Re: "Handgemachte Musik" – Sinnvoller Begriff oder überholte Vorstellung?

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bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

Beiträge: 2,238

Herzlichen Dank für den Hinweis auf das Mey-Lied! Man muss aber glaube ich den ganzen Liedtext anschauen, und dann haben wir womöglich wahrhaftig sowas beieinander wie eine lyrische Definition des Weltbildes, des Lebensgefühls und des Emotionenbündels, das sich in dem Begriff „handgemachte Musik“ verdichtet: „Handgemacht“ drückt eine nostalgische Sehnsucht aus und Zweifel am Entwicklungsweg, den unsere Zivilisation nimmt, einen Verlustschmerz beim Rückblick auf eine Zeit, in der es noch „menschlich“, nicht so schnell und nicht so kompliziert zuging.

Was ich toll an dem Lied finde: Man kann es problemlos wörtlich nehmen, dann ist es eine recht populistische Ranschmeiße an verbreitete „Früher war alles besser“-Sehnsüchte, zum Teil mit ziemlich reaktionärem Polemik-Vokabular austapeziert („Steckdosenmusik“, „Plastikgefühle“) – es schwingt darin aber auch eine deutlich ironische Brechung mit nach dem Motto: Wenn ich alter Sack mal wieder merke, dass ich in der modernen Zeit einfach nicht mehr recht mitkomme, wie weit ich mittlerweile schon abgehängt bin, wie tölpelhaft ich mich jetzt oft schon anstelle (ich kann ja noch nichtmal sowas Strunzeinfaches wie einen Entwerterautomaten im Bus bedienen, geschweigedenn den Einschaltknopf bei meiner Hifi-Anlage finden), dann hilft mir der nostalgische Trost durch gute alte Handmusik. Vielleicht ist das sogar Rollen-Lyrik – Mey versetzt sich in ein Ich, das altert, das nicht mehr Schritt hält mit der Dynamik der modernen Zeit und der permanenten technischen Weiterentwicklung und sich deshalb flüchtet in wütend-wehmütige „Handgemacht“-Träumereien. Aber selbst, wenn Mey das persönlich genau so meint, ist der Text jedenfalls ein beredtes Zeugnis für die Gefühle, die sich an das Ideal der „Handgemachtheit“ anschmiegen.

Zur Blütezeit der Fast-Food-Zivilisation,
Der Einheitsmeinung, der Geschmacksautomation,
Der Plastikgefühle und der High-Tech-Lust,
Der Wegwerfbeziehung mit dem Einweg-Frust,
Zur Zeit der Fertigträume aus der Traumfabrik,
Der Micky-Maus-Kultur und der Steckdosenmusik,

Da lob‘ ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht,
Noch von einem richt‘gen Menschen mit dem Kopf erdacht,
‘ne Gitarre, die nur so wie ‘ne Gitarre klingt,
Und ‘ne Stimme, die sich anhört, als ob da jemand singt.
Halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut,
Meinetwegen auch mal mit ‘nem kleinen Fehler, das tut gut,
Das geht los und funktioniert immer und überall,
Auch am Ende der Welt, bei Nacht und Stromausfall!

Wenn der große, wilde Rock‘n Roller rockt und rollt,
Mit der Wahnsinnslasershow über die Bühne tollt,
Wenn die Lautsprecher dröhnen und das Hallendach schwingt,
Daß mir der Bruch raustritt und die Brille springt,
Dann denk‘ ich d‘ran, daß, wenn jetzt jemand an der Sich‘rung dreht,
Der Rockstar mucksmäuschenstill, lammfromm und im Dustern steht.

Da lob ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht,
noch von einem richt’gen Menschen mit dem Kopf erdacht.
’ne Gitarre die noch wie eine Gitarre klingt
und ’ne Stimme die sich anhört als ob da einer singt.
Halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut,
meinetwegen auch mal mit ’nem kleinen Fehler, das tut gut.
Das geht los und funktioniert immer und überall,
auch am Ende der Welt, bei Nacht und Stromausfall.

Wenn ich den Selbstentwerter im Omnibus
Nicht bedienen kann und wieder schwarzfahr‘n muß,
Wenn die Wasserwerke mir den Hahn zudreh‘n,
Weil ich‘s nicht lerne, die Computerrechnung zu versteh‘n,
Wenn ich einseh‘n muß, ich krieg‘ den HiFi-Turm nicht an,
Weil ich die Einschaltautomatik nun mal nicht einschalten kann,

Da lob ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht,
noch von einem richt’gen Menschen mit dem Kopf erdacht.
’ne Gitarre die noch wie eine Gitarre klingt
und ’ne Stimme die sich anhört als ob da einer singt.
Halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut,
meinetwegen auch mal mit ’nem kleinen Fehler, das tut gut.
Das geht los und funktioniert immer und überall,
auch am Ende der Welt, bei Nacht und Stromausfall.

Bis zum Tag, an dem man mich wegrationalisiert,
Oder als nicht programmierbar einfach aussortiert,
Wenn der große Rechner kommt und alles überwacht,
Meine Vorlieben und Macken voll erfaßbar macht,
Auch wenn ich schon ganz und gar maschinenlesbar bin
Mit ‘nem Balkencode am Schniedel und ‘ner Prüfziffer am Kinn.

Da lob ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht,
noch von einem richt’gen Menschen mit dem Kopf erdacht.
’ne Gitarre die noch wie eine Gitarre klingt
und ’ne Stimme die sich anhört als ob da einer singt.
Halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut,
meinetwegen auch mal mit ’nem kleinen Fehler, das tut gut.
Das geht los und funktioniert immer und überall,
auch am Ende der Welt, bei Nacht und Stromausfall.

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