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In der aktuellen Melodie und Rhythmus schreibt Moshe Zuckermann, Kunsttheoretiker und Vertreter der Kritischen Theorie, in seiner Kolumne über „Atemlos durch die Nacht“. Seinem Gesamturteil kann ich mich anschließen:
Moshe ZuckermannVon der Musik darf hier geschwiegen werden. Solide Schlagermusik, nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Konfektionsprodukte dieser Art. Und singen kann sie ja, die Fischer. Nun ist der Song aber ein Megahit in Deutschland. Warum? Weil er genau das liefert, was die Voraussetzung für einen schlagernden Megahit heute wohl ausmacht: Effekte als Wirkung ohne Ursache, inhaltsloses Rumgereime, seichte Gefühlslagen euphorisch aufgebauscht, zusammenhangslose Dekoration als Formprinzip – und eben Existenzielles: Es geht ja immerhin um unzertrennliche Liebe bzw. um Unsterblichkeit, Ewigkeit – ach ja, und um „tausend Glücksgefühle“ auch. Von den megavielen, glücklich machenden Euros ganz zu schweigen.
Gegen seine Behandlung des Songtexts habe ich aber einen Einwand:
Moshe ZuckermannWenn man „heute ewig“, auch „unsterblich“ ist, zwar „atemlos“, dafür aber „schwindelfrei“, dann ist das nicht nur hanebüchener Blödsinn in Inhalt und Aussage, sondern so unbekümmert hingeschwafelt, dass selbst dem Texter sein eigener Mist nicht mehr geheuer ist, und er lässt „Ewigkeit“ und „Unsterblichkeit“ zum „großen Kino“ mutieren. Das könnte sogar subversiv sein, wenn es – und sei’s nur ein klein wenig – selbstironisch wäre. Ist es aber nicht.
Da möchte ich den Texter oder die Texterin doch ein wenig in Schutz nehmen: Ich glaube nicht, dass die lyrics hingeschwafelt sind; ich meine, da waren Profis am Werk, die wissen, was sie tun. Man greift in den großen Kasten mit den Klischees und demonstriert zugleich seine Distanz zu dem, was man da herauszieht: durch ein Paradox („Wir sind heute ewig„), durch Abschwächung („irgendwie unsterblich“) und durch die Schlüsselzeile „großes Kino für uns zwei“. Durch diese Distanzierung wird das Klischee konsumierbar – Kitsch geht besser runter, wenn man ihn ein bisschen verdünnt. Und zugleich ist sie inhaltlich interpretierbar: „Atemlos durch die Nacht“ besingt eine Stimmung, ein flüchtiges Gefühl, das ein Paar beim gemeinsamen Feiern vielleicht mal erleben kann. Wenn der „Film“ vorbei ist, wenn man also am nächsten Morgen verkatert aufwacht, wird man sich ganz anders fühlen; das weiß man auch, aber es ist egal, solange das Hochgefühl anhält. Diesen Song „angeheitert mitzuträllern“, ist seinem Inhalt angemessen. Die verlogene Zeile ist deshalb folgende: „Spür‘ was Liebe mit uns macht“. Um die Stimmung zu erzeugen, die hier de facto besungen wird, werden in der Regel auch Rauschmittel verwendet; Liebe allein reicht da nicht. Von Alkohol oder sonstigen Drogen ist aber nirgends die Rede und darf auch nicht die Rede sein, denn Helene Fischer macht „saubere Unterhaltung für die ganze Familie“.
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To Hell with Poverty