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motörwolfWäre die Position des Sängers nicht deckungsgleich mit der des lyrischen Ichs, würde man dies deutlicher spüren.
Wünschst Du Dir das wirklich? Ich denke, genau das Gegenteil ist richtig: Je empathischer sich ein Autor in die Rolle eines „Ichs“ hineinversetzt (egal, ob es sich um einen gebrochenen alten Mann handelt, der früher alles besser fand, oder um einen Serienmörder), desto besser. Lausig wäre ein Songwriter, der sagen würde: Ich schlüpfe jetzt zwar mal in eine bestimmte Ich-Rolle, aber keine Sorge, ich mach das natürlich nicht richtig, ich pass schon auf, dass Ihr mich nicht mit diesem blöden Rollen-Ich verwechselt, ich will ja nicht, dass Ihr mich für einen gebrochenen alten Mann oder einen Serienmörder haltet, ich will, dass Ihr nicht schlecht von mir denkt …
Genau das ist doch der Witz bei Randy Newmans besten Songs: Er sagt nicht, ich tue jetzt nur mal so, als ob ich Südstaatler-Spießer verstehen könnte, aber in Wahrheit verschwöre ich mich natürlich augenzwinkernd mit meinem hippen intellektuellen New Yorker Publikum – alles nur Südstaatler-Verarsche! Nichts da, er bringt in „Rednecks“ genau die Heucheleien und Verlogenheiten der sich intellektuell und moralisch überlegen fühlenden Nordstaatler auf den Punkt, er irritiert moralische Gewissheiten, er stößt diejenigen vor den Kopf, die von einem „guten Song“ immer nur erwarten, dass er ihre eigenen Standpunkte bestätigt und stützt. Das ist Newmans große Kunst!
Aber ich versteh natürlich das Problem bei Mey: Während Newman gewohnheitsmäßig in Rollen schlüpft, wirkt Mey als Bühnenfigur, als öffentliche Person, so, dass man geneigt ist, zu sagen – der meint das alles selber genau so, wie er es in „handgemachte Musik“ singt. Nun gut, das mag ja sein. Dann ist er ein reaktionärer Spießer – und sein Song klüger als er selbst.
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