Antwort auf: 2016: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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gypsy-tail-wind
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Vor zwei Wochen, zum Auftakt meines Urlaubes, hörte ich in Ravenna im Teatro Rasi zweimal Louis Moholo im Konzert.

Am ersten Abend (20.6.) spielte er mit dem MinAfric Orchestra um Pino Minafra (der auch hinter dem Italian Instabile Orchestra steht, aus dem viele Leute auch bei MinAfric dabei sind) und seinen Sohn Livio, mit den Gästen Keith Tippett, Julie Tippetts und Louis Moholo-Moholo. Das Konzert hätte Open Air in einer alten Festung, dem Rocca Brancaleone stattfinden sollen (ich hatte mir bei einem Spaziergang am Abend davor den Ort angeschaut, wäre super gewesen), wurde aber wegen unsicheren Wetters (dabei war ab dem Nachmittag bestes Wetter und das änderte sich die kommenden zwei Wochen nicht mehr) in ein Theater verlegt, das in eine ehemalige Kirche eingebaut wurde, das Teatro Rasi. Darin war die wilde Musik der grossen Band (ich glaube 3 tp, 3 tb, 5 sax, 2 p/keys, b, 2 d, Julie Tippetts und drei weitere background Sängerinnen, in einem Stück wurde noch Nerudas „Canto General“ rezitiert – einer der tollsten Momente des Konzertes) irgendwie etwas unpassend, auch der Klang war nicht optimal. Aber es hat doch grossen Spass gemacht, den Arrangements zu lauschen, die sich auf Stücke der Blue Notes und der Brotherhood of Breath bezogen, den beiden Gruppen von/um Chris McGregor, mit dem Moholo damals in den Sechzigern aus Südafrika migrierte – er ist ja der letzte überlebende der Blue Notes. Die Arrangements stammten von Roberto Ottaviano, dem Altsaxophonisten, der auch mitspielte – er kommt eher aus der Lacy/Waldron-Ecke und ist etwas zu zahm für diese Musik, scheint aber ein enorm lieber Kerl zu sein, wie Alexander Hawkins später im Gespräch mehrmals erwähnte (Alex hat mit Ottaviano neulich die Hälfte einer Lacy-Hommage im Duo eingespielt – eine sehr feine Doppel-CD mit Ottaviano im Quartett und dann eben im Duo). Tippetts macht mit seinem „Dedication Orchestra“ ähnliche Dinge, aber mit den Italienern war es wohl eine Spur wilder, lebendiger – und daher für mich besser. (Von diesem Abend stammen die beiden Photos von Moholo, ich sass zwar in der ersten Reihe aber er war weit hinten auf der Bühne, fast etwas versteckt.)

Am Abend darauf (21.6.) gab es dann Louis Moholo-Moholo „5 Blokes“, seiner regulären Combo dieser Tage, mit Alexander Hawkins am Klavier, John Edwards am Bass sowie den Saxophonen von Jason Yarde (as, ss) und Shabaka Hutchings (ts). Das war dann ein grandioses Konzert, obwohl auch hierfür das (für diesen Abend von Beginn an vorgesehene) Kirchen-Theater nicht perfekt war. Aber die Musik war wahnsinnig gut! Sehr schön fand ich, wie Yarde und Hutchings einander Raum liessen, wie toll sie zusammen spielten (und wie gut das klang), die Musik war zwar geladen, energetisch, aber es gab keinen einzigen Moment der Konkurrenz unter den Saxophonen, überhaupt war das ganz ausgeprägte Gruppen-Musik, in der es nicht um Egos und brillante Soli ging sondern um höchst fokussiertes gemeinsames Spiel. John Edwards war wie üblich beeindruckend – für mich einer der komplettesten Bassisten der gegenwärtigen Szene, zupackend und treibend, mit grossem Ton, aber auch verspielt, den Klängen nachsteigend, den Bass als ganzes spielend. Hawkins glänzte wie alle anderen in erster Linie mit ensembledienlichem Spiel, setzte aber auch zu ein paar tollen Soli an (die natürlich alle fünfe hatten, die Saxophonisten öfter als die anderen, Yarde spielte auch ein paar Male simultan Sopran- und Altsax).

Danach traten Keith Tippett & Julie Tippetts im Duo auf – und das war eine bekloppte Idee, denn die beiden – die komplett frei improvisierten, was ja gerade wenn eine Stimme dabei ist, wirklich nicht jedermanns Sache ist – hätten ganz klar als Opener auftreten müssen … aber dafür reichte anscheinend das Verständnis der Verantwortlichen vom Ravenna Festival nicht weit genug (das Festival spielt sonst v.a. hochkarätige Klassik). Die Leute, beglückt vom phantastischen (und wohl fast 90 Minuten langen) Moholo-Set, liefen in Scharen raus – und ironischerweise war für die beiden im Duo der Rahmen nun wirklich perfekt, mit rotem Licht im Chor der Kirche, der sich hinter der Bühne öffnete. Da ich aber noch etwas mit Alex reden wollte (am Abend davor landeten wir mit der ganzen Band und diversen Angehörigen in einem Restaurant, ich hatte u.a. die Gelegenheit, mich mit Hazel Miller, der Chefin von Ogun, zu unterhalten), der am nächsten Morgen früh weiter musste, hörte ich nur die letzten ca. 20 Minuten (das Set dauerte wohl 40-45 Minuten), nachdem ich mich weit hinten reingeschlichen hatte.

Alexander und ich haben auch endlich mal dran gedacht, jemanden zu bitten, ein Photo zu machen (zum Glück noch vor meinem Sonnenbrand …):

Alexander erwähnte übrigens, dass der Flügel, den er spielte (und der zwischen den Konzerten nachgestimmt wurde) von Arturo Benedetti Michelangeli signiert sei – er hätte ihn bei einem Konzert in Lugano (glaube ich) gespielt und das Instrument so sehr gemocht, dass er es signiert habe.

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