Re: "Handgemachte Musik" – Sinnvoller Begriff oder überholte Vorstellung?

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sorbistan

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MarBeckDer DDR-Bezug scheint ja schon wieder aus dem Fokus der Diskussion zu sein, aber ich möchte noch eine regionale Verortung der „Blueser“-Szene nachtragen. Aus dem o.g. Buch:

„Anders verhielt es sich mit den Protagonisten des Blues. Sie konzentrierten ihre Auftritte im ländlichen Süden der Republik, unterhalb einer imaginären Szene-Grenze, die etwa zwischen Leipzig und Cottbus verlief.“

Ich weiß nicht, wo pumafreddy, sorbistan u.a. aufgewachsen sind, aber vielleicht können die dazu mehr sagen.

Obwohl ich südlich dieser Linie (in der Nähe von Hoyerswerda) aufwuchs, kann ich wenig Erquickliches dazu beitragen, auch weil ich einen Tick zu jung für die in den späten 60ern einsetzende Entwicklung bin. Vom Vernehmen nach hatte die Blues-Szene ihre Zentren in Thüringen und im Leipziger Raum. Dass Konzerte hauptsächlich auf dem Dorf stattfanden, ist richtig. Schließlich gab es dort nur einen ABV, dem die von offizieller Seite verordnete 50/50-Regel völlig Apfel (im Westen: Banane) war. In meiner Gegend gab es solche Konzerte eher selten, kann mich nur an eins am Nachmittag von Stefan Diestelmann erinnern, der die geplante Abendveranstaltung wegen Trunkenheit absagen musste. Ein Problem war auch, dass in unserer Gegend kein Westfernsehen oder -radio möglich war, trotz aller abenteuerlichen Antennenkonstruktionen, die die Dächer der Plattenbauten in einen wirren Wald aus Metall kleideten. Das hat mit Sicherheit in dieser Region auch die Gründung von Bands behindert, da einfach die Vorbilder fehlten.
Ich war im letzten Jahr auf einer recht putzigen Veranstaltung hier in Greifswald. Da spielte eine in den 70ern gegründete Band ein Jubiläumskonzert in einer kleinen Kneipe vor ca. 80 Leuten. Die gleiche Setlist wie im letzten Jahrtausend, von Lords bis CCR, originalgetreu gespielt mit ziemlich schrägen Kostümen, die gleichen Gäste, der gleiche Dresscode wie damals. Sehr amüsant, sehr familiär, klasse Stimmung. Man kennt sich.

Interessant vielleicht, dass jene Musik, die für uns zum Soundtrack der Wende wurde, deren Werdegang ich bei Bands wie Sandow, Feeling B oder Die Firma hoppingmäßig begleitete, ebenso auf den Dörfern im Rahmen kleiner Konzerte ihren Ursprung nahm. Erst gegen 1987/88, als die DDR-Führung dieser Entwicklung der offen oder versteckt an den Tag gelegten Systemkritik nichts mehr entgegenzusetzen hatte (wollte), Amiga eine erste Compilation veröffentlichte, sich Radiosendungen wie das fantastische „Parocktikum“ etablierten, fanden die in den Städten auch ein größeres Publikum. Vorher lief das ähnlich wie bei den Bluesern in den 70ern nur über Hören und Weitersagen.

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