Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Ich höre gerade … Jazz! › Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!
RetroIch könnte nur „Complete Live at the Hillcrest Club“ ausleihen.
Die ist klanglich ruppig aber musikalisch durchaus toll … aber ich bezweilfe irgendwie, dass das ein idealer Zugang ist. Da aber ausleihen nichts kostet … den Versuch wäre es wert!
vorgarten
gypsy tail windMag sein, dass ich mich da grad um Kopf und Kragen rede, aber mich spricht die ganze Szene zu wenig an, als dass ich da sehr tief graben mag.
nein, das bringt es wohl auf den punkt – richtig gut wurde der deutsche jazz erst später, mit mangelsdorff, freund, sauer, hübner, lenz, trunk usw. emil m. habe ich immer im vergleich mit dem „heißen“ günter kronberg gehört, aber du magst auch recht haben, dass er eher aus einer etwas braveren swing-ecke kommt und man sein zurückhaltendes, eher nachdenkliches spiel nicht unbedingt „kühl“ nennen muss. ich kenne mich in der ecke ohnehin nicht so gut aus, es gab nur ein paar hintergründige linien, die mir vorhin in mangelsdorffs spiel auffielen und die mein generell gutes bild von ihm bestätigten.
Gut Kronberg scheint mir wirklich eine Ausnahmeerscheinung zu sein, ein so heiss brennender Musiker, dessen Spiel eine durchaus existentielle Dimension zu haben scheint … das gibt es ja überhaupt selten, im deutschen Nachkriegsjazz ist er wohl ein Solitär? Aber da – Kronberg v. Emil Mangelsdorff – sind wir auch grad beim nächsten Punkt:
redbeansandricekalt/warm funktioniert bei mir seit einiger Zeit quasi gar nicht mehr, also, ich verstehe wirklich nur noch in den extremsten Fällen (Jazz of Two Cities), warum es naheliegend ist, in diesen Begriffen zu denken, und selbst da sagt mir diese Einteilung nicht so richtig viel… Was ich zuletzt oft gehört hab waren zB diese Hal McKusick Alben mit Barry Galbraith. Dass die allen Cool Jazz Klischees entsprechen, seh ich auch, aber mit den Gründen, warum ich diese Alben so gerne höre, hat das wenig zu tun. Gestern hab ich recht viel gehört, was hier reinpasste (Alan Shorter – Orgasm, Mingus – UCLA… letztere kannte ich noch quasi gar nicht, obwohl sie schon ewig bei mir rumstand…) Jetzt gerade eins der wenigen dieser belgischen Alben von unbekannteren Künstlern, dass sich hier fest etabliert hat… und tatsächlich könnte man behaupten, dass das Album zwar so eine kleine Spur mediterranen Charme hat, aber vor allem dadurch interessant wird, wie es diese mediterrane Note in ein amerikanisch geprägtes und cooles Gitarrentrioformat einarbeitet… (Bruno Castelluci an den Drums ist derjenige, der aufpasst, das man auch wirklich nicht vergisst, dass man Musik aus den 80ern hört)
Solche Kategorien machen doch oft nur dann Sinn, wenn man sie im direkten Vergleich anwendet, nicht? Also ich stimme z.B. sofort zu, dass die Musik von McKusick und Barry Galbraith sehr warm ist – aber z.B. im direkten Vergleich mit Paul Desmond/Jim Hall wirkt sie wieder ganz anders, für mein Empfinden kühler (und das ist absurd, denn kühler als Desmond geht ja kaum … allerdings empfinde ich die Desmond/Hall-Alben, zumal jene im Quartett – als fast tropisch warm, die im Saxophon vorhandene Kühlheit ändert nicht den Charakter, doch sie erfrischt wie ein kalter Drink im Sommer).
Aber gut, das ist alles gar blumig, der Punkt ist halt auch, dass sich solche Kategorien permanent ändern, man ist ja oft genug erstaunt über Einschätzungen früherer Zeiten, wenn man alte Liner Notes oder Artikel in die Hände kriegt. Vieles mag in der Tendenz halbwegs passen, aber wenn man ein paar Schritte zurück tritt stellen die Dinge sich ja doch komplizierter dar. Die einstige stilgeschichtliche Sichtweise („im Jazz wechselten sich Phasen heisser mit Phasen kühler Musik ab“ – ich glaube in Arrigo Polillos Buch kann man das in etwa so nachlesen) ist jedenfalls längst überholt, das hätten auch jene, die sie prägten, noch merken können, denn spätestens um 1950 gab es – so gesehen – eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die mit einem solchen dialektischen Fortschrittmodells kaum noch greifbar wird bzw. die dazu führt – darunter leidet ja meine Wahrnehmung weiterhin etwas – dass man tolle Dinge ignoriert, vom Tisch wischt, ihnen gegenüber nicht aufgeschlossen ist.
In meiner einstigen adoleszenten Rigorosität hielt ich z.B. Swing aus den Fünfzigern für überholt, mochte mich nicht mit Aufnahmen von Dizzy Gillespie aus den Fünfzigern oder Sechzigern befassen, weil er sich ja nicht weiterentwickelt hat usw. Meine „Lehrer“ waren damals v.a. Berendt – der ein solches Stilmodell zumindest in der alten Ausgabe des „Jazzbuches“ wenn er sie denn nicht explizit vertrat (dazu erinnere ich mich nicht genau genug), wenigstens in der Anlage und Gliederung des Buches andeutete – und eben auch Polillo (ob es davon wohl eine bereinigte Übersetzung ohne das N-Wort gibt? In Italien steht das Buch weiterhin im Regal, wie ich neulich im Urlaub sah – ist wohl das Pendant zu Berendt). Das dies alles nicht der Weisheit letzter Schluss ist, dämmerte mir dann bald, aber wenn man mit 14 oder 15 ohne viel Austausch mit Leuten, die einen Wissensvorsprung haben, einsteigt, dann prägen diese frühen Vorstellungen und Lektüren schon (Abhilfe geschaffen hat z.B. Peter Rüedis Kolumne in der Weltwoche – für seinen Sammelband mit den Kolumnen habe ich ja schon öfter die Werbetrommel gerührt).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba