’ (Mercury, 1961; CD: Universal Japan, 2012)

    Hollywood? Ja, das passt schon … obwohl die drei Alben, die das Gespann Gryce/Williams/Wyands (mit Reggie Workman bzw. Julian Euell am Bass und Mickey Roker am Schlagzeug) ebenfalls 1960 für Prestige eingespielt hat, gradliniger und zupackender sind. Das Album „Reminiscin‘“, das 1960 für Mercury entstand, stellt Gryce etwas breiter vor, auch sein Schaffen als Komponist und Arrangeur wird vorgestellt, z.B. im gewählten Track, in dem zunächst Richard Williams an der Trompete zu hören ist.

    George General „Gigi“ Gryce lebte von 1925 bis 1983. Er zog sich in den frühen Sechzigern zurück, wirkte nur noch als Lehrer. Seine kurze Karriere nahm Mitte der Fünfziger Fahrt auf: er leitete mit Donald Byrd das „Jazz Lab“, das eine ganze Reihe von Alben aufnahm. Daneben spielte und arrangierte er u.a. für Teddy Charles, Oscar Pettiford, Betty Carter, Art Farmer, Jimmy Clevaland, Curtis Fuller und Max Roach. 1960 leitete er das erwähnte Quintett mit Richard Williams, das er in „Orch-tette“ umbenannte, als Eddie Costa dazustiess – und aus der Zeit stammt das Stück, das ich auswählte, das Gryce-Original, das dem Album auch gleich den Namen gab, „Reminiscin’“. Das Stück habe er (1956) geschrieben, nachdem er die Flamme seiner Jugend wieder getroffen und Erinnerungen ausgetauscht habe. Sein leicht säuerlicher Ton klingt hier ziemlich süss – man merkt auch rasch, dass Gryce etwas weiter von Parker weg ist als die anderen Altsaxophonisten, die wir bisher hörten (Ernie Henry in #2 und Phil Woods in #5).

    Trompeter Richard Williams (1931–1985) war einer der Lieblingstrompeter von Charles Mingus um die Zeit herum. Er wirkte bei den Aufnahmen zu „Mingus Dynasty“ (Columbia, 1959) mit, bevor dann Ted Curson in die Band kam, war bei den grösseren Besetzungen 1962 (Town Hall) und 1963 (die Impulse-Alben) aber auch wieder an Bord, danach folgte bei Mingus Johnny Coles (unser Mann in #9), der 1964 auf die Europa-Tour mit der Band ( mit Eric Dolphy, Clifford Jordan, Jaki Byard, Mingus und Dannie Richmond) ging und in Paris umkippte … mehr zu Coles unten. Williams jedenfalls machte als Leader gerade einmal ein Album, und zwar für das kurzlebige Label Candid. Am Klavier war auch dort Richard Wyands (*1928) zu hören, der hier als dritter Musiker prominent zu hören ist (am Altsax wirkte Leo Wright mit, den ich wiederum für so leicht erkennbar halte, dass das Williams-Album ebenso wie das eine offensichtliche Album von Johnny Coles ausschieden, wobei bei Coles auch noch Joe Henderson mitwirkt, den man auch fast immer gleich erkennt). Wir hören Wyands übrigens in #18 noch einmal (und er wirkte auch bei Aufnahmen von Roy Haynes, der hier mit #16 vertreten ist, mit).

    Track 7:

    FREDDIE ROACH
    7. De Bug (Freddie Roach)

    Percy France (ts), Kenny Burrell (g), Freddie Roach (org), Clarence Johnston (d)
    Van Gelder Studio, Englewood Cliffs, NJ, 23. August 1962
    von: Down to Earth (Blue Note, 1962; CD: Universal Music Japan, 2015)

    Etwas Orgel musste natürlich in den BFT. #15 hatte ich rasch festgelegt, aber einen einzelnen wollte ich nicht haben, es musste noch einer her. Da ich schon an den obskuren Tenoristen herumdachte (Frank Haynes) kam ich auf Percy France (1928–1991), der auf Jimmy Smiths Blue Note-Klassiker „Home Cookin’“ seinen einzigen wirklich prominenten Auftritt hatte. Das wäre jedoch etwas zu offensichtlich gewesen, fand ich – also griff ich zu Freddie Roach (1931–1980), einem der unterschätzten unter den damaligen Organisten. Roach hat tiefe Wurzeln im Gospel und in der Kirche, was hier auch klar wird. Er spielte zunächst Klavier und Orgel, als es in den Sechzigern dann aber mit einer Reihe von Blue Note-Alben loszugehen schien, war es die Orgel, die er spielte. Roach brachte es 1962–64 immerhin auf fünf Blue Note-Alben, es folgten noch drei für Prestige (1966/67). Davor hatte er 1961 schon bei zwei wundervollen Blue Note-Alben von Ike Quebec mitgewirkt („Heavy Soul“ und „It Might As Well Be Spring“, beide 1961) und nahm auch bei Plattensessions von Willis Jackson und Donald Byrd („I’m Tryin’ to Get Home“, wohl seine letzte Blue Note-Session) teil.

    Ich wollte zunächst nicht den Opener seines Debut-Albums nehmen, da es sich wieder um einen Blues-Walzer handelt, was auch bei #15 der Fall ist, aber der Groove ist einfach so toll, dass ich mich nicht durchringen konnte, ein anderes Stück zu wählen. Clarence Johnston (der Fixpunkt, der auf allen fünf BN-Alben dabei ist) und Roach legen sofort los, Burrell spielt Akkorde, dann zusammen mit Percy France die Melodie, ein simples Blues-Riff, das durch die Changes geschoben wird. Das erste Solo gehört dann Kenny Burrell (*1931) – singender Ton, schöne Linien, perfekt phrasiert, da und dort ein Schlenker, ein Schnörkel, ein kurz geöffneter Ton, einmal geschrammelt … klar, das ist die Single-Note-Schule, die sich an Bläsern orientiert und in der Hinsicht denkbar ungitarristisch ist, aber was kümmert mich das denn, wenn es Burrell ist, der spielt? Für mich wie ich schrieb wohl der wichtigste Jazzgitarrist überhaupt, knapp vor Grant Green. France übernimmt – und ab geht es in die Kirche, oder wohl eher: zum „camp meeting“. Die Orgel zuckt, das Schlagzeug rattert, France macht nicht viel, aber genau das Richtige … und dann kommt der Moment des Leaders, das letzte Solo im Reigen, das nochmal ein paar Gänge höher schalten soll. Und wie er das tut! Auch wieder mit wenigen Mitteln, Material braucht er kaum, es geht eigentlich fast nur um das Wie. Ein langsamer Einstieg, allmähliche Steigerung, dann taktelang dieses repetierte Motiv – und dann öffnet er wieder und swingt auf Teufel komm raus, Tremoli fehlen natürlich nicht, und irgendwann meint man schon, jetzt fange er wirklich noch zu solieren an … gefällt mir enorm, wie er das hier anstellt – und es ergibt natürlich zur schlanken Gitarre und dem bulligen Tenor ein perfekter Kontrast (und Johnston ist super … mir ging bei der Themenrekapitulation gerade der unnötige Gedanke durch den Kopf: Art Taylor wäre bis hierhin wenigstes 15 bpm schneller geworden).

    Und in Sachen Percy France: Crownpropeller hat mal wieder was:
    https://crownpropeller.wordpress.com/category/percy-france/
    Sein Album „I Should Care“ (Endgame, 1980) lohnt natürlich auch, falls man es in die Finger kriegt.

    Track 8:

    TADD DAMERON
    8. Lament for the Living (Tadd Dameron)

    Donald Byrd (t), Curtis Fuller (tb), Julius Watkins (frh), Sam Rivers (ts), Cecil Payne (bari), Tadd Dameron (p), Paul Chambers (b), Philly Joe Jones (d)
    Van Gelder Studio, Englewood Cliffs, NJ, 14. Dezember 1961
    von: Blue Note Records Presents: The Lost Sessions (CD, 1999)

    Auch hier bin ich erfreut, dass der Track überall gut angekommen ist! Die Musik von Tadley Ewing Peake „Tadd“ Dameron (1917–1965) ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit und es schien mir nicht völlig unangebracht, etwas von ihm im BFT unterzubringen, auch wenn er natürlich eine prägende Figur (DER Arrangeur) der Bebop-Zeit war, seine Karriere in den späteren Jahren allmählich ausklang. Er hatte in den späten Vierzigern z.B. für die Big Band von Dizzy Gillespie (vgl. #19) arrangiert, aber auch für Count Basie, Jimmie Lunceford, Artie Shaw, Billy Eckstine und andere der damals bedeutendsten Big Band-Leader.

    Die Mitglieder seiner Band in den späten Vierzigern und frühen Fünfzigern liest sich wie ein Who Is Who: Fats Navarro, Miles Davis, Kai Winding, Dexter Gordon, Wardell Gray, Allen Eager, Sahib Shihab (#17), Cecil Payne (hier präsent ebenso wie in #2, #9), Kenny Clarke waren dabei, aber auch Ernie Henry (#2), Charlie Rouse (der langjährige Monk-Saxophonist der Sechziger). Erwähnenswert ist auch unbedingt der Gitarrist John Collins, der mit seiner elektrischen Gitarre öfter in der mittelgrossen Dameron-Band zu hören war – in einer Zeit, als das noch keinesfalls üblich war. In den frühen Fünfzigern waren auch Clifford Brown und Gigi Gryce (#2 – die zwei nahmen damals auch bei Blue Note gemeinsam auf) bei Dameron dabei, Benny Golson (auch #2) ebenso. Sein vielleicht schönstes Produkt aus der LP-Zeit ist „Fontainebleau“, bei dem wiederum Kenny Dorham (#4) sowie Payne und Shihab zu hören sind. Am Schlagzeug wirkte in den Fünfzigern meist Philly Joe Jones mit, der hier erneut neben dem Bassisten Paul Chambers (beide sind auch in #2 dabei) anzutreffen ist. Die Bläser-Section ist ebenfalls mit illustren Namen besetzt: Donald Byrd, den wir im Mix leider nicht solistisch hören, spielt die Trompete, Curtis Fuller (#4) die Posaune, das Horn von Julius Watkins, das im Thema prominent vertreten ist (z.B. ab 0:33), hätte das ganze vielleicht verraten können. Und dann ist da noch der Modernist Sam Rivers, was aber auch nicht weiter aufsehenerregend ist, wenn man sich vor Augen hält, dass Dameron schon 1956 ein schönes Album mit Coltrane eingespielt hat („Mating Call“, Prestige).

    Solistisch ist hier nur die Rhythmusgruppe ausführlich zu hören, zunächst der Leader selbst, und mit was für einem tollen Solo! Auch er bietet nicht gerade viele Mittel auf, aber weiss genau, was er macht und verzahnt seine Kürzel und Fragmente perfekt mit dem Groove, den Philly Joe Jones drunterlegt. Paul Chambers ist dann der zweite Solist, bevor Dameron wieder zum Thema zurück leitet.

    Die Session, so lautet die Story, die auch in den Liner Notes von Michael Cuscuna (1999) wiedergegeben wird, sei abgebrochen worden, weil es Probleme mit den Noten gab (der „copyist“ war wohl zu langsam). Sehr schade, denn die Solisten – besonders übrigens Donald Byrd – waren in guter Form. Rivers, der erst drei Jahre später regelmässig bei Blue Note im Studio stand (mit dem Resultat von mehreren eigenen Alben und Sideman-Auftritten bei Larry Young, Bobby Hutcherson, Andrew Hill), ist auch mit einem Stück vertreten („The Elder Speaks“), die anderen drei stammen von Dameron. Leider gibt es eben nur etwas mehr als zwanzig Minuten und darum blieb die Session unveröffentlicht, bis zum Erscheinen der abgebildeten CD 1999 (in der Connoisseur Series, die ich damals möglichst vollständig kaufte, stets auf die nächsten paar Reissues wartend … und da kam eben auch einmal ein ganzes Bündel mit zuvor unveröffentlichter Musik, darunter die „Lost Sessions“).

    Tadd Dameron, Mary Lou Williams und Dizzy Gillespie im Appartement von Williams, ca. Juni 1946 (Photo: William P. Gottlieb)

    Track 9:

    RAY CRAWFORD
    9. Miss April (Ray Crawford)

    Johnny Coles (t), Cecil Payne (bari), Ray Crawford (g), Junior Mance (p), Ben Tucker (b), Frankie Dunlop (d)
    Nola Penthouse Sound Studios, New York, NY, 26. Januar & 10. Februar 1961
    von: Smooth Groove (Candid, Japan 1977; CD: 1988)

    Der nächste Track war ein Wackelkandidat, denn ich verstehe sofort, warum das Album von Ray Crawford damals nicht erschien (vielleicht kam es aber auch nur darum nicht heraus, weil Candid vorher dicht machte?) – es wirkt alles etwas unfertig, mehr nach lockerer Jam-Session denn nach fertigem Produkt. Doch ich erwähnte vorhin den Trompeter, den wir hier zu hören kriegen, Johnny Coles (1926–1997). Er gehört zu den grossen Lyrikern des Jazz jener Zeit, nahm als Leader trotz längerer Karriere wenig auf, in erster Linie ein Quartett-Album mit Kenny Drew bzw. auf zwei seiner eigenen Stücke Randy Weston (ein drittes Weston-Stück wurde mit Drew eingespielt). Das schien mir (wegen der Besetzung t-p-b-d) zu einfach, ebenso wie das erwähnte andere bekannte Album, „Little Johnny C“, das damals mit Leo Wright, Joe Henderson und Duke Pearson für Blue Note entstand. Beides tolle Alben, aber eben …

    An das Album von Ray Crawford (1924–1997) hatte ich aber eh längst auch gedacht, und da ist Coles ja mit dabei. Crawford selbst, der hier – wieder das Vorrecht des Leaders ausübend – das letzte Solo spielt (gut, es folgt noch Ben Tucker am Bass, aber das ist ja keine Konkurrenz), fiel mir da und dort sehr positiv auf, ganz besonders natürlich auf Gil Evans’ „Out of the Cool“ (Impulse, 1960) – ein von mi relativ spät entdeckter grosser Jazzklassiker (die erweiterte CD-Ausgabe von „The Individualism“ kenne ich viel besser). Crawford spielte in den frühen 50ern auch mit dem damaligen Trio von Ahmad Jamal (in der Nat Cole Trio-Besetzung, also p-d-b, kein Schlagzeug), auch da gibt es sehr schöne Aufnahmen, die mir aber wiederum im Vergleich mit dem famosen Jamals-Crosby-Fournier-Trio viel weniger vertraut sind.

    In den Liner Notes zur CD-Ausgabe zitiert Alan Bates ausführlich aus einem 1982 in Cadence publizierten Interview mit Crawford. Nach einigen intensiven Jahren bei Gil Evans hätte ihn Nat Hentoff (der Produzent von Candid) angerufen, weil er mit Crawford ein Album machen wollte. Dieser erarbeitete die Arrangements und stellte eine Gruppe zusammen, die gezielt im Hinblick auf passende Instrumente und Stimmen (und auf die Fähigkeit, Noten zu lesen und zu solieren) ausgewählt wurde. Es fiel also ein bewusster Entscheid für Cecil Payne (1922–2007) am Barisax (vgl. #2,#8, übrigens auch er ein wichtiger Sideman des frühen Randy Weston, beide stammten sie aus Brooklyn) und gegen ein Tenorsaxophon („everybody is playing tenor, and besides Cecil is underrated“). Das Arrangement ist hier auch wirklich interessant, die Gitarre natürlich prominent zu hören, schon mehrmals vor dem eigentlichen Solo, zwischen den Soli auch wieder notierte Passagen, aber auch die Rhythmusgruppe scheint klare Anweisungen zum Einsatz gewisser strukturierender Mittel gekriegt zu haben. Johnny Coles an der Trompete ist der erste Solist, Cecil Payne am Baritonsaxophon der zweite. Dann folgt Junior Mance (*1928), der Pianist aus Chicago, den ich auch mal noch in Erwägung gezogen hatte. Dass hier, wie bei so vielen Gitarren-Alben der Zeit überhaupt ein Klavier dabei ist, das empfinde ich ganz wie @vorgarten etwas störend, aber ich habe mich mit dem Klang (auch jenseits des famosen Nat King Cole Trios und auch dank der oben erwähnten Aufnahmen von Tal Farlow mit Eddie Costa) inzwischen ganz gut angefreundet. Aber in der Tendenz höre ich im modernen Jazz auch viel lieber nur Gitarre, ohne Klavier (oder, das ist ja eh die Regel, nur Klavier und keine Gitarre). Mances Solo finde ich aber ziemlich gut. Das Highlight ist aber schon das anschliessende Gitarrensolo, in dem auch die Mittel des Instrumentes etwas stärker (aber viel mehr auch nicht, oder?) als bei Burrell in #7 genutzt werden. Das Hauptmerkmal ist für mich aber der grossartige Ton, den Crawford hat – er vibriert etwas mehr, ist etwas körperlicher als der von Burrell, hat einen ganz leichten Twang … und natürlich ebenfalls eine hervorragende Phrasierung.

    Ben Tucker, der Bassist (und Komponist von „Comin’ Home Baby“), ist übrigens auf einem von nur zwei Alben dabei (und dem einzigen damals erschienenen), die Kenny Burrell nur im Trio mit Bass und Drums gemacht hat, der Drummer ist Dave Bailey (#4 – das Album heisst „Green Street“ und wurde auch 1961 aufgenommen, sehr empfehlenswert). Tucker ist bei Green aber auch auf dem aus demselben Jahr stammenden „Sunday Mornin’“ dabei – mit Kenny Drew am Piano (und Ben Dixon am Schlagzeug. Das andere Trio-Album von Green ist „Standards“, auch 1961, mit Wilbur Ware und Al Harewood und wohl erst in den 90ern erschienen.

    Der Drummer hier ist Frankie Dunlop, der wenig später bei Monk zum Nachfolger von Art Taylor wurde und auf den ersten Columbia-Alben einige wahre Feuerwerke entfacht. Hier ist er ziemlich zurückhaltend, jedenfalls nicht so, dass man ihn sofort erkennen würde, was ja im Rahmen eines BFT ganz hilfreich ist …

    Track 10:

    DAVID NEWMAN
    10. Cellar Groove (Norris Austin)

    Marcus Belgrave (t), David „Fathead“ Newman (ts), Norris Austin (p), Jimmy Jefferson (b), Charli Persip (d)
    New York, NY, 3. Mai 1961
    von: Fathead Comes On (Atlantic, 1962; CD: It’s Mister Fathead, 32 Jazz, 2 CD, 1997)

    So tight wie die Band hier war Monks Quartett auf seine eigene Weise erst mit Dunlops Nachfolger Ben Riley, doch das tut hier nichts zur Sache. David „Fathead“ Newman (1933–2009), hätte, so schreibt Hipster-D.J. in seinen Hipster-Liner Notes zu recht, einen netteren Übernamen verdient gehabt. Ray Charles, sein langjähriger Boss und Förderer, nannte ihn jedenfalls „Brains“. Ray Charles (#3) war es auch, der Newman zu seinem ersten Album als Leader verhalf, und zwar bei seinem eigenen Label, Atlantic Records. Charles spielte auch gleich mit, ebenfalls dabei war Marcus Belgrave an der Trompete. Bevor er Mitte der Fünfziger zur Band von Ray Charles stiess, hatte Newman schon mit Lowell Fulson und T-Bone Walker gespielt – bis dahin hätte das der typische Werdegang eines Hard Bopper sein können, doch die Band von Charles war so phantastisch, dass man es niemandem übel nimmt, wenn er dort hängen bleibt.

    Ein paar eindeutige Jazz-Credits kommen bei Newman allerdings schon dazu, u.a. das Album „Sonic Boom“ von Lee Morgan (Blue Note, 1967) und auch das eine oder andere unter eigenem Namen, z.B. das mit James Clay zusammen einspielte Riverside-Album „The Sound oft he Wide Open Spaces!!!“ (produziet von Cannonball Adderley, der Titel ist natürlich auf Texas gemünzt, die Herkunft der beiden Co-Leader), oder das zweite Atlantic-Album im Quartett mit Wynton Kelly (#2, #19), Paul Chambers (#2, #8) und Charli Persip (#19). Persip ist hier neben Belgrave der einzige bekannte Musiker. Den Pianisten und Komponisten des Stückes, Norris Austin, und den Bassisten Jimmy Jefferson kenne ich beide nicht, aber sie sind hier Teil einer supertighten Band, die auf drei der sieben Stücke der Platte zu hören sind (die anderen vier sind mit Hank Crawford am Piano, Edgar Willis am Bass und Bruno Carr am Schlagzeug, alles Charles/Atlantic-Kollegen). Leider sagen die Hipster-Notes kein Wort über die Musiker (ausser über Fathead, aber auch da eigentlich nur Plattitüden).

    Aber der Groove hier ist schon super, das geht gleich in die Vollen, Fathead zitiert früh im Solo kurz „Mona Lisa“ und danach wohl wenigstens noch zwei andere Stücke, die ich aber nicht erkenne. Vielleicht da und dort ein Schnörkel zuviel, aber der Mann weiss genau, was er tut – und er hat einmal mehr einen grossartigen Ton, mit dem er wohl jeden in den Boden hauen konnte, wenn es denn darauf ankam. Trompeter Marcus Belgrave (1936–2015) scheint mir tatsächlich rhythmisch etwas unsicher hier, die Phrasierung passt nicht ganz, er kommt vom Time her nie ganz mit der Rhythmusgruppe zusammen und löst sich auch nicht genügen von ihr, wenn er Läufe im doppelten Tempo einflicht. Dennoch, ein Musiker, den ich durchaus auch gerne noch drin hatte. Belgrave war eine zentrale Figur der Szene in Detroit, Mentor u.a. für Geri Allen, Kenny Garrett und James Carter:
    https://www.nytimes.com/2015/05/27/arts/marcus-belgrave-trumpeter-and-mentor-in-detroits-jazz-scene-dies-at-78.html?_r=0
    Danach gibt es leider kein Klaviersolo sondern ein paar Runden Fours mit Newman und dem tollen Charli Persip (damals schrieb er sich noch „Charlie“) und nach dem Thema ein recht guter Schluss (alles ist besser als ein Fade-Out).

    Hier noch das Portrait, das auf dem Booklet der Doppel-CD zu sehen ist, dem ich den Track entnahm – ein klassisches Lee Friedlander-Bild:

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    Auflösung – Teil 3/4

    Track 11:

    JOHN WRIGHT TRIO
    11. 47th and Calumet (John Wright)

    John Wright (p), Wendell Roberts (b), Walter McCants (d)
    Van Gelder Studio, Englewood Cliffs, NJ. 30. August 1960
    von: South Side Soul (Prestige, 1960; CD: John Wright Trio & Quartet, Fresh Sound, 2 CD, 2012)

    John Wright (*1934) kam in Louisville, Kentucky zur Welt, seine Familie zog bald in die South Side von Chicago, das Viertel, in dem sich schon in den Jahrzehnten davor viele Afro-Amerikaner angesiedelt hatten. Unter den Zehntausenden, die sich Anfang des Jahrhunderts in der South Side heimisch wurden, waren auch viele Blues-Musiker, etwa Blind Lemon Jefferseon, Roosevelt Sikes, Jimmy Yancey oder Memphis Slim. Wrights Debut-Album bringt schon im Titel auf den Punkt, worum es geht: „South Side Soul“. Wright fing mit fünf Jahren an, Klavier zu spielen, erhielt nie eine wirkliche Ausbildung, spielte aber schon in den frühen Zwanzigern professionell, auch schon mal mit durchziehenden Musikern wie Gene Ammons.

    Die beiden Sidemen kenne ich nicht, sie stammen aber beide ebenfalls aus Chicago und McCants wirkte später auch bei der Aufnahme zu „The Last Amen“ wieder mit, dem vierten der fünf Prestige-Alben, die Wright zwischen 1960 und 1962 machte (am Bass war in der Folge Wendell Marshall zu hören, bis auf „The Last Amen“, wo er von Eugene Taylor ersetzt wird, am Schlagzeug der Reihe nach J. C. Heard, Roy Brooks, nochmal McCants und schliesslich auf dem letzten der Alben, das ich noch nicht kenne, Walter Perkins). Das dritte Album, „Makin’ Out“, ist als einziges nicht im Trio sondern im Quartett mit Eddy Williams (ts) entstanden, der auch mit dem Posaunisten Bennie Green aufgenommen hat.

    Fresh Sound hat die Alben #1–4 vor einigen Jahren auf einer Doppel-CD neu aufgelegt und ich kaufte das Reissue irgendwann tatsächlich, unsicher, ob das nicht ein Fehlkauf würde. Doch dem war nicht so, obwohl ich mich erinnern kann, wie ich die zwei Alben, die als OJC-Reissues greifbar waren (#1 und #5, das den Titel „Mr. Soul“ trägt), früher öfter im Laden antestete und stets zurück liess. Die Musik ist Wrights Show, und man muss auch überhaupt nicht viel dazu sagen, schnörkelloser Blues mit einem tollen Klaviersound, zugleich zurückhaltend aber auch selbstbewusst. Bass und Drums legen den Boden, auf den das Klavier sich nur zu betten braucht.

    Die etwas mystifizierenden Liner Notes (es geht um den bzw. eher die „soul“ der South Side ebenso wie jene von Harlem) hat übrigens LeRoi Jones beigesteuert.

    Hier ein langer Artikel über Wright, den ich im Rahmen der Vorbereitung der Auflösung fand:
    https://www.chicagoreader.com/chicago/john-wright-piano-jazz-south-side-soul-prestige-gathering/Content?oid=14995997

    Track 12:

    J. R. MONTEROSE
    12. That You Are (J. R. Monterose)

    J. R. Monterose (ts), Dale Oehler (p), Gary Allen (b), Joe Abodeely (d)
    Studio 4, Rock Island, IL, 1964
    von: In Action (Studio 4, 1964; CD: Bainbridge, ohne Jahr/1990 [?])

    Der nächste Track kommt von einem Musiker, bei dem mir auch sofort klar war, dass er dabei sein musste. J. R. Monterose (1927–1993) kam in Detroit zur Welt, wuchs aber in Utica, NY, auf. In den frühen Fünfzigern spielte er in Big Bands, u.a. bei Buddy Rich und Claude Thornhill. Mitte der Fünfziger folgten „grössere“ Gigs etwa bei Teddy Charles, oder Eddie Bert (Aufnahmen auf Savoy) und vor allem bei Kenny Dorham. Monterose wurde Teil der leider kurzlebigen Jazz Prophets wurde, mit Dorham, Dick Katz (auf dem Studio-Album bei ABC-Paramount) bzw. Bobby Timmons (auf den Live-Aufnahmen bei Blue Note) am Klavier, Sam Jones am Bass und Arthur Edgehill am Schlagzeug (bei den Blue Note-Aufnahmen wirkte auch der Gast Kenny Burrell, hier in #7, mit). 1956 nahm Monterose auch sein erstes Album als Leader auf, „J. R. Monterose“ (Blue Note) mit einer erstklassigen Band (Ira Sullivan, t; Horace Silver, p; Wilbur Ware, b; Philly Joe Jones, d). Dieses Album erschien 1994 wieder in der bereits erwähnten Connoisseur Series von Blue Note/EMI und Monterose glänzt schon darauf mit einem riesigen Ton und einer kantigen Phrasierung, die einen befürchten lässt, dass er unterwegs ständig überall anstösst. Davor hatte ich ihn wohl bereits mit Mingus auf dessen ebenfalls 1956 eingespieltem ersten Meisterwerk „Pithecantropus Erectus“ gehört (an der Seite von Jackie McLean, der bei Mingus damals besser war als überall sonst). Ein zweites Album, noch besser, folgte 1959 auf dem kleinen Label Jaro, mit Tommy Flanagan, Jimmy Garrison und Pete LaRoca.

    Seine folgende Karriere ist nur schlecht dokumentiert. Hie und da gab es Aufnahmen, 1970 z.B. ein Album mit Jon Eardley und ein paar Europäern („Body and Soul“), 1981 ein Duo-Album mit Flanagan. Ein Live-Mitschnitt aus der Provinz – dem Gebiet, in dem Monterose sich noch lange Jahre als aktiver Musiker herumtrieb – und aus dem Jahr 1979 erschien unlängst bei Uptown („Live in Albany 1979“).

    Das gewählte Stück, Monteroses Paraphrase über „All the Things You Are“ (ich war wirklich erstaunt, dass man das nicht gleich erkennt, aber ihr habt wohl alle keine Real Books, aus denen ihr jahrelang mehr oder weniger regelmässig Zeug gespielt habt?) stammt vom wohl legendärsten Album des Saxophonisten, „J. R. Monterose in Action“, 1964 in Rock Island eingespielt mit de mTrio des Drummers Joe Abodeely (mit dem Pianisten Dale Oehler und dem Bassisten Gary Allen). Mit einer ähnlichen Band plus dem Sänger Al Jarreau ist Monterose im Vorjahr auch auf „Live at the Tender Trap“ dokumentiert (ich habe das schon länger auf einer Fresh Sound-CD, „In Action“ kam mir erst vor ein paar Jahren eher zufällig endlich in die Finger, das CD-Reissue von J.S. Productions ist nicht datiert, das Bainbridge-Logo ist auch drauf, als einzige Jahreszahl steht 1964).

    Ich denke Mal, dass die Vorstellung vom „Kammerjazz“, die glaube ich @friedrich geäussert hatte, von daher rührt, dass Monterose – darin vielleicht Lee Konitz ähnlich – seine Ideen frisch hielt, in dem er immer wieder vorhandenes Material hinterfrage, neu betrachtete, zu neuen Ansätzen fand. Das geschieht hier eben mit „All the Things You Are“, einem von den Beboppern und Hard Boppern völlig zutode genudeltes Stück, das aber attraktive Changes bietet (und eben welche, von denen ich behaupten würde, sie immer sofort zu erkennen, wenn sie denn nicht umgebaut werden). Monterose wirkt auch hier völlig unvoreingenommen, er hat eine Idee nach der anderen (ein Vorbild war sicher schon früh Sonny Rollins), er hat immer noch seinen beissenden Ton, irgendwie hart, irgendwie hässlich, aber eben auch supertoll (und hier vermutlich nicht optimal eingefangen – schwer zu sagen, ob er sich seit den Aufnahmen aus den Fünfzigern so verändert hat oder ob das teils an der Aufnahme liegt).

    Das Begleittrio ist durchaus auf der Höhe, vor allem Dale Oehler (*1941), der schon ein feines Intro spielt, ist auch im Solo ziemlich gut. Der Mann hatte als Arrangeur und Produzent später übrigens eine ziemlich illustre Karriere, in der Namen wie Marvin Gaye, Freddie Hubbard, Joni Mitchell, Moacir Santos, Bobby Hutcherson, Horace Silver, Randy Crawford, Jimmy Scott und diverse andere auftauchen:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Dale_Oehler

    Track 13:

    THE JIMMY OWENS-KENNY BARRON QUINTET
    13. Love, Where Are You? (James Moody)

    Jimmy Owens (t), Kenny Barron (p), Christopher White (b), Freddie Waits (d)
    Atlantic Studios, New York, NY, 19. April 1967
    von: You Had Better Listen (Atlantic, 1967; CD: WEA Japan, 2013)

    Und nun also Jimmy Owens (*1943) … ich muss zugeben, ich habe ihn nie wirklich verfolgt, kaufte irgendwann dieses mir auf dem Papier sehr attraktiv scheinende Album, als es in Japan wieder greifbar wurde, und fand es ordentlich gut. Es landete auch auf dem Stapel der CDs, die ich in der Vorbereitung auszugsweise oder komplett hörte, ich hätte auch nicht übel Lust auf einen Boogaloo im Mix gehabt, aber es war dann die Ballade, auf der leider Bennie Maupin nicht zu hören ist, der Saxophonist, der auch auf dem Album spielt … aber eben auch die Ballade, in der Jimmy Owens in der Tat eine Entdeckung ist! Ich bin nicht ganz sicher, ob ich für Flügelhorn optieren soll, es gibt auch Momente, wo der Ton eher nach Trompete klingt, aber die Instrumente mit Sicherheit auseinanderzuhalten finde ich wie gesagt eh fast unmöglich. Jedenfalls spielt Owens mit einem tollen Ton, lässt sich Unmengen Zeit, hat nie das Bedürfnis, zu protzen, auch dann nicht, wenn das Tempo mal angezogen wird. (Bei 4:59, das ist ein scheues „Maria“-Zitat, ja? Bernstein meine ich.). Die Rhythmusgruppe macht auch einen tollen Job, besonders White am Bass, der Ding wuppt, noch mehr als Barron, dünkt mich. Und Waits war eh ohne Fehl und Tadel, egal ob Funk oder Jazz.

    Das Stück hat James Moody geschrieben, der gleichzeitig wie Co-Leader Kenny Barron (auch *1943) in der Band von Dizzy Gillespie spielte. Ebenfalls von Gillespie her kommen Chris White am Bass und Rudy Collins, der auf der anderen Hälfte des Albums Schlagzeug spielt. Owens spielte, so scheint es, in den späten Sechzigern und in den Siebzigern mit fast allen: Mingus, Ellington, Roach (#1), Basie, Golson (#2), ja sogar mit Lionel Hampton.

    Track 14:

    HAROLD OUSLEY
    14. Dell-A-Vonn (Harold Ousley)

    Harold Ousley (ts), Charles Davis (bari), Julian Priester (tb), Phillip Wright (p), Thomas Williams (b), Walter Perkins (d)
    New York, NY, 1961
    von: Harold Ousley (Bethlehem, 1961; CD: Solid/Verse Music Group, 2013)

    Der Track hier ist für mein Empfinden neben #14 der „engste“, „geschlossenste“, aber es weht auch wiederum ein ganz anderer Geist hier – South Side wieder, die Ebenen des mittleren Westens, in denen auch ein Besucher vom Saturn landen konnte. Harold Ousley (1929–2015) kam in Chicago zur Welt, mir begegnete sein Name wohl erstmals in den Neunzigern, als Ellery Eskelin seins Gene Ammons-Hommage in Willisau aufführte und ich das am Radio höre. Auf der Playlist stand damals nämlich auch das Stück „The People’s Choice“ von Harold Ousley (es gibt das Programm von Eskelin – mit Marc Ribot und Kenny Wollesen – auch auf CD). Vor Jahren schon kam mir dann ein schönes, spätes Delmark-Album von Ousley in die Hände, „Grit-Gittin’ Feelin’“ (mit Jodie Christian, John Whitfield, Robert Shy und dem Gast Art Hoyle, noch so eine legendäre Gestalt).

    Das Album „Tenor Sax“ (oder auch „Harold Ousley“, so klar ist mir das nicht) ist wohl sein Debut, „Dell-a-Vonn“ steht da an zweitletzter Stelle, gefällt mir aber gerade wegen des Arrangements sehr gut. Es gibt diesen Vamp mit leicht östlichem Anklang (Lateef machte das damals schon seit vier Jahren oder so), und dann die „Auflösung“ in den straighten 4/4, der den Solisten jeweils ordenltich Schub gibt. Am Schlagzeug sitzt mit Walter Perkins ein ziemlich grossartiger Musiker, der damals schon mehrer Alben mit den „MJT+3“ gemacht hatte, der Band, die er zusammen mit Bob Cranshaw leitete (die zwei wawren die „Modern Jazz Two“ und dazu kamen dann noch drei andere, u.a. Frank Strozier, den wir in #16 mit Roy Haynes hören). Perkins spielte mit Gigi Gryce (er ist auf Teilen des Albums, von dem #5 stammt), mit Booker Ervin, Jaki Byard, Gene Ammons, Art Farmer, Charles Mingus und vielen anderen, spät in seiner Karriere auch mit den Avantgarde-Musikern William Parker und Peter Brötzmann (mit letzterem entstand 2002 ein feines Duo-Album).

    Den Solo-Reigen öffnet hier der Leader am Tenorsax mit einem recht guten längeren Solo, in dem der Ton mal wieder mehr als die halbe Miete ist. Es folgen der zeitweise dem Sun Ra-Orbit angehörige Posaunist Julian Priester, der damals auch regelmässig mit Max Roach (#1) spielte, mit seinem sehr beweglichen Ton, seiner Phrasierung, die an menschliches Sprechen erinnert – einer meiner Lieblingsmusiker auf dem Instrument, keine Frage. Danach hören wir auch noch Charles Davis am Baritonsaxophon, der ebenfalls zum Sun Ra-Kreis zählte, damals aber auch u.a. mit Cecil Taylor oder Steve Lacy spielte. Für mich ein Musiker, der irgendwie nie ganz das Versprechen einlösen konnte, das er doch immer wieder abgibt (heisst: man hört immer mal wieder was, wo man denkt: wow, grossartig! Dann hört man weiter und wird eher früher als später leise enttäuscht). Das letzte Solo gehört dann dem mir unbekannten Pianisten, Philipp Wright. Den Bassisten kenne ich auch nicht, aber falsch machen sie hier beide nichts, auch wenn das Klaviersolo sicher keine Sternstunde ist.

    Track 15:

    GENE LUDWIG TRIO
    15. Blues Waltz (Max Roach)

    Gene Ludwig (org), Jerry Byrd (g), Randy Gelispie (d)
    New Yok, NY (?), 1963/64 (?)
    von: Organ Out Loud (Mainstream, 1965; CD: Solid, 2017)

    Bevor es zu den Bonustracks geht, brauchte es erstmal einen Rausschmeisser … und was für einen! Gene Ludwig (1937–2010) ist wohl der einzige weisse unter den grossen Organisten der ganze Ära. Und er reiht sich mühelos zwischen Jimmy Smith, Jack McDuff, Lonnie Smith, John Patton oder Larry Young ein. Das Album kenne ich noch gar nicht lange, es kam 2017 in als Teil der feinen japanischen Mainstream Records Master Collection wieder heraus, in der inzwischen dutzende Alben neu aufgelegt worden sind, die Bob Shad (einst Produzent auch von Max Roach bei Mercury – vielleicht kam die Idee, den „Blues Waltz“ von Roach zu spielen ja von ihm?) auf seinem 1964 gegründeten Label Mainstream herausbrachte. Die Gitarre von Jerry Byrd kenne kenne ich sonst nur von ein paar späten Alben von Freddy Cole, dem ebenfalls als (sehr guter!) Sänger/Pianist auftretenden jüngeren Bruder von Nat King Cole … aber im Ohr habe ich die Aufnahmen überhaupt nicht, hier rockt er schon mal schön los – und dass man da an jemanden wie Gabor Szabo denkt, passt schon. Und das Orgelsolo ist dann völlig bekloppt, baut eine unglaublich Spannung auf. Der eine, über die letzten zwei Chorusse gehaltene Ton ist der Gipfel – und animiert ihn dann auch noch zu ein paar rhythmisch besonders tollen Dingen. Danach Shout-Chorus (nehme ich, klingt jedenfalls arrangiert), Themen-Rekapitulation – und wie in den alten Zeiten ist in drei Minuten alles gesagt, was es zu sagen gibt. Grossartig. Randy Gelispie, der Drummer, hat keinen geringen Anteil am Erfolg, er ist wohl immer noch unterwegs, zumal ist er auf der 2013 eingespielten Hommage an John Patton zu hören, die der Organist von Organissimo, Jim Alfredson, einspielte. Ludwig und Gelispie sind auch – mit Pat Martino an der Gitarre – auf dem 1969er Album „Night Letter“ von Sonny Stitt zu hören.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    RollingStone Forum Blindfold Test #28

    Auflösung – Teil 4/4: Bonus Tracks
    Track 16:

    ROY HAYNES
    16. Go ‛n’ Git It! (Ronnie Mathews)

    Frank Strozier (as), Ronnie Mathews (p), Larry Ridley (b), Roy Haynes (d)
    Van Gelder Studios, Englewood Cliffs, NJ, 10. September 1963
    von: Cymbalism (Prestige/New Jazz, 1963; CD: Fantasy/OJCCD, 2002)

    Die vier Bonustracks wurden ja alle aufgeschlüsselt, auch wenn es ebenfalls etwas länger dauerte, als ich erwartet hatte. Der erste präsentiert Roy Haynes mit einem Track aus einem seiner tollen Prestige-Alben. Am liebsten hätte ich Booker Ervin (noch ein Tenorsaxer, der in der Liste oben fehlt) auch noch dabei gehabt, aber auch ihn erkennt man, kaum setzt er zum ersten Ton an. Auch diese Session mit Frank Strozier hielt ich für zu leicht erkennbar, um den Track vorne einzufügen – allein wegen des Schlagzeug-Sounds von Roy Haynes (*1925), der hier zwar in der Tat etwas weniger spitz und weniger hoch gestimmt scheint als anderswo. Eine Amen-Nummer fehlte aber ebenfalls noch und so ist das doch ein guter Auftakt zu den Bonustracks. Haynes ist die Tage möglicherweise der dienstälteste noch aktive Jazzmusiker und blickt auf eine gigantische Karriere zurück, die schon im Swing und dann im Bebop begann, wo er neben Max Roach zu einem der bedeutenden neuen Drummer wurde. Er spielte damals in der Band von Lester Young, wirkte in den folgenden Jahren an der Seite von Charlie Parker, Miles Davis, Sarah Vaughan, Thelonious Monk (1958, als auch Johnny Griffin in der Band war), Eric Dolphy, Stan Getz, sprang bei öfter mal bei Coltrane ein, wenn Elvin Jones nicht konnte, später spielte er auch mit Chick Corea, Pat Metheny und unzähligen anderen. Haynes’ Sohn ist der Kornettist Graham Haynes, der grossartige Drummer Marcus Gilmore ist sein Enkel.

    Doch um nochmal auf das Stück hier zurückzukommen, ich glaube @vorgarten hat betont, wie toll der Pianist Ronnie Mathews (1935–2008) auch in dem eng gesetzten Rahmen agiert. Völlig einverstanden, zumal Mathews für meine Ohren eh einer der vernachlässigten aus der Zeit ist. Er konnte zwar 1963 mit „Doin’ the Thang“ gerade noch ein eigenes Album machen, bevor es mit dem Jazz kommerziell gesehen bachab ging (mit Freddie Hubbard sowie Charles Davis, der in #14 am Barisax zu hören ist), aber so richtig bekannt wurde er leider nie, trotz Gigs bei Art Blakey, Louis Hayes/Woody Shaw und diversen anderen, und ein paar sehr schönen Sachen unter eigenem Namen (besondere Empfehlung für „Selena’s Dance“, Timeless, 1988, Trio mit Stafford James und Tony Reedus).

    Gegen Haynes (und Strozier) im BFT sprach übrigens auch, dass ich schon mal einen Track aus seinem etwas späteren Album „People“ in einem BFT hatte (korrigier mich, wenn das nicht stimmt, @vorgarten, aber ich bin mir ziemlich sicher?)

    Track 17:

    QUINCY JONES
    17. Solitude (Ellington–DeLange–Mills)

    Solo: Melba Liston (tb)

    Benny Bailey, Freddie Hubbard, Rolf Ericson, Paul Cohen (t), Curtis Fuller, Melba Liston, Åke Persson, David Baker (tb), Julius Watkins (frh), Phil Woods, Joe Lopes (as), Eric Dixon (ts, fl), Budd Johnson (ts), Sahib Shihab (bari, fl), Patti Bown (p), Les Spann (g, fl), Buddy Catlett (b), Stu Martin (d), Quincy Jones (arr, cond)
    Live, Zürich, 10. März 1961
    von: The Great Wide World of Quiny Jones Live (Mercury Japan, 1984; CD: The Quincy Jones ABC/Mercury Big Band Sessions, Mosaic, 5 CD, 2007)

    Das nächste Thema ist die Big Band. Sie drohte, aus dem BFT zu fallen, weil ich z.B. die Big Soul Band von Johnny Griffin (ich postete hier im Thread glaub ich einen Youtube-Track, hoffe, man kann den auch in DE anschauen) für viel zu einfach hielt, weil die Thad Jones/Mel Lewis-Band auch ausschied (die ging erst 1966 los – wäre immer noch vor dem Owens/Barron-Track gewesen, aber …) – ich beschloss bald, die Gillespie-Band der Jahre 1956/57 aufzunehmen und kam von da natürlich auch auf Quincy Jones, der Gillespie ja half, die Leute für seine neue Big Band aufzutreiben und auch das eine oder andere Arrangement beisteuerte. Dass Jones später – und vielleicht auch hier schon – diverse Arrangements von angestellten Musikern, allen voran von Billy Byers, als seine eigenen ausgab, ist bekannt (und wohl auch kein Einzelfall, nur etwas krasser als bei vielen anderen Bandleadern), doch die Big Band, die er in den späten Fünfzigern gründete und leitete, war wirklich fabelhaft. Einen langen Track mit einem grossen Solo-Reigen wollte ich aber nicht vorstellen, die Wahl fiel am Ende auf das Feature für die Posaunistin Melba Liston (–1999) – wir hörten sie schon in #2. Das Stück ist natürlich Ellingtons Klassiker „Solitude“, der hier von einer ziemlich grossen Menge von Leuten gespielt wird, die direkt um die Solistin herum sind – zudem auch noch vor Publikum. Aber was ist Kunst denn anderes, als Geschichten über Dinge (andere Geschichten, Gefühle, was weiss ich) zu erzählen?

    Track 18:

    JEROME RICHARDSON QUINTET
    18. Delilah (Victor Young)

    Jerome Richardson (ts, fl), Richard Wyands (p), Les Spann (g, fl), Henry Grimes (b), Grady Tate (d)
    New York, NY, April 1962
    von: Going to the Movies with the Jerome Richardson Quintet (United Artists, 1962; CD: EMI Japan, 2011)

    „Delilah“ – ich erwähnte oben die Version von Clifford Brown/Max Roach, es gibt zudem grossartige Versionen von Yusef Lateef (er nannte sich ja Brother Yusef, aber das war wohl anders gemeint) und eine Live-Einspielung von Coltrane. Ein Stück, das ich sehr gerne mag, auch in dieser Version von Jerome Richardson (1920–2000), einem Saxophonisten, der meiner Ansicht nach völlig unterschätzt ist. Das liegt aber auch daran, dass er wohl nie den Ehrgeiz hatte, sich als Leader durchzusetzen, oft in Big Bands und Studio-Orchestern anzutreffen ist – auch in der gerade gehörten Bad von Quincy Jones (nicht zu dem Zeitpunkt, aber man hört ihn auf mehreren anderen Mercury-Alben). Als Leader machte er damals drei Alben, zwei für Prestige („Midnight Oil“, 1958, u.a. mit Kenny Burrell und Charli Persip; Roamin’ with Richardson“, 1959, mit Richard Wyands, George Tucker und Persip), sowie dieses dritte für United Artists (wieder mit Wyands, den wir in #5 schon hörten, sowie mit Les Spann, einem Kollegen aus der Quincy Jones Big Band). 1996/97 folgte dann für TCB noch ein Nachzügler, das ebenfalls hörenswerte „Jazz Station Runaway“ (mit Dave Hazeltine, Russell Malone/ Howard Alden, George Mraz, Lewis Nash/Dennis Mackrel, sowie Frank Colon).

    Richardson nahm mehrmals mit Cannonball Adderley auf, wirkte bei einer von Gene Ammons’ Jam Sessions bei Prestige mit (jener, auf der auch Coltrane mitspielt), gehörte 1959/60 zur Band von Quincy Jones, wirkte 1975 bei Kenny Burrells zwei „Ellington Is Forver“ Doppelalben mit, spielte mit Eddie „Lockjaw“ Davis, mit Tadd Dameron, dem Orchester von Gil Evans (er war bei Sessions mit Miles Davis ebenso wie auf „The Individualism of Gil Evans“ dabei). Richardson spielte in den späten Sechzigern bei Oliver Nelson und auch länger in der Thad Jones/Mel Lewis Big Band (wo er auf mitreissende Soli am Sopransax spezialisiert war). Bei Mingus taucht er öfter auf (Mingus Dynasty, Town Hall Concert), auch als grossartiger Sopransax-Solist auf „Black Saint and the Sinner Lady“. Zudem wirkte er bei unzähligen Sessions von Sängerinnen mit – Betty Carter, Shirley Horn, Helen Merrill, Beverly Kenny, Abbey Lincoln, Etta Jones. Da kommt jedenfalls verdammt viel – auch Substantielles – zusammen!

    Auf „Goin’ to the Movies“ erklingen Stücke, die aus Filmen stammen – wie eben Victor Youngs „Delilah“. Richardson präsentiert das Thema an der Flöte, während Les Spann an der Gitarre zu hören ist. Dann macht er einen fliegenden Wechsel aufs Tenor und legt sofort los. Sein Solo ist zupackend, solide, mit super Ton und recht kantiger Phrasierung. Grady Tate und Henry Grimes sorgen für einen guten Beat, Richard Wyands begleitet wie immer sehr geschmackvoll und nicht zu dicht. Richardson holt richtig aus, streut Doubletime-Läufe ein, dann wieder rhythmisierte Passagen, die Grimes auch mal zu einem angedeuteten Orgelpunkt animieren. Les Spann folgt dann mit einem super Einstieg – und ist vielleicht der „gitarristischte“ der Gitarristen, die hier aufspielen? Er zitiert dann noch „Bey mir bistu shein“ (4:40), eine alte jiddische Schmonzette aus einem Musical von 1932, verliert aber etwas an Schwung, was, wie mir scheint, Tate etwas auszugleichen versucht. Auch Grimes kommt stellenweise richtig in Fahrt, auch beim Wechsel von Spann zu Wyands am Klavier, der ziemlich gut drauf ist. Dann beginnt Richardson am Tenor zu riffen, die Gitarre mischte sich schon davor manchmal etwas störend ein, doch die ganze Verdichtung ist schon ziemlich toll. Und Grady Tate, der ja vor fast genau einem Jahr verstarb, kann hier mal richtig gut zeigen, was er drauf hat. Am Ende ist es dann Spann, der die Flöte spielt, denn Richardson bleibt bis am Schluss am Tenor.

    Track 19:

    DIZZY GILLESPIE
    19. That’s All (Pete Anson)

    Solos: Lee Morgan (t), Billy Mitchell (ts), Wynton Kelly (p)

    Dizzy Gillespie, Talib Dawuud, Lee Morgan, E. V. Perry, Carl Warwick (t), Al Grey, Melba Liston (tb), Rod Levitt (btb), Ernie Henry, Jimmy Powell (as), Benny Golson, Billy Mitchell (ts), Billy Root (bari), Wynton Kelly (p), Paul West (b), Charli Persip (d), A. K. Salim (arr)
    WOR Recording Studios, New York, NY, 8. April 1957
    von: Dizzy in Greece (Verve, 1958; CD: Birks Works: The Verve Big-Band Sessions, PolyGram, 2 CD, 1995)

    Rausschmeisser #2, und nun wirklich der Schlusz. Die Big Band des Bebop-Heroen John Birks „Dizzy“ Gillespie (1917–1993) von 1956/57 lernte ich zunächst mit einem Bootleg auf Jazz Unlimited kennen, ein Konzertmischnitt auch Chester, Pennsylvania, den es in diversen unterschiedlichen Editionen gibt (eine komplette Ausgabe scheint es leider nicht zu geben). Die Band wird von Charli Persip am Schlagzeug angetrieben. Wir hören kurze Soli von Lee Morgan, Billy Mitchell am Tenorsaxo und Wynton Kelly am Klavier (ersterer und letztere sind schon in #2 zu hören – überhaupt ist die Band von #2 fast schon eine band within the band von hier: Morgan, Melba Liston, Ernie Henry, Benny Golson und Kelly sind alle beide Male dabei). Das Arrangement von A. K. Salim mag eher als Bebop denn als Hard Bop durchgehen, aber wie Persip die Band kickt ist schon erkennbar anders. Und die Soli sind natürlich der pure Hard Bop. Morgan steigt mit einem Zitat ein (ich komme leider grad nicht drauf, was es ist, die allererste Phrase – anyone?) und macht seinem Mentor (der ihn auch das grosse Solo mit dem langen Break in „A Night in Tunisia“ spielen liess) alle Ehre. Billy Mitchell ist ein weiterer unterschätzter Tenorsaxer jener Zeit, ich kenne ihn v.a. von Thad Jones’ Combo-Aufnahmen aus der Zeit, auf Blue Note und United Artists – toller Ton, feine Phrasierung, an Rollins geschult und vielleicht auch etwas an seinem Kollegen Benny Golson? Jedenfalls schön, auch von ihm noch ein paar Takte im Mix drinzuhaben (die Alben von Jones hätte ich gerne auch noch berücksichtigt, aber niemand wollte einen dreistündigen BFT, oder?). Kelly ist auch hier wieder toll, funky und doch lyrisch, entspannt und doch hart swingend. Dann nochmal das Thema, ein röhrendes Finale. That’s all.

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    vorgarten

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    krass, das osmosis-album hab ich natürlich und haynes finde ich da durchweg super. tolle netzwerk-auflösung, bin gespannt auf die fortsetzungen!

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    #10587903  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    vorgartenkrass, das osmosis-album hab ich natürlich und haynes finde ich da durchweg super. tolle netzwerk-auflösung, bin gespannt auf die fortsetzungen!

    Habe zu Haynes gerade noch den „non sequitur“-Satz („Tenorsax? kein Zufall“) mit einem kleinen Exkurs ergänzt/aufgelöst … Du hattest den Track aber erkannt, nicht?

    Ich hoffe, ich kriege die Fortsetzungen heute noch hin, allenfalls folgt der Rest halt am Wochenende …

    Ach so: und da Randy Weston mehrfach erwähnt wurde – ich finde wohl den Auftritt von Frank Haynes mit Weston seinen besten überhaupt – man kriegt das Album bei Fresh Sound (wie es scheint derzeit nur direkt beim Label):
    https://www.freshsoundrecords.com/randy-weston-albums/4642-trio-sextet-from-52nd-street-to-africa.html

    Das Originalcover sah so aus:

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    #10587949  | PERMALINK

    vorgarten

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    das stück habe ich über bailey gefunden. aber interessant, was du über die bedeutungsverschiebung von tenor- und altsax schreibst. john gilmore würde ich da auch unbedingt nennen. es war wohl auch für ra sehr wichtig, ende der 50er, anfang der 60er einen starken mann im tenorfach zu haben.

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    #10587971  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    vorgartendas stück habe ich über bailey gefunden. aber interessant, was du über die bedeutungsverschiebung von tenor- und altsax schreibst. john gilmore würde ich da auch unbedingt nennen. es war wohl auch für ra sehr wichtig, ende der 50er, anfang der 60er einen starken mann im tenorfach zu haben.

    Absolut, ja!

    Die Liste ist total unvollständig, nur rasch aus dem Gedächtnis geschrieben. Teddy Edwards, der vielleicht tollste durch-und-durch Bebop-Tenorsaxer kam ja aus biographischen Gründen auch erst im Hard Bop richtig zum Zug … und passte dort auch noch besser rein, weil sein Spiel sich verändert hatte … was man für Dexter Gordon mit einem recht ähnlichen Werdegang nicht sagen kann, obwohl ich „Daddy Plays the Horn“ knapp als Hard Bop-Album durchgehen liesse.

    Harold Land wäre auch noch ein Name, Brown/Roach (dort Nachfolger von Edwards), auch Kalifornien …

    Und dass Clifford Jordan im BFT fehlt, tut mir auch etwas leid (hatte z.B. „Mosaic“ mit Dorham im Auge, aber es wurde einfach zuviel …)

    Ach ja, und ich verriet ja schon den Mann aus #12, wegen der Bezüge und so :-)

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