Re: Kendrick Lamar – To Pimp A Butterfly

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bullschuetz

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captain kiddSuche ja noch immer den von vielen gehörten subversiven oder wenigstens politischen Unterton auf dem Album. Natürlich gibt es eine Menge Andeutungen mit Rückbezug auf die afroamerikanische Geschichte – aber er scheut wirkliche „Antworten“.

Ich empfinde es als ganz große Stärke, dass dieses Album keine „Rezepte“, keine einfachen „Antworten“ anbietet – genau darin liegt seine politische Kraft, immer wieder Antworten auf den Kopf zu stellen, zu hinterfragen, aufzubrechen. Das ist eine große Suchbewegung quer durch die Geschichte, ein ständiges Ausloten, welche Rollenmodelle, welche Vorbilder, welche Verhaltensweisen tragen, ein Referenzgewitter, ein großes Ausprobieren, Verwerfen, Brechen, Hinterfragen von Modellen der Militanz bis zu Modellen der Gewaltlosigkeit, von Michael Jackson bis Nelson Mandela. Das jetzt Song für Song en Detail auszuführen, führte wirklich zu weit. Deshalb nur in Kürze ein kleines Beispiel: Die Art, wie Lamar die historisch-literarische Referenz Kunta Kinte nutzt, finde ich genial, er spielt da quasi doppelt über Bande.

Erster Dreh: Er selber erklärt sich zum „King Kunta“, kehrt also selbstbewusst und offensiv den Sklavenstatus in einen Adelstitel um. Das Prinzip, eine unterdrückende Fremdzuschreibung offensiv zu übernehmen und gerade dadurch zu überwinden, kennen wir natürlich schon lange in der schwarzen Kultur – das Vorbild ist hier die Art, wie das von Weißen verpasste Schmähwort „Nigger“ zur coolen, stolzen Selbstbeschreibung umgewidmet wurde.

Zweiter Dreh: Aber dabei bleibt Lamar nicht stehen. Postwendend problematisiert er genau diese Haltung schon wieder und deutet an, dass die Selbststilisierung zum „King Kunta“ auch eine neue Falle sein könnte, die doch wieder in eine Art Sklaverei führt. „Now I run the game, got the whole world talkin‘“, rappt Lamar, das klingt noch, als huldige er ungebrochen der “King Kunta”-Idee – aber im nächsten Moment kommt ein wirklich stupender Irritationseffekt: „Everybody wanna cut the legs off him.“ In Arthur Haleys “Roots” schlagen die Kopfjäger dem geflohenen und erwischten Kunta Kinte den Fuß ab – und genau diese Gefahr droht nun auch dem King Kunta. Aber von wem? Womöglich von den eigenen Leuten? Von all denen, die dem Platzhirsch, dem Mann, der das Spiel beherrscht und über den alle reden, den Rang ablaufen wollen? Und plötzlich steht hier die komplette kompetitive Haltung der ganzen HipHop-Kultur auf dem Prüfstand: Wenn jeder immer bloß der beste in der Szene sein will und permanent den Schwanzlängenvergleich betreibt – schlagen wir uns dann alle nicht letztlich gegenseitig die Füße ab und besorgen selber, ohne es zu bemerken, das Geschäft, das einst die weißen Sklavenjäger erledigt haben?

So dreht und wendet Lamar auf der ganzen Platte immer wieder Denkfiguren („I“ kann Egozentrik sein, aber auch Selbstannahme, Anklage gegen Rassismus kann bitte notwendig sein oder auch schwarze Heuchelei und und und – es wimmelt von solchen Ambivalenzen). Diese Nachdenklichkeit, dieses Zweifeln, dieses ständige Hinterfragen, das vor nichts haltmacht, kombiniert mit der spürbaren Sehnsucht nach Eindeutigkeit, nach sicheren Ufern, nach etwas, das trägt, nach Vorbildern, gangbaren Wegen, verschütteten und freilegbaren Modellen aus der Geschichte – das ist für mich durch und durch politisch, aber eben zum Glück nicht im Sinne von Agitprop, Slogan-Drescherei oder Patentrezept-Ausstellung.

Aber im Grunde wollte ich gar nicht so episch über ein einzelnes Detail eines einzelnen Textes reden, denn all das, was ich jetzt so umständlich zu verbalisieren versucht habe, diese Sensibilität im Umgang mit historischen Rückbezügen, diese Sehnsucht, daraus Funken für die Gegenwart zu schlagen, diese Sorgfalt und Liebe fürs Detail und nicht nur für den plakativen Effekt – das alles höre ich vor allem auch in der großartigen Musik. Wenn Kendrick im großen Schlussdialog (wo er Tupac als Lehrmeister würdigt, aber bei allem Respekt auch sanft hinterfragt) gegen die von Tupac beschworene Blutbad-Zukunftsvision „music and vibrations“ als „hope“ setzt, dann ist das für mich keine leere Phrase, sondern ein Resümee, das durch die ganze Musik davor ungeheuer überzeugend beglaubigt wird.

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