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BellamyEs scheint mir da zwei Hörerschichten zu geben: zum einen die 18jährigen Möchtegerngangsta, die sich mit dem gerappten tatsächlich identifizieren können, die tatsächlich zu Gewalt neigen und zum anderen die – ich kann’s nicht anders sagen – Hipster. Hm.
Ich fühle mich da von Beidem nicht angesprochen. Im Gegenteil.
Mal ausformuliert: Zuerst ist die Tatsache wichtig, dass derlei Texte eben nicht auf „Fickt euch alle, ihr Hurensöhne!“ zu reduzieren sind, sondern das zahlreiche Ketten und Punchlines doch gerade duch ihre Finesse, Stilbrechung und auch ihren Witz erst interessant werden. Ich weiß nicht, wie weit Du bspw. Battlerap verfolgst, aber vielleicht hilft da mal ein wenig Recherche, etwa in Bezug auf „Rap am Mittwoch“, „Feuer über Deutschland“ (übrigens von Kool Savas mitunter ins Leben gerufen), diversen Freestyle-Battles und ähnlichen Plattformen, wo Einzelrapper und Städte zusammenkommen, um sich gegenseitig mit den verrücktesten „Wie“-Vergleichen, Slangs und rasierenden Lines zu zerstückeln – aber eben auf eine alles andere als „gewaltverherrlichende“ Art und Weise, sondern oft im gegenseitigem Respekt voreinander und vor der Kunst der Sprache. Und gerade dort ist das „Komplettassiniveau“ eben auch Teil des Komplexes – während plumpe „Ich kill Deine Mutter“-Lines keinen wirklichen Lacher mehr bringen. Wenn man nicht verbissen auf Tradtionsbewusstsein pocht und Gangstashit nur akzeptiert, wenn er aus der Küstenfruchtblase geschlüpft ist, kann man sich auch einfach an Kreation und Witz, an Technik und Komplexität, an Doubletime und Punchlines, an vielseitigen Reimschemata und gutem Flow, an aberwitzigen Vergleichen und grotesken Vermischungen aus Poesie und Gossenslang erfreuen – so geht es mir jedenfalls. Wenn ich ein Bushido oder Celo & Abdi Album höre, habe ich andere Richtwerte, als wenn sich ein Werk von The Roots in der Anlage dreht. Ich finde, es muss gar nicht ständig um Identifikationspotential gehen, manchmal unterhälts mich auch einfach nur gut. Oder mich kickt der Beat sofort und der Text ist mir völlig egal. Und es ist auch interessant zu verfolgen, wie sich die Szene in den letzten Jahren entwickelt hat, wie sich auch Sprache verändert, wie gerade bei Haftbefehl zahlreiche Einflüsse zusammengepresst sind und es dafür offensichtlich dennoch eine ausgeprägte Klientel an Anhängern gibt.
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Hold on Magnolia to that great highway moon