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Konzertbericht:
Mark Olson and the Creekdippers feat.Victoria Williams Samstagabend in der Hospitalkirche
Im frühmittelalterlichen ersten Haller Spital, einer bürgerlichen Stiftung, konnten nicht nur Kranke und Hilfsbedürftige aus der eigenen Stadt, sondern auch Fahrende und Pilger unterkommen. Diese öffentliche Versorgung erstreckte sich in späteren Zeiten auf Blinde, Lahme, Waisen und Alte, die hier in ihrem Elend karitative Wohltaten erfahren konnten. Die Situation ist in unserer Zeit so unähnlich nicht – die liebevoll renovierte Hospitalkirche des ehemaligen Spitals wird nämlich heute u.a. als Konzertsaal genutzt und bietet nicht nur einheimischen Kulturbedürftigen, nein, auch von weither nach Schwäbisch Hall gepilgerten Kunstfreunden wohltuende Versorgung. Und zu Victoria Williams und Mark Olson aus der fernen Wüste Joshua Tree in Kalifornien, ihres Zeichens gelehrte Spezialisten der „Americana“ geheißenen Alternativ-Country-Musik, kamen sie alle: die Bedürftigen und die Neugierigen, die Fans und Gläubigen also, aber auch die Unbedarften, einige Mißtrauische gar zogen vor die von jahrhundertealten Heiligenstatuen umsäumte Kanzel, um den beiden Berühmten zu lauschen. Für ihre dreimonatige Tournee in der alten Welt Europa brachten diese einen mehr als versierten Schlagzeuger und einen italienischen Geigenvirtuosen mit, sie selbst spielten mit Keyboard, Gitarre, Dulcimer und Bass auf.
Doch zunächst wurden sie beinahe eine Stunde lang von der heimischen Band „Guilty“ aufs Angenehmste eingeführt. Akustische Singer-Songwriter-Kleinode aus eigener Werkstatt, die neben den einfallsreich neuarrangierten Fremdkompositionen verschiedener Stile von Blues (Willie Dixon) über Roots-Rock (The Band) zu Pop (Peter Gabriel) von den drei Musikern so einverleibt waren, daß sie wie aus einem Guß daherkamen und mehr als „einzuschmeicheln“ wußten.
Dann kamen die Creek Dippers und tauchten (dip) – für viele wie „aus heiterem Himmel“ urplötzlich in den „creek“, der sich zum Teil noch gar nicht auf seinen Plätzen befand. Wer die Band kennt, weiß um solche „Unvorhersehbarkeiten“, die sich keinesfalls aus mangelhafter Professionalität ereignen, sondern zum unkonventionellen Charakter dieser großen Musiker dazugehören. Der durchperfektionierte Konzertbetrieb mancher sogenannter „Profis“, bei denen jede Aufführung gleichsam einem vorproduziertem Schema entspringt und sich „live“ eigentlich von Auftritt zu Auftritt wenig unterscheidet, ist ihre Sache gewiß nicht. Dem Publikum wird Ungewöhnliches „zugemutet“, Überraschungen, Spontaneität, Einfall, mitnichten bloße Wiederholung. Kein Song, der heute gespielt wird wie morgen, keine Songliste von gestern für heute. „Wir spielen am liebsten in kleineren Städten. Klar, in den Großstädten kommen zumeist mehr Leute, aber wir spielen lieber in kleinen Ortschaften, weil dort die Leute nicht so übersättigt sind und sich über Livemusik noch wirklich freuen können!“ Diesesmal wurden über 20 Stücke dargeboten, die ein rühriger Freund und intimer Kenner ihres Werkes einen Tag zuvor zusammengestellt hatte – alles war somit noch Ungewöhnlicher als ohnehin! „Niemand macht uns Vorschriften, wir halten einfach die Augen offen und versuchen, alles mitzunehmen, was uns sinnvoll erscheint.“
Victoria, ganz umkleidet von rotem Tuch (einschließlich Turbans!) begann, ehe noch ihre Mitmusiker bereit waren, acapella „Psalms“ zu intonieren. Ehe die ca. 150 Zuhörer aber an einen letzten Soundcheck glaubten, fügte sich wie von selbst die Begleitung ein. Harmoniegesang erstrahlte nahezu bei jedem Song, die Violine wurde -wenn nicht gezupft – als Zigeunergeige gemeistert und schmückte nicht mit den so typischen Country-Fiddle-Ornamenten, sondern mit etwas ganz und gar Neuartigem: „Gypsy-Americana“!! Natürlich – wie anders? – war nicht alles „perfekt“, ließ sich z.B. das Wah-Wah-Banjo nicht anschließen, bat Victoria irgendwann, die Bühnenscheinwerfer, die sie quälten, auszustellen, so daß die ganze Kirche beleuchtet wurde (bei der Schönheit des Gebäudes nicht unbedingt ein wirklicher Nachteil), enthuschte Victoria immer mal wieder von der Bühne – indes die allermeisten der „Pilger“ ließen sich von solchen Nebensächlichkeiten nicht stören, sondern empfanden gerade diese als wohltuend, ja als heimelig!
Ein großes Lob an den Soundverantwortlichen, der den glücklichen Umstand dieser Räumlichkeit auch in akustischer Hinsicht nicht verschenkte, alles war brillant ausgesteuert und von jedem Platz zu hören. Wie ein quirliger süßer (yes, Victoria is sweet!!!) Kobold wirbelte die Sängerin durchs Programm und wußte mit unzähligen Gesichtern, in denen sich unzählige Facetten spiegelten, zu faszinieren. Mark Olson, der Ex-Jayhawk, der gleichwohl nichts von den Jayhawks spielen wollte, ein nicht minderbegabtes Songwriter-As, behielt als „Bühnenvorstand“ die Kontrolle und überzeugte nicht bloß mit der unbestreitbaren Güte seiner Lieder, auch seine eigene Gesangskunst wird immer besser und wurde wohlig von Victorias unverkennbarem Sopran verziert. „Lorna Doones Garden“, „Owen’s Valley Day“, „Cactus Wren“ sowie „Ben Johnson’s Creek“ waren für den Schreibenden die persönlichen Highlights aus einem aus lauter Höhepunkten bestehendem Set – UND natürlich das vorletzte Stück des Abends, das als Überraschungs-Duett mit Peter Wassenhoven, dem Sänger von „Guilty“, dargebrachte „My Ally“. Bezaubernd!!! Leider konnten nicht alle Vorhaben eingelöst werden, die eingeplanten „Crazy Mary“ und „Moonriver“ fielen Kreislaufproblemen von Victoria zum Opfer. Doch nach zwei Stunden Verzauberung waren wohl nur wenige „Kranke und Hilfsbedürftige“ unversorgt geblieben und mithin enttäuscht. Der Schlußapplaus konnte das sicherstellen – und entließ auch eine Band, die einen ganz besonderen Abend in Schwäbisch Hall „erleben“ durfte, einer Stadt, die sie, wie sie einstimmig bezeugten, verzaubert hatte. „Ihr könnt glücklich sein, in einer solchen Stadt leben zu dürfen!!“Sven Greupner
Sven ist derjenige, der in der Scheuer meine Portion Chili Con Carne verzehrte, nachdem er vorherig schon einen input von einer selbigen hatte. :D
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Captain Beefheart to audience: Is everyone feeling all right? Audience: Yeahhhhh!!! awright...!!! Captain Beefheart: That's not a soulful question, that's a medical question. It's too hot in here.