Re: Veit Harlan

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napoleon-dynamite
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Michael Althen über „Opfergang“ (aus: „Liebling, ich bin im Kino! Texte über Filme, Schauspieler und Schauspielerinnen“, München 2014):

Um den Sieg des Melodrams über die Ideologie aufzuzeigen, wird gerne Opfergang genommen, jener Fiebertraum von einem Melodram, den Goebbels ausdrücklich nicht leiden konnte. Man kann leicht nachvollziehen, warum er so empfand. Das Bild, das der Film vom Deutschland des Jahres 1944 zeichnet, ist zu düster, zu ungesund und ausweglos. „Eine dieser Stunden wird deine letzte sein“ steht auf der Standuhr im Flur des Hamburger Großbürgerhauses, und auch wenn die Allgegenwart des Todes nicht unbedingt im Widerspruch zur NS-Ideologie steht, trieb es Harlan hier doch buchstäblich zu bunt. Liebe und Tod werden zu den schillerndsten Farben vereint, der Sieg des Lebens bleibt blass.

Natürlich lässt sich Opfergang wie Harlans andere Melodramen auch – wie Die Reise nach Tilsit, Verwehte Spuren, Immensee, Die Goldene Stadt –, ideologisch lesen, indem man in diesen Filmen immer das eine gegen das andere ausgespielt sieht: Heimat gegen Fremde, Ehefrau gegen Verführerin, Stadt gegen Natur, Freiheit gegen Staatsräson, Todessehnsucht gegen Lebenswut. Wobei jedesmal zu streiten wäre, ob nicht unabhängig vom Ausgang das jeweils Andere, Fremde, der Ideologie zuwiderlaufende die größere Faszination ausübt. Mag ja sein, dass die heile Welt immer nur zum Schein auf die Probe gestellt wird, um ihr am Ende einen sicheren Sieg zu bescheren – sicher ist, dass diese Welt am Ende nicht mehr dieselbe ist, dass der Sieg des einen immer leichter wiegt als die Niederlage des anderen. Man muss das nicht gleich für subtile Unterwanderung halten – es liegt einfach in der Natur des Melodrams, ins dunkle Herz der Dinge zu blicken.

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A Kiss in the Dreamhouse