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pinchVor allem muss nicht immer alles um zig-tausend Ecken und krummen Winkeln zerquatschen und zumüllen, um die Größe und Schönheit von Kunstwerken für sich zu erkennen.
Grummel. Das ist doch kein reiner Sterne-Thread, oder? Und wenn hier am Ende nur noch ich mit Kidd diskutiere, soll‘s mir auch recht sein. Ich bin dankbar, wenn ich einen Gesprächspartner habe, der mit Ernsthaftigkeit eine kontroverse Debatte austragen will, die uns beiden womöglich Erkenntnisgewinn bringt.
Abgesehen davon: Lamar erbaut hier doch einen enormen Hallraum aus Referenzen, er legt so viele Spuren aus, verweist in Samples und Texten auf so verschiedene schwarze Säulenheilige wie James Brown und Nat Turner, Fela Kuti und Sly Stone, Nelson Mandela und Fela Kuti. Damit, finde ich, sollte man sich schon beschäftigen dürfen. Wie ich das sehe, haben die ja alle eines gemeinsam: Es sind Vorbilder, aber keine makellosen, jeder für sich ist ambivalent, das oszilliert heftig. James Brown zum Beispiel: „I’m black and I’m proud“ – und seine Nixon-Nähe, seine unreflektierte Verherrlichung von Unternehmertum und amerikanischen Werten; Nat Turner – seine nachvollziehbare Rebellion war auch eine ohnmächtige, letztlich selbstmörderische Verzweiflungstat; Fela Kuti – da gibt es grandios emanzipatorische Aspekte und finster reaktionär anmutende Positionen. Es geht immer wieder darum, die Lebensentwürfe dieser Role Models abzuklopfen: Was von dem, was sie vorgelebt haben, trägt für mich, was trägt fürs heute, was hat sich bewährt, was müssen wir überwinden?
captain kidd2Pac labert davon, wie sich die Armen erheben werden, „eat the rich“ und so. Er geht davon aus, dass dies einfach passieren wird. Aber das wird es meiner Meinung nach gerade nicht. Es braucht Motivation zur Revolution. Und die bietet 2Pac so gar nicht. Er redet lieber über „faith in god, faith in the game“ und „faith“ in die Leute die „true“ bleiben. Und er sei ein „natural born hustler“. Was immer er jetzt genau damit meint (der Begriff hat ja viele Bedeutungen), die Quintessenz auch seiner weiteren Ausführungen ist: Wenn man nur fleißig genug ist, kann man alles schaffen. Sorry, das ist FDP-Lyric.
Gerade dieses Schillern zwischen „linken“ und „rechten“ Positionen ist doch immer wieder interessant bei all diesen Leuten und geradezu grundlegend: Schwarze Selbstermächtigung kann gesellschaftlich emanzipativ sein, aber auch in radikalindividuell-turbokapitalistische Egozentrik umschlagen; wir stoßen auf dieses Phänomen doch im HipHop auf Schritt und Tritt. Und bei Sly Stone steckt das alles in einer einzigen Zeile: „You can make it if you try“. Das lässt sich lesen als neoliberales „Jeder ist seines Glückes Schmied“ – und als Beschwörung, als Forderung: Auch wir müssen das Recht haben, es schaffen zu können, Leute, glaubt daran!
Und genau so ist es auch bei Tupac: Ja, stimmt, da schwingt was FDP-haft Selbstgerechtes mit – aber auch eine sehr militante Black-Power-Haltung, eine explizit linksrevolutionäre Note. „Eat the rich“ taugt nun ja gerade nicht als FDP-Wahlkampfslogan, oder?
captain kiddUnd wenn Kendrick dann auf 2Pacs wirre Aufstandsfantasien antwortet, dass nur die Musik den Menschen helfen könne, hört es bei mir einfach auf. Das ist einfach nur naiv und antirevolutionär.
Da will ich nochmal entschieden widersprechen: Die Berufung auf „music and vibrations“ ist bei Lamar, glaube ich, nicht Eskapismus – es geht um Musik oder Kultur allgemein als Medium der individuellen wie gesellschaftlichen Selbstvergewisserung. Es ist ja auch interessant, dass Lamar mit der Formulierung auf Tupacs Anrufung von Nat Turner antwortet: Er widerspricht Tupac nicht explizit, aber implizit – „Moment, es ist zu wenig, wenn wir eine gewalttätige und letztendlich sinnlose Revolte herbeiphantasieren, so sehr die heutigen Zustände auch den Verhältnissen um 1831 gleichen mögen, so sehr wir auch in einer Art Sklaverei gefangen sein mögen. Wir müssen uns verständigen über produktivere Haltungen, müssen unsere Situation analysieren und Verantwortung übernehmen.“
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