Antwort auf: Alice Coltrane

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vorgarten

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terry gibbs: HOOTNANNY MY WAY
time records 1963, rec. 9.8.1963, nyc, produced by bob shad.
terry gibbs (vib), alice mcleod (p), jimmy raney (g), al epstein (ts, fl, cgs), william wood (b), al belding (dm).

das letzte album von gibbs mit alice mcleod plündert wieder die folklore, um daraus lupenreinen jazz zu machen. eine „hootenanny“, schottisch für „party“, bezeichnet im country&western so was wie eine jam session, eine open-mic-situation mit songs, die jeder kennt, um anwesende zum vortrag einzuladen. wieder also eine clevere idee, ein relativ klassisches vibrafon-quartett etwas aufzupeppen, indem es vorgibt, „joshua fit the battle of jericho“, „down by the riverside“, „tom dooley“ oder „polly wolly doodle all day“ zu spielen.

tatsächlich macht dieses letzte album von allen vieren am meisten spaß, es ist auch am abwechslungsreichsten. al epsteins flöte oder tenor wird nur für die themenvorstellung benötigt, während jimmy raney, zu der zeit gerade als studiomusiker in new york tätig, eine fast schattenhafte akkordbegleitung anbietet, allerdings auch zwei schöne soli beisteuern darf. was gibbs und alice hier – jetzt fast gleichberechtigt – machen, sobald die interpretationen von den themen weg- und in klassische jazzakkordfolgen übergehen, reicht eigentlich für den spaß aus. meist fängt gibbs im trio an, dann kommt irgendwann das comping von alice dazu, bevor sie übernimmt, raney begleitet oder begleitet nicht, manchmal greift epstein dabei zu den congas. fast jeder chorus ist also anders arrangiert, nie kommt langeweile auf. das schlagzeugspiel des mir unbekannten al belding kickt sehr schön (überhaupt klingt die aufnahme hervorragend), und alice spielt so selbstsicher wie noch nie, wahnsinnig schnell („fleet“, wie ihr späterer ehemann das nannte), zwischen fernöstlichen und blues-linien wechselnd, manchmal rein im bop-idiom bleibend, mit großer autorität. es gibt sogar ein regelrechtes feature für sie, eine blues-version von „boll weevil“, in der sie sich fantastisch steigert und das simple spaßthema ekstatisch auflädt.

und dann ist da noch der vorausweisende höhepunkt: eine großartige version von „greensleeves“, das sie natürlich in coltrane-ausgabe auf der geliebten AFRICA/BRASS in- und auswendig kennt. hier bleibt das arrangement schön in den originalakkorden des stücks, das thema wird mit gitarre, flöte und besenbegleitung vorgestellt, dann ein tolles, ziemlich modernes solo von gibbs, dass die schattierungen des themas beibehält. alice danach dann wirklich quasi schon auf dem klaviersessel in der john-coltrane-band, und zwar keineswegs im tyner style: hindu-blues, plötzlich zwischendurch wieder das thema, unaufgelöste sehnsucht.

in dem sommer, in dem diese aufnahmen entstehen, spielt das gibbs quartet neben der coltrane-band im birdland. alice und john sagen sich ein paar tage lang „hallo“, dann reden sie über fernöstliche philosophie. alice geht mit terry gibbs noch auf eine erfolgreiche sechswöchige westküstenour, dann spielen sie 1964 in detroit, wo terry pollard bei ihnen einsteigt. john kommt immer wieder zu den konzerten. kurz vor einem engagement im london house verlässt alice nach über einem jahr die band, zum ärger von gibbs. sie will mit john nach schweden und setzt prioritäten.

bis zu ihrem tod waren gibbs und sie befreundet und quasi nachbarn. auch ihre musikersöhne ravi (coltrane) und gerry (gibbs) haben diverse male miteinander gespielt und aufgenommen. aber für alice fing 1965 ein neuer lebensabschnitt an: heirat, zwei weitere kinder, dann erst wieder nach zweieinhalb jahren die nächsten aufnahmen. aber die gehören zu einem neuen kapitel, das hier auch endlich mal geschrieben werden muss.

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