Antwort auf: 06.10.2016: Raw Air 100 | gypsy goes jazz 39

Startseite Foren Das Radio-Forum StoneFM 06.10.2016: Raw Air 100 | gypsy goes jazz 39 Antwort auf: 06.10.2016: Raw Air 100 | gypsy goes jazz 39

#9964657  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,343

THAD JONES/MEL LEWIS ORCHESTRA
2. Back Bone (Thad Jones)

soli: Jerry Dodgion (as); Hank Jones (p); Richard Davis (b); Tom McIntosh (tb), im Dialog mit Jerome Richardson (as), Pepper Adams (bari), Thad Jones (t); Mel Lewis (d)

Thad Jones (t, flh, arr, cond), Jimmy Nottingham, Bill Berry, Jimmy Owens, Danny Stiles (t), Jack Rains, Garnett Brown, Cliff Heather, Tom McIntosh (tb), Jerome Richardson, Jerry Dodgion (as, cl, fl), Joe Farrell (ts, cl, fl), Eddie Daniels (ts, cl), Pepper Adams (bari), Hank Jones (p), Sam Herman (g), Richard Davis (b), Mel Lewis (d)
live, Village Vanguard, New York, NY, 21. März 1966
von: All My Yesterdays: The Debut 1966 Recordings at the Village Vanguard (Resonance, 2 CD, 2016)

Die Doppel-CD (mit sehr ausführlichem Booklet voller Interviews und Erinnerungen) dokumentiert die allerersten Auftritte des Thad Jones/Mel Lewis Orchestra, das fortan jeden Montag im Village Vanguard spielen sollte und in seinen ersten Jahren ein paar hervorragende Alben für Solid State aufnahm. Trompeter Thad Jones hatte seine Sporen bei Count Basie abverdient, an dessen New Testament Band er massgeblich beteiligt war, bald auch als Komponist und Arrangeur. Doch Jones’ abenteuerlichere Stücke mochte Basie nicht spielen – selbst wenn welche für Alben aufgenommen wurden, fanden sie selten den Weg ins Live-Repertoire. So lag es nahe, dass Jones seine eigene Big Band startete – er war der musikalische Leiter und Dirigent, Co-Leader Mel Lewis beschränkte sich aufs Schlagzeug.

George Klabin, der damals mit einfachstem Equipment (es gab z.B. ein Mikrophon pro Bläser-Section, die Musiker halfen mit, indem sie dieses jeweils vorsichtig zum nächsten Solisten schoben) berichtet in seinem Kommentar im Booklet, wie aufregend die Band schon an ihrem ersten Abend war. Sie swingt hart, bietet äusserst abwechslungsreiche Arrangements (Jones beschränkt sich nicht darauf, die Sections – Trompeten, Posaunen, Saxophone – gegeneinander auszuspielen sondern sucht stets nach neuen Kombinationen) und obendrein grossartige Solisten (die Big Band bestand praktisch aus Solisten).

Wir hören den Closer der zweiten CD, sechs Wochen nach dem ersten Auftritt mitgeschnitten – und wir hören einen in vielerlei Hinsicht typischen Track für diese phantastische Band: den Auftakt macht Jerry Dodgion am Altsax, unbegleitet, dann steigt allmählich die Rhythmusgruppe ein. Dieses Intro hat den Soul der besten Aufnahmen von Charles Mingus, die Rhythmusgruppe setzt wieder aus, die Band beginnt zu klatschen – „yeah!“ – und Dodgion predigt, wie man sagt, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Wenn die Rhythmusgruppe, angeführt von Richard Davis’ treibendem Bass, nach zweieinhalb Minuten einsteigt, geht die Post ab. Eine halbe Minute später setzt die ganze Band ein, das Blech spielt ein paar Fanfaren – und schon schält sich der nächste Solist heraus, Hank Jones, der älteste der Jones-Brüder, am Klavier, Richard Davis’ Bass tritt in eine Dialog mit dem Piano. Die Band steigt wieder und wieder kurz ein. Der Posaunist Tom McIntoshs wird von der Band förmlich in sein Solo katapultiert, dann ist da wieder dieser Small-Group-Groove, der auch stark von Mel Lewis’ flexiblem Schlagzeugspiel lebt. Die Rhythmusgitarre (ein Basie-Relikt, das bald aus der Band verschwinden sollte) klingt auf, später wenn McIntosh beinah unbegleitet spielt, gibt es gedämpfte Gitarren-Akkorde und Handklatscher. McIntosh bewegt sich hart an der Grenze der Tonalität – aber man spielt den Blues und der bot immer schon mannigfaltige Freiräume. Jerome Richardson, der andere Altsaxophonist der Band, und Pepper Adams, der Anker am Barisax, stossen zu McIntosh und zu dritt ergibt sich eine kollektive Passage, auch eine Trompete gesellt sich dazu – es ist Leader Thad Jones selbst, der in der Band viel zu oft den anderen den Vortritt liess, wo er doch ein so exzellenter Improvisator war. Schliesslich ist McIntosh wieder fast allein, ein paar Klatscher, ab und zu ein Klavierakkord – und der tolle Bass von Richard Davis. Dann steigt die Band ein, die Sax-Section spielt ein Soli, die Blechbläser stossen dazu, kommentieren, ergänzen – eine feine Kostprobe des Jones’schen Könnens als Arrangeur. Dann heisst es: give the drummer some! Mel Lewis lässt sich nicht lumpen, steigt schon während die Band noch rifft langsam in sein Solo ein, mit dem das Stück schliesslich endet – natürlich nicht ohne ein paar weitere Kommentare des Ensembles.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba