Startseite › Foren › Kulturgut › Für Cineasten: die Filme-Diskussion › Berlinale 2011 – 10. bis 20. Februar
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AutorBeiträge
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@Witek: Danke, ich habe hier gern mitgelesen. Dein Pensum
ist beeindruckend. Ich war nach einem Film schon ziemlich
bedient.Witek Dł
19. „Un mundo misterioso“ von Rodrigo Moreno [Argentinien/Deutschland/Uruguay, 2o11; Sektion Wettbewerb] * 1/2Bin auf deine Besprechung gespannt.
Ganz so schlecht habe ich ihn nicht
gesehen.--
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WerbungKlueseWow, einen mehr würde ich dann wohl doch vergeben … die Karte bin ich übrigens noch losgeworden. Beste Grüße
Schön für dich – nicht so schön für den armen Menschen, der dann den Film ansehen musste. Habe mich schon lange nicht mehr so sehr über einen Film geärgert.
Natsume
Ganz so schlecht habe ich ihn nicht
gesehen.Ich fand ihn schon sehr mau. Da mag aber auch ein bisschen Berlinale-Endstimmung und Filmoverkill mit im Spiel sein.
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Witek Dł
2. “Silver Bullets“ von Joe Swanberg [USA, 2011; Sektion Forum] * * * * *Klasse!
Ich bin auf deine Kritik zu „Brownian Movement“ gespannt, wir haben uns geärgert, keine Tickets mehr dafür bekommen zu haben. Bei einem Film, der scheinbar stark auf Sandra Hüller zugeschnitten ist, würde ich zunächst keinen Totalausfall erwarten, aber ein weiterer Berlinale-Beitrag mit ihr („Über uns das All“) war ja auch ziemlicher Mist.
Von „Submarine“ war ich etwas, von „The Future“ sehr enttäuscht. Wobei die Bewertung des Erstgenannten natürlich durch den Moss-Regiebonus trotzdem auf * * * 1/2 aufgerundet wird.
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A Kiss in the DreamhouseNapoleon DynamiteIch bin auf deine Kritik zu „Brownian Movement“ gespannt, wir haben uns geärgert, keine Tickets mehr dafür bekommen zu haben. Bei einem Film, der scheinbar stark auf Sandra Hüller zugeschnitten ist, würde ich zunächst keinen Totalausfall erwarten
So sehr ich Sandra Hüller mag – in dem Film hätte ich ihr gern ins Gesicht geschlagen.
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Hast du eigentlich „Dreileben“ noch sehen können, Napo?`
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Puh, Witek! Kein sehr feiner Kommentar gegenüber Sandra Hüller.
Habe den Film auch nicht so schlecht gesehen wie Du… Hat sich auf jeden Fall gesteigert. Aber wirklich gut war der nich, gebe ich zu:)--
kickenPuh, Witek! Kein sehr feiner Kommentar gegenüber Sandra Hüller.
Ich korrigiere: Der Figur, die Sandra Hüller in „Brownian Movement“ gespielt hat, hätte ich gern ins Gesicht geschlagen. Besser?
Habe den Film auch nicht so schlecht gesehen wie Du… Hat sich auf jeden Fall gesteigert.
Wo siehst du denn da eine Steigerung?
Kritik schreibe ich wahrscheinlich heute abend. Erst mal mache ich mich an Erfreulicheres: „Dreileben“.
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Ich brauchte offenbar eine Auszeit von der Berlinale-Nachbetrachtung, jetzt geht es aber weiter. Yeah!
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Der verurteilte Mörder Molesch ist von der Totenwache für seine Mutter aus einem Krankenhaus geflohen. Das ist der Ausgangspunkt für ein gemeinsames ARD-Filmprojekt der Regisseure Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler. Entstanden sind drei 90 Minuten lange Filme, die sich überschneiden, aber auch für sich genommen funktionieren. Petzolds „Etwas Besseres als den Tod“ kreist um den Krankenhauspraktikanten Johannes, der Molesch unfreiwillig zur Flucht verhilft. In Grafs „Komm mir nicht nach“ kommt die Polizeipsychologin Johanna, genannt Jo, in die thüringische Provinz – vermeintlich, um bei Moleschs Ergreifung zu helfen. Hochhäuslers „Eine Minute Dunkel“ richtet abschließend den Blick auf den Flüchtigen.
Petzold erzählt in „Etwas Besseres als den Tod“ eine klassische Liebesgeschichte. Praktikant Johannes (Jacob Matschenz) träumt von einem Medizinstudium in Los Angeles. Eigentlich teilt er diesen Traum mit Julia. Doch Julia hat ihn verlassen. Trotzdem hält er an Los Angeles fest. In Vorbereitung seines Studiums macht er ein Praktikum. Der Chefarzt der Klinik ist Julias Vater, er hat ihn unter seine Fittiche genommen und sähe die beiden gern wiedervereint.
Johannes öffnet auf der Suche nach einer verwirrten Patientin den Abschiedsraum, in dem Molesch um seine verstorbene Mutter trauert, entschuldigt sich und macht kehrt, lässt aber die Tür einen Spalt weit offen, was Molesch den Impuls zur Flucht gibt. Johannes‘ Fehler wird vom Chefarzt abgetan und spielt auch im Folgenden keine Rolle für die Geschichte.
Zufällig trifft er auf die junge Bosnierin Ana (Luna Mijović). Sie arbeitet als Zimmermädchen in einem Hotel. Offenbar muss sie mit dem Job auch ihre Familie ernähren denn die Mutter liegt apathisch auf dem Sofa und kümmert sich nicht um Anas kleine Geschwister. Johannes beobachtet, wie Ana nachts am See von ihrem Freund gedemütigt und geschlagen wird. Er nimmt siezu sich nach Hause und am Tag darauf kommen sie sich näher. Sie verbringen einige schwerelose verliebte Tage, während sich in den Wäldern um sie herum der flüchtige Molesch herumtreibt. Doch dann tritt Julia wieder auf den Plan.
Am Ende des Films wird Ana von Molesch verfolgt. Sie schreit, dann ein Schnitt auf den aus dem Schlaf aufschreckenden Johannes. Hat er nur geträumt oder erinnert er sich? Diese Frage beantwortet erst Hochhäuslers Beitrag.
Petzold erzählt souverän wie gewohnt, allerdings expliziter und simpler als in seinen besten Filmen. Wo er sonst kunstvoll Leerstellen setzt, formuliert er hier aus. Die hübsche Geschichte einer so heftigen wie aussichtslosen Sommerliebe inszeniert er ohne Aufregung und mit klar erkennbarer Dramaturgie und Bildsprache (so wählt er etwa bei jedem Gang durch ein Wald dieselbe Einstellung: drei Bäume durchteilen das Bild, dahinter der Weg, den der Protagonist mal entlangschlendert, mal fast hinabrennt). Aber unterm Strich macht er vielleicht zu viele Zugeständnisse an die Fernsehtauglichkeit. „Etwas Besseres als den Tod“ ist ein guter Film, aber der schwächste „Dreileben“-Beitrag.
Dominik Grafs Film schert sich weitaus weniger um Mittwochsfilm-Sehgewohnheiten. „Komm mir nicht nach“ tanzt in jeder Hinsicht aus der Reihe. Als einziger Film arbeitet er mit grobkörnigen teilweise unscharfen Bildern. Er nimmt sich die Freiheit, sich am weitesten von Molesch zu entfernen und stattdessen die Freundschaft zweier Frauen auszuleuchten, die von Eifersucht, Konkurrenz, aber auch tiefer Zuneigung geprägt ist. Und er schlägt einen so leichten, mitunter hochkomischen Ton an, wie man ihn weder von Graf noch von der Schwere des „Dreileben“-Themas erwartet hätte.
Im Mittelpunkt steht die Polizeipsychologin Jo (Jeanette Hain). Um bei der Suche nach Molesch zu helfen (zumindest ist das der Grund, den sie vorgibt), lässt sie ihre Tochter für ein paar Tage und reist in den im Thüringer Wald. Obwohl ihre alte Freundin Vera (Susanne Wolff) in der Nähe wohnt, zieht sie es vor im Hotel zu übernachten. Doch das Hotel hat ihre Buchung verschlampt, also quartiert sie sich (zunächst widerwillig bei Vera ein, die mit ihrem Freund, dem Schriftsteller Bruno (Mišel Matičević), ein heruntergekommenes Haus gekauft hat, das die beiden nun renovieren.
Die Freundinnen schwelgen in Erinnerungen an ihre Studienzeit in München, reden viel über einen Mann, mit dem sie, ohne es zu wissen, beide etwas hatten. Zusammen mit Bruno trinken sie Rotwein, schwadronieren albern bis geistreich über dies und das und machen sich über die dörflich geprägten Nachbarn lustig. Diese Gespräche wirken dabei so frisch und echt, dass der Film auch mehr als sehenswert wäre, wenn sonst nichts weiter passieren würde.
Kleine Detailaufnahmen (ein Zoom auf ein Bild, der Blick auf eine verschlossene Tür), unterlegt von irritierender Musik, legen sich zwischen die großartig inszenierten und gespielten Gesprächszenen. Sie werfen Fragen auf, schärfen früh den Blick für die unterschwelligen Spannungen zwischen den drei Figuren, die später deutlicher werden. Wie Jo ihre Arbeit macht, für die sie hergekommen ist, wird zwar nur am Rande erzählt, verkommt aber nicht zur Nebensache, auch weil Graf mit der Frage, worin Jos Einsatz im Thüringer Wald wirklich besteht, einen doppelten Boden einbaut. Die Geschichte Moleschs wird dennoch nur gestreift und flüchtig zu Ende erzählt – am Ende steht wieder Jo im Mittelpunkt. Damit hat Graf sich am weitesten vom Ausgangspunkt des „Dreileben“-Projekts entfernt, aber auch den besten Film der drei Filme gedreht.
Hochhäusler führt das Filmprojekt abschließend auf seinen Ausgangspunkt zurück: „Eine Minute Dunkel“ begleitet Frank Molesch (Stefan Kurt) auf der Flucht. Dem zerrissenen, nah am Wahnsinn agierenden Flüchtigen stellt Hochhäusler einen lädierten Polizisten (Eberhard Kirchberg) gegenüber, der wegen einer Erkrankung der Ohren vom Dienst befreit wird, aber auf eigene Faust wie ein Besessener weiter ermittelt. Während seine Kollegen systematisch den Wald durchkämmen, versucht er, sich Molesch über dessen Vorgeschichte zu nähern und hintefragt Unstimmigkeiten in dem einige Jahre zurückliegenden Mordfall, für den Molesch verurteilt wurde.
Hochhäusler zeigt, wie Molesch durch den Wald streift, wie er sich in einer Höhle versteckt, wie er in Häuser einbricht um Essen zu klauen und wie er im Haus seiner verstorbenen Mutter nach Spuren über seine Herkunft sucht. Er redet halb in Gedanken bruchstückhaft mit sich selbst und der Mutter, wird immer wieder von vorbeilaufenden Suchtrupps der Polizei und anderen Menschen aufgeschreckt und immer wieder gelingt es ihm zu entkommen.
Wie Moleschs Geschichte endet, weiß der Zuschauer schon aus Grafs Film. Hochhäuslers Film kann daher die Spannung, die eine Auf-der-Flucht-Geschichte in sich trägt, weitgehend außer acht lassen und sich ganz dem kühlen Beobachten seiner beiden Protagonisten widmen. Wie konsequent er sich dabei mitunter jeglicher Spannung verweigert, zeigen zwei Szenen sehr deutlich: In der einen trifft Molesch im Wald auf ein Mädchen – und statt Molesch hier einen diabolischen Gerd-Fröbe-Moment zu schenken, lässt Hochhäusler ihn verschüchtert seine geklauten Butterbrote mit dem Kind teilen: „Leberwurst oder Schokoaufstrich?“
Die andere Szene ist die letzte. Die offene Frage aus Petzolds Film wird ohne einen Anflug von Suspense knapp und nüchtern zu Ende erzählt. So nüchtern und distanziert wie diese Szene ist der ganze Film. „Eine Minute Dunkel“ ist der inszenatorisch strengste, analytischste der drei Filme. Gerade im Kontrast zu Grafs leichtem Beitrag funktioniert er sehr gut als würdiger Abschluss des Projekts. Aber auch für sich genommen ist „Eine Minute Dunkel“ eine sehr genaue, für Fernsehverhältnisse aber auch sehr distanzierte Studie.
Der vielsagende Titel „Dreileben“ ist auch der Name des Ortes, um den herum sich die Handlung aller drei Filme platziert. Sie sind geschickt miteinander verzahnt – mal streifen sie sich nur am Rande (wenn zum Beispiel Jo auf der Suche nach Molesch durch das Hotel streift, in dem Ana arbeitet, und lächelnd in das Zimmer späht, in dem ihr Beinahe-Namensvetter Johannes und Ana sich auf dem Bett liegend küssen), mal ergänzen sie sich narrativ (wenn zum Beispiel die offene Frage, mit der Petzolds Film schließt, am Ende von Hochhäuslers beantwortet wird) und mal doppeln sich einzelne Elemente ganz unabhängig von der Handlung (zum Beispiel haben Figuren in Grafs und Hochhäuslers Film Probleme mit den Ohren).
Jeder Film ist zwar auch in sich schlüssig, das Gesamtbild ergibt sich aber nur aus allen dreien. Betrachtet man sie hinsichtlich der Kerngeschichte um Molesch auf einem Zeitstrahl, endet zuerst Hochhäuslers Film, dann Petzolds, dann Grafs. Dass das eine andere Reihenfolge ist als die, in der die Filme gezeigt werden, trägt weiter zur Verzahnung bei. Bleibt zu hoffen, dass die ARD, die das Projekt im Herbst ausstrahlen will, es nicht an drei weit auseinander liegenden Terminen im Nachtprogramm versendet, sondern den Mut hat, die Filme an einem Abend von 20.15 Uhr hintereinander zu zeigen, gern mit den halbstündigen Unterbrechungen, die auch bei der Vorführung auf der Berlinale hilfreich waren.
Dominik Graf hat es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, auf der Berlinale deutsche Fernsehgeschichte zu schreiben: 2010 stellte er seine hochgelobte, aber bei der späteren Ausstrahlung mit miesen Quoten gestrafte Serie „Im Angesicht des Feindes“ vor, 2011 ist er nun Teil von „Dreileben“, einer im deutschen Fernsehen so nie da gewesenen Kooperation. Ganz egal, was er 2012 in Berlin zeigt – ich bin dabei.
“Etwas Besseres als den Tod“ von Christian Petzold: * * * 1/2
“Komm mir nicht nach“ von Dominik Graf: * * * *
“Eine Minute Dunkel“ von Christoph Hochhäusler: * * * *
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Nochmals danke, Witek, alles sehr lesenswert und informativ!
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.Witek Dlugosz
1. „A Torinói ló“ von Béla Tarr [H/F/D/CH, USA, 2010; Sektion Wettbewerb] * * * * *Kinostart am 15.03.2012. Juhu!
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Schlagwörter: Berlinale
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