Re: Haftbefehl – Russisch Roulette

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irrlicht
Nihil

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Der Text ist zwar relativ doof, aber witzig, dass auch spiegel.online mit ins Boot springt. Zum Thema Boot: Köstlich finde ich ja, dass in einem der Remixe zu „Saudi Arabi Money Rich“ auch Sido und Samy Deluxe ein paar Verse beisteuern. Muss mir das Album jetzt wohl echt noch bald zulegen.

Haftbefehl – „Russisch Roulette“
(Universal, seit 28. November)

Jedes Jahr hat seine paar Platten, in denen es sich spiegelt. Die Alben, entlang derer man sich einmal erinnern wird, was so war in diesen zwölf Monaten. Dieses Jahr musste man warten auf das entsprechende Werk, aber nun, kurz vor Schluss, ist es da: „Russisch Roulette“, das vierte Album des Offenbacher Straßenrappers Haftbefehl. Es ist eine harte Platte. „Ihr Hurensöhne!“ blafft einen gleich das erste Stück an, und so geht es weiter. Dies ist keine Musik für das positive mood enhancement, hier wird geschrien und geflucht.

Was hat Haftbefehl, was etwa Kollegah oder Bushido fehlt? Er ist echt. Natürlich ist er genauso eine Kunstfigur wie seine beiden Konkurrenten. Doch das lyrische Ich des Offenbacher Ex-Dealers Aykut Anhan ist so vielschichtig, wie man es in einer eigentlich durchformatierten Musik wie Gangsta-Rap eben sein kann. Wütend, traurig, triumphierend, gebrochen. He’s such a Mensch, würde man in New York wohl sagen.

„Russisch Roulette“ erzählt die Geschichte von Haftbefehl alias Aykut Anhan in 14 Stücken. Es geht um die großen Themen: Leben, Tod, Schicksal. Von dem gefährlichen wie supereuphorischen Überschwang des Straßenlebens („Lass die Affen aus’m Zoo“), um den Drogendealerreichtum und die Tricks, wie er sich weiter mehren lässt („Saudi Arabi Money Rich“). Um den dazugehörigen Lebensstil („Ich rolle mit meim Besten“) und das Gefühl, alles könnte in einem Augenblick wieder vorbei sein („Russisch Roulette“). Haftbefehl erzählt vom Crackkochen („Schmeiß den Gasherd an“), vom Gangsta-Fatalismus („Azzlacks sterben jung“), von seinem feuchten Traum („Anna Kournikova“), davon, dass das Geld dreckig ist, das er so verdient („Haram Para“), und er immer noch eine Seele hat („Seele“). Dazwischen gibt es drei Stücke („1999 Pt. I – III“), die diese Biografie an den Tag bindet, an dem der Vater des Erzählers Selbstmord begeht und dieser Schock ihn aus der Bahn wirft. Ein Album wie ein Epos: Der Protagonist wird hineingeworfen ins Leben, von den Umständen durch die Mangel gedreht, und am Ende kann er, klüger geworden und geläutert, davon erzählen, wie er davongekommen ist.

Das Sprachgewirr, das seine Stücke bisher prägte, das polyglotte Durcheinander des Offenbacher Straßentalks, hat Haftbefehl etwas zurückgenommen zugunsten deutscher Verständlichkeit. „Russisch Roulette“ ist auch nicht so breitreifig aufgenommen wie etwa das Vorgänger-Album „Blockplatin“. Es ist schlank, ökonomisch, muskulös. Aufgenommen von einem Künstler, der genau weiß, was er zu sagen hat, warum und vor allem: wie.

Es hat in diesem Jahr eine Menge sehr guter (und erfolgreicher!) deutschsprachiger Rap-Alben gegeben. HipHop ist die neue deutsche Volksmusik. Aber keines kommt an „Russisch Roulette“ heran. Warum lieben eigentlich alle den Offenbacher Rapper Haftbefehl? Die Feuilletons, das HipHop-Publikum und alle dazwischen, Deutschland? Weil er im Augenblick der Beste ist. Ganz einfach. (9.5) Tobias Rapp

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Hold on Magnolia to that great highway moon