Re: Heinz Rudolf Kunze

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Kleine Rezi:

Wenn das neue Album von HRK und Verstärkung schwach wäre, lieferte die grandiose Schlussnummer „Es wird ein gutes Leben“ den sprichwörtlichen versöhnlichen Abschluß.
Auf „Stein vom Himmel“ erfüllt der Song aber mehr die Funktion eines I-Tüpfelchens. Versöhnung braucht am Ende der Platte niemand.

Es brennt wieder. Und deshalb macht eine Besprechung zum neuen HRK-Album ungefähr soviel Spaß, wie bei „Hier rein, da raus“, auch wenn solche Vergleiche natürlich hinken. Zu unterschiedlich sind Arbeitsweise und Zutaten. Aber fangen wir vorn an.
Ausgangsbasis der Verstärkung, die diesmal ohne Jörg Sander auskommt (wunderbar aufgefangen von Zoran Grujovski), der sich bis 2015 ausklinken will, war mit „Die Gunst der Stunde“ ein Album, von dem schon früh offensichtlich war, dass es einen Wendepunkt darstellen würde. Zu seicht kam es daher, zu unverbindlich war es getextet, und mit viel zu viel Zuckerguß war es produziert. Dazu mit „Hunderttausend Rosen“ eine Single, die dem Kernklientel der Ariola gefährlich nahe kam. Wer Heinz ein bißchen kennt, dem war schnell klar, dass DGDS nicht das Album war, mit dem er auf Dauer gut leben kann. Zu eng war das Korsett, dass der Platte den Atem nahm.

Wie glattgebügelt DGDS produziert war, stellte der Stammhörer dann auch auf der Tour fest, wo zahlreiche Songs unter Zuhilfenahme von Spielfreude und schweißtropfendem Charme kaum wiederzuerkennen waren.
Die Sonnendurchflutung, die DGDS zudem abbekommen hatte, war aus heutiger Sicht übrigens weniger ein Problem. Auch auf „Stein vom Himmel“ läuft Heinz nicht mit der Abrissbirne durch die Gegend. Jedenfalls nicht nur. Aber dafür haben die Songs ganz viel frischen Wind abbekommen. Und damit kommen wir langsam zum Thema. Heinz hat sich wieder seiner Kernkompetenz zugewandt und der Stellschraube seiner Ausrichtung eine kräftigen Drehung in die entgegengesetzte Richtung versetzt.

„SvH“ ist keinesfalls das völlige Gegenteil des Vorgängers, aber die Besinnung auf Selbstbewußtsein und Lebendigkeit. Die Songs atmen. Sie haben wieder die wunderbare Tiefe früherer Zeiten. Sie verschaffen Gänsehaut. Und sie ergeben ein stimmiges Bild. Zum Beispiel wird nicht eine Nummer ausgeblendet.

Vermutlich wurde lange nicht mehr so wenig in ein HRK-Album reingeredet, was sicher auch daran lag, dass Heinz bereits eine aufwendige Vorproduktion mit Peter Pichl gemacht hatte, und deshalb bereits mit ausgearbeiteten Ideen auf der Matte stand, die die anderen Beteiligten überzeugen konnten. Keine runden Tische, an denen ellenlang Zettel umhergeschoben wurden. Keine Quotendebatten um Komponistenanteile.
Übrigens hat Heinz zwölf der vierzehn Titel komplett geschrieben, ungewöhnlich viel für ein Band-Album, und günstig für den roten Faden. Und den macht vor allem der tolle Klang der Platte aus. Frisch wie gerade auf der Bühne mitgeschnitten, aber trotzdem bis ins Detail ausgefuchst.

Dazu kommt, dass der Wechsel innerhalb des Hauses Sony von der Ariola zum wiederbelebten RCA-Label einen Strich unter den Versuch der Segmentierungsfanatiker gemacht haben dürfte, Kunze gegen jede Vernunft doch noch irgendwie ins Schlagersegment drücken zu wollen. Es war also alles erlaubt. Und es entstand beim Produktions-Trio ein Gespür dafür, wie man einen unbekümmerten Kunze anlegt, dem man nicht aus allen Richtungen Kompromisse zuflüstert. Selbstvertrauen entsteht, wenn man nicht Alles in Frage stellt. Und da war „Hier rei, da raus“ natürlich ein guter Lehrmeister.

Der Opener rockt gleich mal mit ungeschliffener Oberfächenstruktur durch die Decke. Ungefähr so, wie „Himmelfahrtskommando“ seinerzeit in „Rückenwind“ hineinbrach, welches ja auch so eine Art Aufbruchalbum war. „Europas Sohn“ thematisiert mit tiefem, fast drohendem Gesang das gefährliche Spiel taktisch operierender Europakritiker, lotet dann aber auch patriotische Grauzonen aus. Letztlich bekommt der Hörer lediglich die Empfehlung, etwas differenzierter zu sondieren, bevor er Parolen nachquatscht. Der Song hat keinen Refrain, aber herrlich schräge Breaks, die auf DGDS undenkbar gewesen wären.

„Das Leben nehmen“ ist eine weitgehend autobiographische Nummer mit viel Wortwitz, die mich irgendwie ein bißchen an „Menschen gehen auf“ andocken läßt, was bitte niemand zu ernst nehmen mag. Erklären kann ich das nicht.
Zum ersten Mal erleben wir in diesem Song die neue Leichtigkeit. Obwohl durchgetüftelt und auf den Punkt produziert, klingt es fast wie live gespielt. Kein Instrument drängt sich in den Vordergrund. Vor allem die Keyboards laufen so herrlich dezent durch, dass sie den Song tragen können ohne an irgendetwas zu kleben.
Apropos Keyboards, hier können wir jeweils raten wer da überhaupt am Werk war. Denn neben dem Referenztastenmann Matthias Ulmer zeichnen auch Goran, Jens und Heinz für verschiedene Arten von Tasten verantwortlich.

Die Single „Hallo Himmel“ ist eingängig und kraftvoll, wirkt dabei aber nicht konstruiert oder kalkuliert. Über den sonderbaren Text mit der erst bei sehr genauem Hinhören erfassten Message hatte ich ja an anderer Stelle schon referiert. Wer da jetzt nicht so genau hinhört, wird die Lyrics vermutlich als völlig durchgeknallt wahrnehmen. Eine Zeile wie „Hallo Himmel, ich hab dir etwas Erde mitgebracht“, bleibt zweifellos haften. Die Chöre sind gewöhnungsbedürftig weil recht prägnant, aber gut gemacht.

„Der Clown schreit Feuer“, der kürzeste Song, braucht ein paar Durchgänge. Die Nummer grooved wie die Sau, ist aber mit einer recht einfachen Melodie ausgestattet. Und natürlich ist auch hier, wie so oft der Clown der Dumme, der so ausschließlich auf Unterhaltung festgelegt wird, dass niemand das Unheil erkennt, welches er eigentlich mitteilen wollte. Gastgitarrist Peter Weihe spielt übrigens ein völlig abgefahrens Solo und war hinterher einigermaßen erstaunt, dass man es tatsächlich so auch verwendete.

Die erste Ballade des Albums muss man in ihrer schlichten Schönheit erstmal zulassen, zumal der Titel „Komm kleine Fee“ durchaus ein Kinderlied ankündigen könnte. Aber das täuscht gewaltig. Die Lyrics sind großartig, der Song entfaltet sich im Refrain unter das ganze Himmelszelt. So schön hätte „Eisfrei“ vermutlich auch werden können, wenn man es nicht produktionstechnisch versenkt hätte.

„Küsse unterm Kleid“ kommt mit tollem Intro daher wie ein besonders gut gealterter Songs aus dem „Wunderkinder-Album. Herrlich nostalgisch. Und wenn Heinz fragt „Gibst Du mir noch einmal eine Chance?“ ist es wie die Frage an die zahlreichen Fans aus der Zeit der großen Hallen.

„Schämt ihr euch nicht“ ist der nächste schroffe Gitarrentrocker, dessen Thematik zu erwarten war, aber in der lyrischen Umsetzung nicht die ganz feine Klinge bevorzugt. Erinnert mich an „Talk Show Schmutz“, ist musikalisch aber gefälliger. Die Botschaft allerdings mutet an wie eine verpaßte Chance, weil ein bißchen oberflächlich vermittelt. Ein wütender Kunze, aber mit stumpfen Waffen. Der geile, aber leider ein bißchen kurz geratene instrumentale Mittelteil sollte bitte in der Liveumsetzung auf die Reise gehen.
Da Christian Wulff übrigens nicht namentlich erwähnt wird, und Heinz auch Wert auf die Feststellung legt, dass die Nummer auf viele Leute paßt, widme ich ihn jetzt mal Peer Steinbrück.

Die zweite Ballade ist das Titelstück. Klaviergetragen, streicherunterstützt, in der Tradition von „Ich habs versucht“ zeigt Heinz hier mit lang gehaltenen Tönen im oberen Segment, dass er nach wie vor (bzw. mehr denn je) außergewöhnliches Gesangstalent besitzt. Eine der Nummern, die mit kleinem Besteck und wenig Licht auch in großen Hallen das gesamte Volumen ausfüllen. Innovativ ist der Song jetzt nicht gerade, aber das war auch nicht der Plan.

„Die Wahrheit eines Sieges“ ordne ich mal als letzten Teil einer Triologie ein, deren andere Bestandteile „Stirnenfuss“ und „Woran man mit mir war“ darstellten. Der Song läuft einige Zeit als Einzelkämpferstück durch, und bekommt mit zunehmender Dauer immer mehr Folk, Eigentlich die irischste Nummer, aber tatsächlich gar nicht auf der Insel aufgenommen.
Als Einzelkunstwerk vielleicht die eindrucksvollste Nummer, weil mit dem größten Ideenreichtum ausgestattet.

„Weltweit Feuer frei“ ist der Song für die Telefon-Warteschleife im Hause Heckler & Koch. Natürlich aggressiv und laut vorgetragen, und mit beißendem Sarkasmus garniert. Im Gegensatz zu „Schämt Ihr euch nicht“ paßt hier jeder Satz. Die Argumente der Wehrtechnikproduzenten fliegen wie Hohn durch den bretternden Song. Diesmal überrascht, anders als in „Schämt ihr euch nicht“ ein dezenter Mittelteil.

Dann kommt mein Favorit. Eine Traumballade, die sich selbstständig macht. „Das Glück auf deiner Seite“ hat Jens Carstens geschrieben, und zusammen mit einem großartigen Text über Zuneigung und Vertrauen (ja, auch Liebe) ist daraus ein erschütternd großer Song geworden. Zunächst von akustischer Gitarre, dezent gestrichenen Keyboards und zurückhaltenden Drums flankiert, läuft der Song in einen grandiosen Refrain, dessen Clou eine unterstützende Mandoline ist (hoffentlich ist es überhaupt eine Mandoline, es wurde albumweit deutlich hörbar, und mehr als sonst, mit Effekten experimentiert). Eigentlich funzt die Nummer schon beim ersten Mal, wächst dann aber mit jedem Durchgang weiter. Könnte mit etwas Abstand in die TOP3 meiner HRK-Balladen einziehen.
Wirklich ein Traum.

Die nächste Nummer kennen wir schon. Sie sollte eigentlich bei KuK ausgespart werden, um für dieses Album aufgehoben zu werden, und erschien dann doch auf „Uns fragt ja keiner“. Ich war eigentlich der Meinung, den netten, aber unspektakulären Song nicht auf dem Album zu brauchen, aber in einem stark veränderten Gewandt. Die verzweifelte Betroffenheit der Kuk-Version verwandelt sich nämlich hier in einen durchaus verschmitzen Song mit viel mehr Oberwasser. Die Chöre sind fast schon frech.

„Erwarte wenig“ ist ein philosophischer Exkurs mit ebenfalls irischem Einschlag. Entrückte Entspannung und ruppige Rastlosigkeit geben sich hier die Klinke in die Hand, und wer mit dem Namen Mark Aurel nichts anfangen kann, dem Text aber gern auf den Grund gehen möchte, kann sich googelnderweise schon mal einlesen. Der instrumentale Ausgang des Songs würde auch wunderbar ins Räuberzivil-Programm passen, und ist leider zu kurz geraten.

Zum Schluss gibt es meinen zweiten Favoriten, der eigentlich auch eine schöne Single wäre. Der Text von „Es wird ein gutes Leben“ dokumentiert mal wieder die HRK-spezifische Stärke, aus ganz und gar ungewöhnlichen Positionen heraus zu erzählen. In diesem Fall trägt ein Embryo vor, warum er die Chancen seiner prvilegierten Herkunft und Umgebung nutzen will. Abgefahren und schön nachdenklich machend. Und eigentlich auch ein Soundtrack zu den Bildern rund um Lampedusa.

Die beiden Bonus-Titel lasse ich jetzt mal mit Absicht weg. Zum Einen bin ich grad zu faul, zum Anderen passen sie nicht so recht zum eigentlichen Album und sind deshalb zu Recht Bonussongs. Und damit sind wir durch. Und zwar ohne zwiespältiges Gefühl hinsichtlich eines weiteren Durchgangs.

Erhältlich übrigens als Box-Version mit Kunstdruck, als CD/DVD und als CD. Vinyl scheint es diesmal nicht zu geben, obwohl es angedacht war.

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