Re: Tocotronic

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sebsemilia

Registriert seit: 09.07.2002

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Die Fanpage tocotronix.de hat ein langes interview mit Dirk von Lowtzow und Jan Müller geführt. Zu finden ist es hier.

Es wirkt einfach so, dass ein Song wie „Freiburg“ einfach mehr so wie „Das kommt jetzt aus mir raus“ im Gegensatz zu „Gegen den Strich“, wo „ich jetzt eher das und das ausdrücken möchte.“
Jan: Das ist das große Missverständnis.
Dirk: Das ist glaub ich eher ein Trugschluss. Ich glaube, diese frühen Texte waren wesentlich konstruierter, wenn du das mit Ratio meinst, als die späteren. Weil es wirklich auch aus einem ganz offensiven Fantum auch entstanden ist, gerade so ein Stück wie „Freiburg“ früher. Vor allem für Schriftsteller wie Thomas Bernhard, wo es nur eine Idee war, wie man so etwas ein bisschen in Musik übersetzen kann. Und auch gerade in unserer Gründungsphase haben wir uns dann so viel gesehen, fast jeden Tag, und haben uns dann so Konzepte ausgedacht, was könnte man machen. Konzeptkunst ist jetzt ein blödes Wort, aber es ging schon ein bisschen auf einer dilettantischen Ebene in so eine Richtung. Insofern ist es ein bisschen ein Missverständnis. Es gab bei diesen frühen Texten einfach auch den Wunsch, dass es so wirkt als wäre es gerade mal schnell… die neuen Texte funktionieren genau so schnell und unmittelbar. Es hat sich eher ein bisschen das Begehren geändert, dessen was man sagen will.

Meinst du, der Unterschied zwischen „Angel“ und „Nebeneinander auf dem Teppichboden“ ist gar nicht so groß?
Dirk: Überhaupt nicht. Ist ganz gut gesagt. Genau, ist genau dasselbe. Nur der Einfluss oder das, was man sagen will hat sich einfach ein bisschen verändert. Und natürlich auch bewusst, weil man einfach gemerkt hat, diese Art von Unmittelbarkeit, die so ein Stück wie „Wie wir beide nebeneinander auf dem Teppichboden sitzen“ ist unglaublich korrumpiert worden. Als wir das gemacht haben, war das total verrückt, so etwas Banales zu sagen. Das war dann so banal, dass es schon wieder verrückt war und das hat es auch zu so einer Art Kunst gemacht. Dann wurde das aber so extrem korrumpiert, auch von so einer Art zu schreiben in der Presse oder Popliteratur, in so einer Art von Unmittelbarkeit, die man jetzt nicht bis an sein Lebensende wiederholen muss, weil’s auch ein Trick ist. Weil man einfach gemerkt hat, wenn man ein Lied schreibt und es heißt „Wie ich am Samstag Nachmittag Apfelschorle trinkend im Café saß“, dann wird es immer Leute geben, die sich damit identifizieren können, einfach weil es Menschen machen. Als wir das aber gemacht haben, hatten wir noch eine gewisse Unschuld, weil es noch niemand vorher so gemacht hatte. In dem Moment aber, wo man merkt, aha das funktioniert, das stimmt, Leute erkennen sich darin wieder, hatte ich so das Gefühl, darf man das nicht mehr machen, weil es dann zynisch wird, weil man dann halt anfängt zu denken, was könnte ich denn jetzt noch sagen. „Wie ich einmal dringend aufs Klo musste im ICE“ [Gelächter] Stimmt auch, aber muss man darüber gleich ein Lied schreiben? Ich weiß es nicht. Und damals war es halt gut, das zu tun.

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Look out kid You're gonna get hit