Re: Heinz Rudolf Kunze

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alberto

Registriert seit: 04.12.2007

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Close to the edgeDas ist jetzt wieder eine ganz andere Kiste. Dem besonderen Charme der frühen Alben mit Mick Franke habe ich auch nachgetrauert. Aber der WEA-Vertrag ging über 5 Studioalben (und die erste Liveplatte), und wäre ohne den kommerziellen Durchbruch durch „Herz“ kaum verlängert worden. Heiner Lürig hatte also quasi den klaren Auftrag Charteinzug und größere Hallen, und diesen hat er glänzend erfüllt. Für viele war das aber tatsächlich Integritätsverlust. Aber die Schnittstelle lag zwischen Franke und Lürig, während Du schriebst, Du hättest den Integritätsverlust mit „Einer für Alle“ wahrgenommen. Und das ist unlogisch, weil die Anbindung an die schrägen frühen Sachen da ja langsam zurückkehrte. „Schutt und Asche“ z.B. ist so integerer Kunze-Song, mehr geht gar nicht. Auf „Herz“ oder „Wunderkinder“ wäre so ein Song undenkbar gewesen.

HRK kam damals ja in einen unlösbaren Konflikt, an dem ständig rumbalanciert wurde. Einerseits schmeichelte ihm der Erfolg, die Goldenen Schallplatten, die vollen großen Hallen sehr. Aber künstlerisch war das nicht mehr das, was er eigentlich machen wollte. Der Erfolg war ein grißes Mißverständnis. Heinz wollte nicht nur Erfolg, sondern er wollte ihn künstlerisch unabhängig, mit dem zeug das er gerne gemacht hätte. Und so begannen die Grabenkämpfe mit Heiner, wieviel schräges Zeug ein Album verträgt. Lürig ist zwar auch ein Vollblutmusiker, der auf Tour für manches Experiment zu haben war, aber er war als Produzent eben auch der Kaufmann. Und als solcher das Regulativ für Alben, die die immer höher werdenden Kosten (Stichwort Rumour Brass) auch einspielen konnten.

Bis hin zu „Macht Musik“ ging das voll auf. Dann folgte eine längere Pause und ein Album, dass nach langer Zeit mal wieder weitgehend nach HRK´s Vorstellungen aufgenommen wurde. „Richter-Skala“, Kunze´s eigentlich beste Platte, die auch Lürig´s Lieblingsalbum ist. Konsequenterweise sorgte eben dieses Album für den Karriereknick. Die Mitte der 80er hinzugewonnen Mainstreamfreunde wanderten nämlich entsetzt ab zu den aufstrebenden Pur und waren fortan nicht mehr gesehen.

„Einer für alle“ war insofern ein Knick, als die Texte weniger politisch waren, als bei den beiden Vorgängern.

Ich habe in Kunze zuerst eine Art Liedermacher gesehen, bei dem auch die Post abgehen darf.

Seine protestantischen Selbstkasteiungen aus der Frühphase waren nie mein Ding.

„Schräg“ in textlicher Hinsicht bedeutete für Kunze ab den 90ern nur, mit Metaphern überflutete Stücke zu schreiben, die außer ihm selbst wahrscheinlich niemand entschlüsseln kann.

Geradeaus und doch feingeschliffen wie auf „Herz“ und „Wunderkinder“ wurde er textlich nie wieder.

Ich bin sicher, dass viele, die sich mit der Zeit von ihm abgewendet haben, nicht zu Pur oder später Xavier Naidoo gewechselt sind, sondern bei anderen mitteilungsbedürftigen Deutschrockern hängengeblieben sind.

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