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jjhumMir gefiel Staffel 1 etwas besser . Das Thema, wie brave Leute in den Sog des Verbrechens gezogen werden, fand ich mit der Rolle von Martin Freeman einfach spitze erzählt. Und Billy Bob Thornton als durch und durch schlechter Mensch, fantastisch. Die zweite Staffel hätte von Tarantino sein können, beide Staffeln *****
Staffel 2 mindestens volle Punktzahl. Staffel 1 knapp dahinter.
Spoileralarm!
Billy Bob Thornton als Lorne Malvo ist großartig. Ob er ein durch und durch schlechter (böser?) Mensch ist – darüber könnte man diskutieren. Es bleibt ja vollkommen offen, was ihn antreibt. Mir kam er vor wie ein durch die karge schneebedeckte Landschaft wandelnder Sensenmann, der eine Spur des Todes hinter sich herzieht und dabei rätselhaft über Leben und Tod philosophiert. Etwas unbefriedigend fand ich, wie er am Ende einfach mir-nicht-dir-nichts abgeknallt wird. Aber vielleicht gehört das zur Absurdität der Geschichte mit dazu.
Martin Freeman als Lester Nygaard ist für mich aber die eigentlich interessantere Figur. Ein Niemand, der zufällig in eine Geschichte reingerissen wird, die viel zu groß für ihn ist, der dadurch aber eine Verwandlung durchmacht und am Ende doch scheitert. Was ich ihm eigentlich gar nicht gönne.
Das Motiv, dass kleine brave Leute sich auf eine Sache einlassen, die zu groß für sie ist und sie dadurch in einen Strudel geraten, aus dem sie sich nicht mehr befreien können, ist wohl ein Grundmotiv sowohl des zugrundeliegenden Films der Coen Bros. als auch der Serie. Ein weiteres Motiv sind die eigentlich scheinbar todlangweiligen aber gutmütigen Menschen auf der anderen Seite, die bescheidenen und gewissenhaft Polizisten, über die dieser Sturm hereinbricht wie eine apokalyptische Plage.
In Staffel 2 sehe ich eine haarsträubende Eskalation nicht nur dieser Themen, ich finde auch, das sich hier vieles andere extrem verdichtet: Der sehr weit gespannte Handlungsbogen, die Vielzahl der bis in Detail genau gezeichneten Figuren und parallelen Handlungsstränge, die scheinbar absurden Ereignisse, der schwarze Humor etc. ff. Eine der für mich interessantesten Figuren ist dabei Jesse Plemons als Ed Blomquist, ein grundgutmütiger und verantwortungsvoller Mensch, der völlig schuldlos durch seine bescheuerte Frau in diese Sache reingezogen wird. Oder die beiden Polizisten mit ihrer Kriegsvergangenheit, durch die ihre Charaktere, ihre Weltsicht und ihre Handlungen erklärt wird. Das ist ja geradezu tiefsinnig psychologisch und anrührend. Und diese – ich sag mal: selbstreflexive Ebene der Serie, das post-Vietnam, -Watergate, -Ölkrise Zeitkolorit, das Arbeiten mit 70er Jahre Stilmitteln (Splitscreen, Musik), und als grotesken Höhepunkt das (folgenlose!) Auftauchen einer fliegenden Untertasse wie aus Close Encounters of the Third Kind. Fand ich zuerst zu dick aufgetragen aber inzwischen sage ich: Hier haben die Autoren sich selbst übertroffen, die Absurdität der Ereignisse over the top getrieben und zweimal um die Ecke gedacht die Serie selbst persifliert. Und dann ist da noch der Mythos des Sisyphos …
Was für eine Geschichte!
Viel Text, sorry, aber Fargo bietet auch viel Stoff.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)