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bullschuetz
Und ich habe die Stelle markiert, an der die im Lied dargestellte Position offenkundig gebrochen wird: Das lyrische „Ich“ dieses Textes kommt nichtmal mit dem Entwerter im Bus klar!…
Für mich jedenfalls fügt der Mey-Text der ganzen „handgemacht“-Debatte eine interessante Dimension hinzu: Es geht hier offenkundig auch um Altersfragen, es geht um das Gefühl jeder alternden Generation, irgendwann nicht mehr mitzukommen, den Anschluss zu verlieren, aus dem Hamsterrad ausbrechen zu wollen, nicht immer diesen ständigen Weiterentwicklungsdogmen, Selbstoptimierungsnormen, wie sie zum Beispiel am Arbeitsplatz eingefordert werden, hinterherhecheln zu müssen.
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Wenn Menschen über 50 von „handgemachter Musik“ schwärmen, kann ich das emotional total verstehen – wenn Menschen mit 20 oder 30 Jahren auf „handgemachte Musik“ schwören, wittere ich da eine ungute Gegenwartsverweigerung, eine reaktionäre Unlust, sich auf die ästhetischen Möglichkeiten der Jetztzeit einzulassen.
Ich finde 50 zwar auch nicht alt genug, um schon reaktionäre Tendenzen zu zeigen, aber Mey war als er dieses Lied veröffentlicht hat gerade mal Anfang vierzig. Da hoffe ich, dass er das für sich nicht tatsächlich so sah und dann nur leicht überspitzt hat. Ob das Stück dann letztendlich allerdings Ironie (ich denke nicht) oder Anbiederung beim Publikum sein soll, finde ich eine schwierige Entscheidung.
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Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away. Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick