Antwort auf: Edgar Wallace

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nick-longhetti

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13. The People of the River (1912), Afrika-Romane #2
dt. Ausgabe „Die Eingeborenen vom Strom“ erstmals 1929 bei Goldmann, Leipzig

Die zweite der insgesamt elf afrikanischen Kurzgeschichtensammlungen weist, obwohl nur ein Jahr nach „Sanders of the River“ erschienen, bereits einige sehr augenscheinliche Änderungen auf. Sind die Gewaltakte tendenziell etwas expliziter geworden, geht der Erzählton deutlich mehr ins Humorvolle bis zart Ironische. Die Geschichten sind komplexer geworden, kriegerische Auseinandersetzungen und Sanders‘ im ersten Band noch so geliebte Aufknüpferei spielen nur selten eine Rolle; die Charaktere, und hier insbesondere auch die schwarzen, haben nun andere Wege gefunden, sich die Zeit zu vertreiben. Sanders selbst, einst Musterbild der Virilität und Tatkraft, muss des Öfteren seinen Posten räumen, wird zum Außenstehenden, wenn der gerissene Stammeshäuptling Bosambo die Show an sich reißt (der nächste Titel der Reihe, „Bosambo of the River“ (1914), sollte sich dann schon fast in Gänze um ihn drehen). Und das tut er oft, in zwei der besten Geschichten darf er sogar in die Rolle schlüßfen, die ansonsten dem weißen Herren vorbehalten war: Er rettet die Stämme vor der Vernichtung.
Durch Wallaces geschickte Charakterisierung wird Bosambo allerdings nie zum Schlappenschammes und Erfüllungsgehilfen seiner weißen „Freunde“ (wie die Winnetou-Figur in einigen der schwächeren Karl May-Filmen); obwohl nicht gänzlich amoralisch, sind seine Handlungen letztlich doch zuvorderst ihm und erst dann den Kolonialherren dienlich. Diese Entwicklung treibt die Geschichte „The Rising of the Akasava“ – trotz bereits vielfach verbratenem Handlungsgrundriss möglicherweise die schönste der 17 – auf die Spitze:
Im Land bahnt sich ein gewalttätiger Umbruch an, doch während er auf seinem Höhepunkt wütet, erkrankt unser Held am Fieber. Verzweifelt überträgt er Bosambo, den er für den Fähigsten unter den von ihm eingesetzten Häuptlingen hält, all seine Handlungsgewalt. Dieser kann den Aufruhr beilegen und zahlreiche Leben retten, eignet sich aber auch den Besitz des blutdürstigen Verschwörers an – darauf angesprochen, entgegnet er nur:

„These I stole from the camp of Toloni,“ said Bosambo. „These and other things, for I was working for government and lord,“ he said with becoming simplicity. „It is according to the white man’s custom, as your lordship knows.“

Eine Strafe bleibt aus, im Gegenteil, seine Cleverness hat den District Commissioner mal wieder sprachlos gemacht – angesichts des Erscheinungsjahres und der zu dieser Zeit vorherrschenden Attitüden eine doch recht progressive Umdeutung der Rollen und Machtverhältnisse.
Auch die Reihen der Frauen, die in „Sanders of the River“ noch hauptsächlich als manipulative Femme Fatale auftraten, sind breiter aufgestellt. Wir lernen eine junge Stammeskönigin kennen, die ihre Sache besser macht als viele Männer, dann aber leider, in einem der vielen unerwarteten Umbrüche ins Tragische, ein trauriges Ende findet (dabei hätte ihre unerwiderte Zuneigung zum (hier nur äußerlich) kaltherzigen Sanders einen schönen Stoff für eine weitere Geschichte abgegeben), und, wichtiger noch, eine junge christliche Missionarin, die in der abschließenden Geschichte „The Spring of the Year“ alles in Frage stellen darf, was der Leser bisher zu wissen glaubte. Berauscht von den Wundern eines schönes Frühlingstages entschließt sich der Sanders ebenjener Dame, die ihn schon zuvor oft aus seiner reservierten Haltung lockte, einen Heiratsantrag zu machen und entblößt dabei, eher unfreiwillig, seine Macho-Fassade; was er auch anpackt – ein Gespräch mit seinen Männern über Frauen („‚I know that, my good chap,‘ said Sanders, ‚and a good wife is half the making of a man. Why, what is a man without–‚ He saw the curious laughing eyes of the other watching him, and stopped, and under the tan his eyes went red.“), der letztlich nie vollendete Antrag an seine Angebetete („Then his throat grew dry, for here was an opening did he but possess the courage to take it; and of courage he had none.“) oder einfach nur ein bißchen Selbstreflexion („A panic seized him. Perhaps he was too old? That was a terrible supposition.“) – es schlägt immerzu fehlt.
Und so realisieren sich seine geheimsten Wünsche nie, im Dschungel bleibt alles beim Alten, muss es auch, stehen die nächsten Abenteuer doch schon bald ins Haus. Ein passender Schlusspunkt für dieses intimere Werk unter den Afrika-Romanen, das bis auf wenige Ausnahmen – die ersten vier, fünf Geschichten sind eher solider Wallace-Durchschnitt – fast durchgängig sehr gut ist.

P.S. Einige der im Internet auffindbaren Umschlagsillustrationen sind wirklich doof, vielleicht sollte ich bei Gelegenheit einige schöne aus den 20er Jahren digitalisieren.

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