Antwort auf: Edgar Wallace

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nick-longhetti

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12. The Black Abbot (1926)
dt. Ausgabe „Der schwarze Abt“ erstmals 1930 bei Goldmann, Leipzig

Nach den saftigen Puzzeleien auf der Metaebene der letzten Romane liegt hier nun noch mal ein sehr ernster, handlungslastiger Roman im Stile von „The Green Archer“ vor. Mit ein paar intellektuellen Verrenkungen könnte man sicherlich eine direkte Linie zwischen dem Bruderzwist der höchst ungleichen (Halb-)brüder Dick Alford und Harry Chelford sowie Kain und Abel nachweisen – aber lassen wir das lieber, denn am Ende des Tages siegt bei Wallace eben doch die, bisweilen etwas schwierige, Bruderliebe. Dick Alford scheint seinen zunehmend gefährlichen Bruder, Erbe des Chelford-Vermögens und eigenbrödlerischer Schatzsucher, vor der ganzen Welt beschützen zu wollen, kümmert sich penibelst um die gemeinsamen Finanzen, Besitz und Namen der Familie, für viel anderes ist da kein Platz. Diesen Hang zum Obsessiven teilt er mit fast allen weiteren Figuren:
Harrys lähmende Angst vor dem Tod und seine unnachgiebige Suche nach einem heilbringenden Lebenselixier, die aufdringliche, bisweilen erpresserische Zuneigung des schmierigen Fabrian Gilder zu Leslie Gine, Schwester des Anwalts Arthur, der seinen hemmungslosen Hedonismus mit dem von ihm verwalteten Erbe seiner Schwester finanziert und sie, wohlwissend, dass sie alles für ihn tun würde, zur Vermögenserneuerung mit dem skurillen Lord verkuppelt. Und obwohl Leslie als Einzige stets die wahren Motivationen ihrer Mitmenschen versteht – und nicht nur die, ist sie doch ein recht eigenwilliges „geeky girl“, wie sie mir nun schon öfters bei Wallace aufgefallen sind – gehorcht sie zunächst, ist sie gleichwohl doch alleine nur in der Lage, die die Männer vor sich selbst als auch vor den Folgen ihres Handelns zu schützen. Als Harry sie dann aber, mittlerweile irgendwo zwischen Realität und Hirngespinsten verweilend, zur Schatzsuche zwangsrekrutiert, sind diese plötzlich aufeinander angewiesen, müssen ihre Obsessionen überkommen und an einem Strang ziehen. Und dieses Finale ist wirklich toll, eine einzige Tour de Force nach dem langen, bedachten Aufbau; während sie durch die Katakomben einer alten Abtei geschleppt wird, muss Leslie ihr Möglichstes (und das ist mehr als ihre Kerle je auf die Kette bekommen würden) tun um zu überleben. Sie wächst über sich hinaus, beginnt die dominierende Rolle in dieser Entführung einzunehmen und kümmert sich rührend um den psychisch Erkrankten, der zum ersten Mal nahbar, fast schon zärtlich wird. Kurz wird ein Happy End in Aussicht gestellt und als es dann tragisch zerschmettert wird, weint ein jeder, auch der harte Dick, um den Schurken, der entgegen der Regeln eines schnörkellosen Detektivromans, gar keiner war. Ein warmes, humanistisches Buch und folgendes Stückchen Charakterisierung fand ich so brilliant, dass es mir immer schwerer fällt zu glauben, Wallace habe seine Romane einfach in einem Rutsch auf ein Diktaphon gesprochen, von seinem Sekretär abtippen gelassen und ohne Revision an die Verlage geschickt.

For the time being, all thought of the expected letter went out of his mind. But as the tragedy became familiar to him, his thoughts came back to Leslie Gine. The country post would bring the letter, and he would act generously, munificently. There should be no haggling, no bargaining, no balancing of accounts to the last penny. Her word would be sufficient. Overnight he had written his letter, prepared the grand gesture which should break down the last barrier of mental resistance; and, with his knowledge of women, he did not doubt what form the reaction would take.
He went into the little library where he did his work, opened a combination wall safe and took out the letter. He had read it again and again after it had been written, and with every reading he had the warm glow of complacency which men derive from the contemplation of their own generosity.

‚MY DEAR LESLIE,
Thank you for your letter. I did not doubt that you would keep your word. My answer you will find enclosed herewith — a blank cheque. I make no stipulations, I extract no conditions. Draw the cheque for as much money as your brother requires to clear himself from his dreadful situation. I have given instructions to the bank that the cheque is to be honoured without question.
FABRIAN.‘

It was characteristic of the man, who kept three banking accounts, that the cheque was drawn on a branch where his balance was exactly the amount required to liquidate Arthur Gine’s liability. It would have been a simple matter to have filled in the form for the amount required, but there was a certain nobility, a magnificence, in the blank cheque. It was a carte blanche upon his fortune. He replaced the letter in the envelope, put it back in the safe and pushed the door close, as the telephone bell rang.

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We are all failures, at least the best of us are.