Re: "Handgemachte Musik" – Sinnvoller Begriff oder überholte Vorstellung?

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nicht_vom_forum

Registriert seit: 18.01.2009

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motörwolfSchon die erste Strophe weist doch in diese Richtung. Das lyrische Ich wird hier nicht etwa getrieben von der Sucht, Musik zu machen, notfalls auch um den Preis materiellen Armut, sondern es schläft bequem und geht Luxusartikel shoppen. Das gute Hotel mag ja noch durchgehen, aber Diamanten sind nun wirklich reiner Kommerz. Demgegenüber (wörtlich und bildlich) steht nun der ideale Künstler, der seine Musik „for free“, also gänzlich unkommerziell, auf den Markt bringt.

Hmm… Ich sehe allein aufgrund des Texts den Gegensatz „Kommerz-Künstler“ < -> „idealer Künster“ nicht als das vorherrschende Thema. Luxushotel, Limousine und Diamanten sind schließlich ab einem gewissen Erfolg genausowenig freie Wahl wie das Musizieren für das Kleingeld von Passanten, wenn man nur das wirklich gut kann (oder damit immer noch besser verdient als mit Kellnern).

In der zweiten Strophe geht es in ähnlicher Weise weiter. Zunächst besingt das lyrische ich das, was auf der eigenen Haben-Seite steht. Alles Dinge, die von Geld, Ruhm, Macht zeugen, also Produkten des Business. Kein Wort findet sich aber über die eigenen musikalischen Qualitäten, wohl aber der Hinweis, daß man ihre Musik kaufen kann. Dagegen steht wieder der Künstler, ohne Konzern im Rücken, aber mit musikalischer Qualität, die hier extra betont wird.

Das Fehlen des Hinweises auf die eigene Qualität sehe ich hier eher der Tatsache geschuldet, dass es als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird. Dass sich das lyrische Ich als künstlerisch mindestens gleichwertig sieht geht für mich schon daraus hervor, dass „maybe put on a harmony“ ernsthaft erwogen wird. Das spricht m. E. nicht für mangelndes Vertrauen in die eigenen künstlerischen Qualitäten. Allerdings sehe ich in der Strophe auch wieder den Gegensatz, dass ab einem gewissen Erfolg manche Dinge eben einfach nicht mehr möglich sind, die für andere zwingend sind. Was passiert, wenn erfolgreiche Künstler versuchen, überraschend und „einfach so“ aufzutreten (und das dass nicht so einfach ohne „Nebenwirkungen“ funktioniert) kann man ja z. B. am Beatles-Rooftop-Concert sehen.

In der letzten Strophe dann der Hinweis darauf, wie weit das Business (hier das TV) schon dafür gesorgt hat, das musikalische Qualität gar nicht mehr wahrgenommen wird, geschweige denn honoriert. Und selbst das lyrische Ich, das in einem Hellen Moment bemerkt, das da etwas nicht stimmt, ändert letztlich nichts, es geht weiter, als die Ampel grün wird. Eine Berührung zwischen der Kunst und dem Kommerz findet also nicht statt.

Den ersten Teil sehe ich genauso, beim zweiten würde ich aber statt „Kunst vs. Kommerz“ eher „High Art vs. Street Art“ als relevantes Gegensatzpaar sehen.

Letztlich müsste man wohl aber Mitchell selbst fragen, Deine Interpretation ist m. E. in sich durchaus auch schlüssig.

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