Antwort auf: 2016: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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vorgarten

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vielen dank, gypsy, ich habe eigentlich nichts hinzuzufügen, zumal ich in deinen beschreibungen ja auch viel von unseren gemeinsamen diskussionen über die musik wiederfinde. am emotionalsten war für mich wohl auch das hawkins/smith-duo, auch wegen des modernen, aber nicht kühlen sakralraums der eiermann-kirche, aber wie die beiden im letzten drittel zusammen fanden in sowas wie einem sehr abstrakten blues, war für mich völlig unvorhersehbar, konnten sie vorher doch hervorragend die brüche in den sounds und den spielweisen aushalten, pause machen (einmal hat smith hawkins einfach befohlen, still zu sein), oder den anderen fast gewaltsam übertönen.

ein bisschen toller als du fand ich wohl lehman und melford, vor allem wegen der ziemlich unfassbar fluiden, aber eben doch sehr zupackenden rhythm sections. melfords konzept war ein bisschen illustrativer, ausgedachter, kontrastreicher in den anlagen, aber es war dann doch das playing, das schöne, etwas verlorene kornett von ron miles, der großartige ton von ellman (der sich auch mit sorey toll steigern konnte) und melfords eigene, poetisch-brutalistische soli.

lehmans octet hatte live nochmal mehr druck als auf cd, war insofern schon hart an der grenze der aushaltbarkeit, weil sich die musik immer näher an einen nervous breakdown heranschraubt, einen moment der erlösung, entspannung – der aber dann nie kommt, sondern einfach auf anderem niveau vermieden wird. das schwebende vibraphon wird gegen die spitzen der bläser gesetzt, die sich in unterschiedlichen wellen kommentieren, während drums und bass und tuba wiederum ganz gegenläufige metren in schwingung versetzen – die soli sind darin gar nicht mehr so wichtig, aber eben auch gut, wenn man gelernt hat, wie sie da noch rein passen könnten. das ist tatsächlich musik, auf die ich rein physisch anders reagiere als auf anderes, es ist eine orgie des aushaltens von widersprüchen, spannung als chance.

globe unity und eve risser laufen demgegenüber bei mir eher unter dem label „sympathisch“, bei letzterer war jetzt auch nicht viel mehr improvisation als bei mette henriette, aber die musiker_innen waren heiß und jung und es ging ihnen um was, die bandleaderin sehr zurückhaltend und charmant, die musik äußerst facettenreich – das hat alles großen spaß gemacht, was aber natürlich in hohem maße „vorproduziert“. und beim globe unity kann man ja durchaus meckern (habe einige journalisten auch gemacht), dass da die ganzen tollen individualisten mit ihren stimmen im krawall untergehen, dafür braucht man eigentlich keinen stanko und keinen schoof, aber was solls, wenn der krawall solch einen großen spaß macht und man sich damit vom abgezirkelten entertainment von redman/mehldau erholen konnte…

bei dejohnette, das muss man nochmal anerkennend sagen, war wirklich offenheit das konzept – der piano-einstieg schien uns völlig frei improvisiert, in den themen der letzten cd landeten sie organisch und wie zufällig, ravi hätte ich mir etwas mehr auf der höhe seines eigenen könnens gewünscht (übrigens in orange-pink-verlaufenden gewändern gekleidet, die ich von seiner mutter kenne; und bei einem sopranino-solo saß dann auch wirklich alles, nicht nur die klamotten) – aber solch ein konzept kann man besser und mal schlechter funktionieren, einen abend später wäre es vielleicht galaktisch gut gewesen oder eher zerfahren – das ist eben der preis, wenn man zu anderen zwecken auf die bühne geht als zum runterspielen der aktuellen cd.

und was den gender-aspekt angeht, klar, er führte hin und wieder dazu, dass einige grauhaarige herren optisch auf ihre kosten kamen, aber die schwergewichte roberts, laubrock und halvorson (vorher bzw. parallel auftretend) haben wir ja nicht mitbekommen, melford und hülsmann haben die rolle der ensemble-leaderin schon gut ausgefüllt und niscier hat halt genervt, weil sie sich neben leuten wie alessi profilieren wollte – was ich nicht das schlimmste finde (schlimmer fand ich den drögen, alles zuschwallenden florian weber am piano, der ist dann wieder unreflektiertestes förderjazzmännerweißbrot, das gar nicht auf die idee käme, mit seiner durchschnittlichkeit revis und cleaver in fremdscham-situationen zu bringen). ich habe jedenfalls noch nie erlebt, wie eine band live so sehr in zwei gruppen zerfällt, so dass die rituelle gemeinsame verbeugung am ende fast kommandiert werden musste.

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