Antwort auf: Julia Holter – Have you in my wilderness

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nikodemus Und am tollsten ist vielleicht Sea Calls Me Home, das wie ein Beach Boys Song beginnt, später irgendwo im Robert Wyatt Kosmos strandet und mit einer kauzigen Joanna Newsom endet. Einzig Vasquez will sich mir nicht erschließen, das mäandert so vor sich hin, ohne was in mir auszulösen. Außer dass es die Vorfreude auf den tollen Titelsong erhöht.

Kann ich genau so unterschreiben. Eigentlich seltsam bei den entlegenen Vergleichen. :-)   „Vasquez“ wurde von Irrlicht sehr, sehr sensibel unter die Lupe genommen, allein wo Irrlicht Auflösung hört, höre ich ereignislose loops. Egal. Umwerfende Platte.

asdfjkloe…schade, die angebliche Großartigkeit der Künstlerin und dieses Albums erschließen sich mir nicht… Es gibt angenehme Momente, sicher, aber worin besteht das Überirdische und Intergalaktische? Worin besteht das Besondere der Stimme? Nun, ich kann damit leben, nicht begeistert zu sein….

Finde ich gut, daß Du damit leben kannst. Ich möchte trotzdem meine kleine Bekehrung mitteilen, vielleicht hilft sie Dir ja zur „zweiten Luft“ bei der Beschäftigung mit dieser außergewöhnlichen Platte.

Ich habe mit der Electronic-Szene nichts am Hut. Gar nichts. Es ist im Grunde sogar schlimmer, ich habe eine leicht aversiv basierte Einstellung zu dieser Art des Musikmachens. Nun wurde mir Julia Holter von einem lieben Menschen empfohlen – und ich habe mich zusammengenommen und mich der Herausforderung gestellt.

Was sogleich meine alte Ablehnungshaltung befördert hat, waren a) der üble Reverb auf der Stimme, b) die echoigen Wohlfühlharmonien, c) der eine oder andere Drumroll aus dem Rechner. Bäh. Was mir kurz darauf schon zugesagt hat, war der zwar spärliche, aber geschmackvolle und nie redundante Einsatz g´scheiter Musikinstrumente. Der erste Song war und ist mir viel zu poppig. Danach wurde es anspruchsvoller. Beim dritten Song „How long?“ war ich gefangen. Sehr interessante Harmonik, chromatisches Material, abgründige Stimmung. Meine Begeisterung wuchs und wuchs.

Irgendwo hier im Forum hat jemand Julia Holter mit Lana del Rey kurzgeschlossen, ich finde den Beitrag gerade nicht mehr, sonst würde ich ihn zitieren und nicht vage adressierte Kritik formulieren, was immer blöd kommt. Aber hübscher kann man die Musik Julia Holters kaum mißverstehen, als sie in die Nähe dieses schwülen Chartmäuschens zu rücken. Das verbindende Element, so mußtmaße ich munter vor mich hin, werden bei diesem Vergleich, der nicht nur hinkt, sondern im Rollstuhl sitzt, wohl die verhuschten Vokalarrangements sein, die flächige, rhythmisch nicht immer scharf akzentuierte Verlaufsform der Musik.

Nur ist das, worauf bei del Rey das Hauptaugenmerk liegt, bei Julia Holter lediglich eine Folie, vor deren Hintergrund die „eigentlicheren Dinge“ stattfinden. Und die sind (sehr grob gesprochen): Ständiger Tonartenwechsel, leiterfremde Übergangstöne, harte Harmonien (die entweder mittels zweier verschiedener Vokalspuren oder mit sog. pitch shifting erzielt werden, letzteres ein Verfahren, einen Ton in Mikrointervallen zu verändern, zumeist abzusenken, was J.H. sehr häufig macht) und natürlich Melodien, die sich entwickeln, brechen, aufrappeln, abspalten oder gar metamorphosieren (ich habe nachgeschaut, das Wort gibt es tatsächlich).

Die idealisierte Melodie Julia Holters ist sozusagen auf der Suche nach Irrwegen, um sich absichtlich zu zerstreuen, zu verlieren, ja bisweilen nachgerade zu verplempern (das drückt sich dann oft in besonders absurden Lyrics an den besagten Stellen aus) und im Nachinein gestärkt und bereichert daraus hervorzugehen.

Im Feuilleton habe ich immer wieder das „Elfenhafte“, „Sphärische“, „Träumerische“ betont gefunden, das der Musik Frau Holters angeblich innewohnen würde. Ich glaube, daß man diese Musik damit prima ettikettieren kann – solange es einem darum gehen mag, sie möglichst ohne großen Aufwand abtun zu können. Was bei J.H. passiert, ist alles andere als elfenhaft, verträumt und dümpelnd. Es geht um Tiefsinn und Unsinn, nicht selten übrigens zur selben Zeit, es geht um Langeweile und das ganz und gar Außergewöhnliche, um Mikroskopisches und den Augenblick  samt seinem musikalischen Ausdruck.

Das ist poetologische Musik, wenn ich mal so verkopft sein darf, hier wird die Musik zum Thema der Musik gemacht, hier werden immer neue Ebenen installiert, von denen aus das gerade Wahrgenommene bereits ganz anders wirken muß als noch im Moment zuvor. Es wird etwas gefertigt und es wird gleichzeitig gesagt: Hör mal, wie ich mache, was ich mache. Das ist ganz große Kunst, wenn man mich fragt.

Und daß das Ganze moch im Rahmen teilweise doch recht eingängiger Popmusik passiert, zeugt für wirkliche Meisterschaft. Julia Holter hat sich innerhalb weniger Jährchen aus dem selbstgehäkelten Avantgarde-Reservat (das großartig war, ich liebe „Tragedy“ und „Ekstasis“) in die fruchtbaren Ebenen des Hauptstroms begeben, wozu neben Beherrschung des Handwerks auch Mut und eine sichere Selbstmächtigkeit gehören. Denn die Gefahr ist groß, daß man sich da verliert, wo die Vernetzungsdichte mit der Mediokrität exponentiell zunimmt.

Sowohl auf LCS als auch auf HYIMW hat JH (ich bemühe mich, den Satz so SMS-mäßig wie möglich zu gestalten) IMO sich entwickelt, ohne sich in irgendeiner Weise zu verlieren. Gewaltigen Respekt dafür.

 

 

 

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