Startseite › Foren › Das Radio-Forum › StoneFM › 18.11.2017: Pop Crimes 36 | Rock – Punk – Glitter – Glam
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AutorBeiträge
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Bei Kendrick ging’s um Alkoholismus, bei Angel um Depressionen, hier geht es um beides (und Eskapismus):
Sia
Chandelier
1000 Forms of Fear
2014
zuletzt geändert von jan-lustiger--
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WerbungDer beste Track des Albums.
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Don't think twice / Shake it on iceFür mich einer der Topfavoriten für den besten Track der 2010er.
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Auch hier gehe ich mit: Klare 5 Sterne, einer der bewegendsten Pop-Songs ever.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Dank David Guetta ein Star
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jan-lustigerFür mich einer der Topfavoriten für den besten Track der 2010er.
Das ist eine Aussage bzw. Ansage! Ich kenne allerdings zu wenige Tracks aus den 2010ern, um da ernsthaft mitreden zu können.
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Don't think twice / Shake it on iceÜber das Album schrieb ich damals:
Dem Überhit Chandelier war in den USA nicht zu entkommen, im Rest der Welt als Pop-Interessierter auch nicht. Chandelier thematisiert die Psychologie hinter einem ungesunden Verhältnis zum Exzess und verpackt diese Thematik in zeitgemäßer Chart-Produktion. Das dazugehörige Album 1000 Forms of Fear ist ein Porträt gebrochener Personen im Umfeld moderner Popkultur. Die Gratwanderung zwischen melancholischer Zurückhaltung und offensiver Umarmung des besungenen Leides wird durch die dichte Produktion gehalten. Sia Furler, deren teils durch psychische Probleme bedingte Aversion gegen Ruhm sie dazu brachte, ihr Gesicht nicht mehr zu zeigen und diesen Umstand als künstlerisches Statement in ihre Performances einzubinden, setzt ihre Stimme auch zum Storytelling ein. Die ist eigentlich untypisch für eine Popsängerin. Sie singt nasal und nuschelt, und doch nutzt sie die stimmlichen Kapazitäten einer Soul-Diva, und wenn die Stimme dabei bricht, ist das ein Stilmittel, dass die Thematik unterstreicht. Hier ist Pop zwar mitreißend, aber zerbrechlich und vom inneren Kampf gezeichnet.
Hit-taugliche Refrains schüttelt Furler, von SPIN passend als „Songwriter-Singer“ bezeichnet, aus dem Ärmel, als wäre es das einfachste der Welt. Mit 1000 Forms of Fear liefert sie ein Pop-Album ab, das sich an den gängigen Mustern kontemporärer Pop-Produktionen orientiert, die sie in einem solchen Umfang begriffen hat, dass es ihr ein Leichtes ist, sie zu unterwandern und mit ihnen zu brechen, ohne sie zu diskreditieren. So wird es zum Keyplayer einer Entwicklung, in der die Grenzen zwischen Artifizialität und Kredibilität immer mehr verschwimmen. 1000 Forms of Fear hat das Zeug zum Game Changer im Mainstream Pop, was ganz im Sinne der Künstlerin wäre. Im SPIN-Feature verkündet sie: „I’d like 2015 to look like it’s just been fucked“. Let’s bring it on.
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herr-rossiAuch hier gehe ich mit: Klare 5 Sterne, einer der bewegendsten Pop-Songs ever.
Und gesanglich top! Das ist ganz ganz groß.
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Don't think twice / Shake it on ice@ Jan
Sehr guter Text von dir!
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Don't think twice / Shake it on iceschwarzDank David Guetta ein Star
Das ist etwas verkürzt dargestellt. Das Guetta-Feature hat ihr wohl den Mut zurückgegeben, wieder selbst Musik zu machen. Nur seitdem nach ihren Spielregeln.
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Der Abschluss. Auch das einer meiner Topfavoriten des laufenden Jahrzehnts:
Courtney Barnett
Depreston
Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit
2015--
Das war heute wieder sehr sehr gut, Jan! Respekt. Fave DJ!
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Don't think twice / Shake it on icePrima Nummer zum Abschluss!
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Software ist die ultimative Bürokratie.jan-lustigerCourtney Barnett Depreston
Auch darüber habe ich geschrieben:
Mit Courtney Barnett gab heuer eine der vielversprechendsten Songwriterinnen seit langem ihr LP-Debüt. Auf dem wunderschön betitelten Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit geht die Australierin mit beeindruckender Beobachtungsgabe an ihre Songs heran, entdeckt den Humor und die Tragik im Alltäglichen und schaufelt so die Poesie unter der Last des schnelllebigen 21. Jahrhunderts frei. Deswegen lässt sich über ihren besten Song auch ein derart banaler Satz schreiben wie: Depreston handelt von einer Hausbesichtigung. Aber das ist eben nicht die ganze Geschichte.
Depreston ist eine der ruhigeren Nummern auf Barnetts Debütalbum. Zu einer dezent vorantreibenden Rhythmusgruppe spielt sie eine Mischung aus Jangle- und Country-Gitarre, deren jede Zeile beendende Hook für Pop-Appeal sorgt. Ihre Vocals legen den Fokus auf das Narrative; immer wieder mal bricht Barnett aus der introvertierten Gesangsmelodie aus, vollendet eine Zeile mal eher rhythmisch gesprochen, mal besonders melodiös, je nachdem nach was für einer Betonung die Geschichte gerade verlangt.
Ein bisschen erinnert das an die ruhigeren Sachen Lou Reeds, auch was die Suche nach der Poesie an unüblichen Orten als zentrales Bestandteil im Songwriting angeht. Allerdings begeben wir uns hier nicht nach New York, um uns Geschichten über Drogenmissbrauch und Transsexualität anzuhören. Ganz im Gegenteil führt uns Depreston raus aus der Großstadt, weg von der Avantgarde, rein ins bürgerliche Milieu.
In diesem Song nämlich begleiten wir ein Pärchen nach Preston, eine Vorstadt Melbournes mit etwa 30.000 Einwohnern. Melbourne selbst hat nämlich an Reiz verloren: „You said we should look out further / I guess it wouldn’t hurt us / We don’t have to be around all these coffee shops”. In dieser Zeile – der Einstiegszeile – geht es natürlich nicht um eine Abneigung gegenüber Kaffee. Vielmehr ist der Überschuss an Cafés ein Hinweis auf die Gentrifizierung der Stadt, wegen der man das erste eigene Haus vielleicht besser in der Vorstadt suchen sollte.
Einen guten ersten Eindruck macht die allerdings auch nicht: „We drive to a house in Preston / We see police arresting / a man with his hand in a bag“. Der Verhaftete versteckte vermutlich Alkohol in der Tasche, das erste einsame Bild in einer einsamen Gegend. „How’s that for first impressions? / This place seems depressing“ kommentiert Barnett und gibt dieser Zeile einen Doppelbezug, indem sie hinzufügt: „It’s a Californian bangelow in a cul-de-sac“. Dadurch erweitert sich der deprimierende Ersteindruck Prestons im Allgemeinen auf das besichtigte Haus im Speziellen. Das befindet sich dann auch passenderweise in einer „cul-de-sac“, einer Sackgasse.
Hier schaltet sich der Immobilienmakler ein. „It’s got a lovely garden / a garage for two cars to park in,“ zählt er auf, „or a lot of room for storage if you’ve got just one“. Schließlich sind die Zeiten, in denen ein zweites Auto Statusgewinn bedeutete, vorbei. Warum das Haus denn so günstig sei, will das Pärchen wissen. „Well, it’s a deceased estate / Aren’t the pressed metal ceilings great?“. Über die offensichtliche Tristesse von Wohnung und Umgebung, den verkaufseifrigen Makler sowie dessen Bemühungen, das Grau bunt zu zeichnen, baut Barnett einen Kontrast auf, der eine größere Tragik der Tristesse zur Folge hat. Die Versuche des Maklers, davon abzulenken, sind zum Scheitern verurteilt.
Stattdessen hat sein leiser Hinweis darauf, dass das Haus durch einen Todesfall frei wurde, zur Folge, dass der Ich-Erzählerin andere Dinge ins Auge fallen: „Then I see the handrail in the shower, a collection of those canisters for coffee, tea, and flour / and a photo of a young man in a van in Vietnam“. Die Haltestange deutet darauf hin, dass in dem Haus eine ältere Person alleine gewohnt hat, das Foto eines jungen Mannes in Vietnam (Australien war am Vietnamkrieg beteiligt) zeigt vermutlich den Sohn oder Ehemann (rechnerisch ist beides möglich) der ehemaligen Hausbesitzerin. So wird über die Hauseinrichtung eine persönliche Geschichte erzählt, die in Verbindung mit der australischen Vorstadt als Setting einen Gesellschaftsbezug bekommt.
Durch die Tragik ihrer Beobachtungen relativieren sich schnell all die Gedanken, die sich Barnetts Hauptfigur bei der Hausbesichtigung eigentlich so machen würde: „And I can’t think of floorboards anymore / whether the front room faces south or north“. Stattdessen kommt sie nicht davon los, sich Gedanken über das Leben der alten Frau, die einst in diesem Haus lebte, zu machen. „And I wonder what she bought it for“, fragt sie sich in einem Augenblick, in dem nur noch wenig Sinn zu machen scheint.
Mitten in der Vorstadt-Tristesse konfrontiert mit der Vergänglichkeit in ihren Gedanken versunken, wird sie schließlich vom Makler zurück in die Gegenwart geholt: „If you’ve got a spare half a million / you could knock it down and start rebuilding“, empfiehlt er. Für schlappe 500.000 Australische Dollar also könne das Haus abgerissen und ein neues errichtet werden. Damit wären die letzten Spuren des Lebens der Vorbesitzerin ausgelöscht. An ihre Stelle tritt die sich weiter ausbreitende Gentrifizierung, die so den Kreis, den die Ausgangssituation begonnen hatte, vollendet: Ein neues teures Haus folgt dem (buchstäblichen) Tod der Mittelklasse. Fünf mal wiederholt Barnett diese Zeile mit immer steigender Eindringlichkeit, damit wir uns bewusst werden, dass sie nichts anderes ist als eine traurige Pointe des Kapitalismus.
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Danke fürs Zuhören! Hier die Playlist:
- My Bloody Valentine – Only Shallow
- Slowdive – Alison
- Pet Shop Boys – Dreaming of the Queen
- A Tribe Called Quest – Steve Biko (Stir It Up)
- Nas – The World Is Yours
- Portishead – Mysterons
- The Magnetic Fields – Take Ecstasy With Me
- Sparklehorse – Sad and Beautiful World
- Descendents – She Loves Me
- DJ Shadow – Building Steam With a Grain of Salt
- E.M. – Electrolite
- Die Aeronauten – Countrymusik
- Björk – Jóga
- Madonna – Frozen
- Rowland S. Howard – She Cried
- The Slackers – Information Error
- Kylie Minogue – Can’t Get You Out of My Head
- Cat Power – Good Woman
- The Divine Comedy – A Lady of a Certain Age
- Lady Gaga – Paparazzi
- Marina and the Diamonds – Hollywood
- Lykke Li – Sadness Is a Blessing
- Kendrick Lamar – Swimming Pools (Drank)
- Beach House – Wild
- Angel Olsen – Windows
- Sia – Chandelier
- Courtney Barnett – Depreston
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