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Komplettes Album in Bild & Ton:
Andreas Borcholte bei Spiegel-Online:
Spätestens, allerspätestens im vorletzten Stück dieser Platte wähnt man sich in einem besonders albernen Film von Seth Rogen und James Franco. Oder in einem weniger geglückten Jimmy-Fallon-Sketch. Kann der echte Neil Young mal bitte auf die Bühne kommen!? Ah! Hahaha! Sehr gut. Puh.
Aber nix da: Es gibt leider keinen comic relief, keine Auflösung der Parodie, nur derart bitteren Ernst, dass es schon wieder komisch ist, unfreiwillig: „Monsanto“ und „Safeway“ dräuen Young und seine Mitspieler mit tiefergelegten Gospelstimmen im Titeltrack und prangern an: den Saatgut- und Herbizid-Konzern für seine genmanipulierten Produkte, die Supermarkt-Kette für ihre Weigerung, genmodifizierte Produkte entsprechend auszuweisen. Auch Chevron, Walmart und Starbucks werden im Verlauf der neun Songs des Konzeptalbums abgewatscht.
Das zu tun, ist ja durchaus ehrenhaft. Wer, wenn nicht Neil Young, könnte sich glaubhafter zum Anwalt der unter Druck gesetzten Farmer und entmündigten Bürger machen; schon 1988 zeigte der kanadische Konsum-Skeptiker und Ökomobil-Fahrer jeglicher Vereinnahmung durch Marken einen großen Finger: „Ain’t singin‘ for Pepsi, ain’t singin‘ for Coke, I don’t sing for nobody, makes me look like a joke“. Doch 2015 lesen sich die Kampfansagen leider weniger elegant: „Yeah, I want a cup of coffee/ But I don’t want a GMO/ I’d like to start my day off/ Without helpin‘ Monsanto/ Ask Starbucks if coffee has GMO (…) Monsanto let our farmers grow what they want to grow“, prügelreimt Young im pfiffig gemeinten, aber leider erschreckend doofen „Rock Star Bucks A Coffee Shop“ – und hat Mühe, die sperrigen Worte irgendwie auf die Melodie zu singen.
An Schnellschüsse und Unausgegorenes ist man bei Neil Young ja gerade in den letzten Jahren gewöhnt („Let’s Roll“, „Storytone“), was ja durchaus auch den Charme der Unberechenbarkeit beinhaltet. Mit seinen plumpen Monsanto-Pamphleten tut sich der bald 70-Jährige jedoch keinen Gefallen. Das ist umso mehr schade, als dass vor allem einige der schnelleren Songs musikalisch durchaus Qualitäten haben, darunter das achtminütige „Big Box“ und der stolpernde Humpty-dumpty-Boogie „Workin‘ Man“. Man darf halt, schlimm genug, nicht auf die Texte achten.
P.S.: Youngs Stammband Crazy Horse hatte wohl auf den selbstgerechten Unsinn keinen Bock, so dass Young mit POTR die Band von Willie Nelsons Sohn Lukas rekrutierte. Macht’s nicht schlimmer. Aber auch nicht besser.
P.P.S.: Das US-Magazin „Billboard“ hat mal bei Monsanto nachgefragt, wie die denn das alles so finden. Hier kann man die – gar nicht mal unsympathische – Antwort nachlesen. Das hat man dann davon, wenn man den bösen, bösen Konzernen allzu dumm kommt.
Die taz meint:
Mit Gitarre gegen Pestizide
Mit der guten alten Gibson gegen Chemie und genetisch verändertes Saatgut: „The Monsanto Years“ – Neil Young und sein wütendes neues Werk.
Es sei ein schlechter Tag, um den Kopf in den Sand zu stecken, wo so viele Menschen Hilfe bräuchten, um ihr Land vor den Gierigen zu schützen, die es ausplündern wollen, beklagt Neil Young im Auftaktsong „A New Day For Love“ und seine immer etwas unsicheren Leads gehen am Ende des Songs so schräg in den Schädel wie schon lange nicht mehr.
Was zunächst noch wie eine eher unkonkrete Absichtserklärung klingt, wie eines dieser x-beliebigen Hippiebekenntnise, die im Ungefähren wabern, nur um weiterhin in Ruhe einen durchziehen zu können, kommt dann aber doch richtig zur Sache: „Monnnnnn-sannnnnn-toooooooo / Let our farmers grow what they want to grow!“
Er zieht mit seiner alten Gibson Les Paul gegen Monsanto zu Feld, gegen jenen Chemie- und Biotechnologiekonzern also, der schon im Vietnamkrieg das Entlaubungsmittel Agent Orange geliefert hat, das in den kontaminierten Gebieten bis heute für erhöhte Krebsraten und Fehlbildungen bei Neugeborenen verantwortlich gemacht wird. Young meint jedoch die aktuellen Milliardengeschäfte mit genmodifizierten Pflanzen, die schon seit geraumer Zeit in der Kritik stehen.
Der Konzern hält das Patent auf Glyphosat, das zurzeit wohl effektivste Herbizid, und praktischerweise auch diverse Patente auf gentechnisch manipulierte Pflanzen wie Mais, Soja, Raps und Baumwolle, die gegen die Wirkung von Glyphosat resistent sind. Ein Farmer, der A sagt, muss also auch B sagen. Und offenbar haben sich nicht nur in den USA viele Bauern für diese teuflisch geniale Kombipackung und die dazugehörigen Knebelverträge entschieden. Monsanto ist der absolute Weltmarktführer.
Das Problem ist, und dagegen stänkert Neil Young auf Albumlänge an, dass die Patentgesetze in einigen Ländern den Farmern verbieten, Ernteüberschüsse wieder auszusäen. Das Saatgut gehört Monsanto und muss also jedes Jahr erneut beim Konzern gekauft werden. Bei Zuwiderhandlungen hagelt es Patentrechtsklagen, die schnell mal Haus und Hof kosten.
Üppige Schmiergelder
Zu allem Überfluss gehen Experten, etwa die Internationale Agentur für Krebsforschung, mittlerweile davon aus, dass der Giftstoff eben doch nicht so unbedenklich für den Menschen ist, wie jahrelang auch dank üppig fließender Schmiergelder behauptet werden konnte, sondern „wahrscheinlich krebserregend“.
Das sind die Rahmenbedingungen für diese flammende Anklage. Und flammend ist sie wirklich. „From the fields of Nebraska to the banks of the Ohio / The farmers won’t be free to grow what they want to grow / When corporate control takes over the American farm / With fascist politicians and chemical giants walking arm in arm“, schnaubt er bereits auf der Vorabsingle „A Rock Star Bucks A Coffee Shop“.
Und auf dem dazugehörigen Video gibt er sich einige Mühe, ein entsprechendes Schiefmaul zu ziehen. Endlich liegen die Dinge wieder klar, endlich gibt es wieder ein eindeutiges Feindbild, gegen das man seine Gitarre in Stellung bringen kann. Diese Maschine killt skrupellose Firmenbosse. Allein die Musik will hier gar nicht so recht passen, ein schunkelnder Shuffle, der sich auch noch in scheinheiliger Flöterei gefällt, es hat fast den Eindruck, die bräsige Form soll die knallharte Anklage etwas abfedern.
Neil Young, dieser unsichere Kantonist, der von sich selbst behauptet hat, er habe „zu jeder politischen Frage mindestens zwei oder drei Meinungen“, der auch schon mal mit dem alten Westerner Ronald Reagan sympathisierte und der nach 9/11 allzu dienstfertig die Bush-Rhetorik vom wehrhaften Amerika nachbetete, das nun an einem Strang zu ziehen habe gegen das Böse in der Welt, dieser Redneck-Hippie spielt jetzt also wieder mal den Weltverbesserer.
Rhapsodisches Ökomärchen
Wie am Anfang seiner Karriere. Und wie zuletzt auf der Platte zum E-Mobil, „Fork In The Road“, oder dem Konzeptalbum „Greendale“, dem rhapsodischen Ökomärchen, in dem seine Protagonisten einem umweltzerstörenden Energiekonzern das Handwerk legen wollen. „Save the planet for another day / Don’t care what the government say.“
„The Monsanto Years“ hat aber eine ganz andere Qualität. Hier herrscht das Prinzip der Massierung. Wie bei einem heidnischen Ritual oder einer Demo spricht er immer wieder dieselben Losungsworte. Saat ist Leben und gehört Gott respektive Mutter Erde, also jedem – nicht Monsanto.
Der böse Firmenname wird immer wieder aufgerufen und beschworen. Dahinter steckt eine mystische Vorstellung, gewissermaßen die Rumpelstilzchen-Methode. Wer das Übel benennt, kann es auch bannen. Nur darum geht es hier. Die Lyrics wirken wie auf Flugblätter gepinselt. Ein Reim findet fast nicht statt, Metrum und Versform werden sehr frei umspielt. Wenn die Zeile zu lang wird, geht sie eben auf der nächsten weiter. Enjambement kann man das nicht nennen, das setzt ästhetisches Kalkül voraus, wo es hier nur um die Botschaft geht.
Leicht kitschig
Und die kann mal erstaunlich scharf sein, aber, wenn er sich in nostalgischen Altherrenreminiszenzen verliert, wie in dem Titelsong, auch schon mal beeindruckend kitschtriefend: „When you shop for your daily bread and walk the aisles of Safeway, Safeway / Find the package to catch your eye that makes you smile at Safeway, at Safeway / Choose a picture of an old red barn on a field of green / With the farmer and his wife and children to complete the scene at Safeway, at Safeway.“ Es bleibt nur noch die Erinnerung an bessere Zeiten, wenn man ihnen nicht langsam mal das Handwerk legt.
Young kämpft für die richtige Sache, wählt dafür aber nicht die richtigen musikalischen Mittel. Anstatt mit seiner stets taumelnden, aber doch nicht fallenden Grandpa-Garagen-Truppe Crazy Horse ein neues Krachwerk wie damals „Ragged Glory“ oder in jüngster Vergangenheit „Psychedelic Pill“ einzutrümmern, richtig Dampf abzulassen und so den Parolen einen adäquaten musikalischen Gegenwert zu geben, holt er sich Promise of the Real zu Hilfe, die Band um Willie Nelsons Söhne Lukas und Micah, und setzt ausgerechnet musikalisch auf Differenziertheit und Diversifikation.
Die Americana-Jungspunde versuchen sich als Rumpeltruppe, aber dafür sind sie viel zu abgewichst. Wenn für Poncho Sampedro bei seiner Riff-Auslegware vor allem die dichte Textur und Quadratmeter zählen, sorgen sich die beiden Nelsons viel zu sehr um das Muster. Hier noch ein kleiner Fill, dort noch ein Solo und da wird die Chorusmelodie gedoppelt. Das nimmt dem ganzen Projekt ein bisschen von seiner Wirkungsmacht, zumal der Folk- und Countryeinfluss der Band deutliche Spuren hinterlässt, verschwiemelte Pedal-Steel-Melodien immer inklusive. Die larmoyante Folk-Elegie „Wolf Moon“ gehört auch unmittelbar hierher.
Too rich for jail
Ein paar Mal ziehen sie aber an einem Strang, bei „Big Box“ zum Beispiel, dem eher resignativen Monitum gegen verbrecherische Kapitalgesellschaften (“Too big to fail, too rich for jail“), die als achtminütiges Epos daherkommt, wo sich dem genialsten Dilettanten an der Stromgitarre endlich mal genügend Raum bietet für seine notorischen Dreifingersuchsoli.
Schöner ist nur noch „Rules Of Change“. Der Song fällt zwar im Chorus ebenfalls in eine falsche Gefühligkeit, aber das mächtig heranwankende, dumpf dräuende Signalriff ist ein passendes Äquivalent zur geballten Faust. Die halb kaputten, überforderten Röhren seines Verstärkers wirbeln endlich mal genügend akustischen Mölm auf. Da können die Gebrüder Nelson noch so schöne Melodielinien spielen, das düster brutzelnde Distortiongewitter halb im Off ist das, was zählt. Und man stellt sich unweigerlich die Frage, was für einen Klabautermann Crazy Horse daraus gemacht hätten.
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