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Und was ist Ihnen peinlich?
– Fotos von mir mit offenem Mund.
Heinz Rudolf Kunze – Draufgänger
Draufgänger
Mein Herz hängt an der Vorhaut
mein Haus gehört der Bank
Roswitha lernt jetzt Fallschirm
und mein Brieffreund macht mich krank
[…]
Was das Leben betrifft, sind wir alle Amateure,
blutige Laien, Anfänger
doch du hast die Wahl der Qual
wenn auch nur das eine Mal:
Draufgeher oder Draufgänger
Trau keinem unter Dreißig
die war'n nicht an der Front
[…]
Was soll ich denn bloß machen
soll ich weinen oder lachen
es ist mein Leben lang so gewesen
ich fühl mich wie ein Plakatier'n-Verboten-Plakat
wie ein Schlitzohr unter lauter Chinesen
Kein bißchen feste Bindung
an Eigentum und Gott
denn Gegenwind macht Flügel
mein Idol ist Don Quixote
Der Bote kam im Morgengrauen
er nahm kein Geld und kein Quartier
er brachte gute Neuigkeiten
von mir
[…]
Kommentar:
Warum macht er das nur? Es beginnt mit einem ordentlichen Rocker, treibt, stampft schwitzt und gleich bei der ersten Zeile hat man den Eindruck, hier will erst mal sein Publikum begrüßen. Heute sagt man „breitbeinig“. Ich mag es mir gar nicht vorstellen. Gnädig überhöre ich es, später singt er dann tatsächlich vom Plakatierenverbotenplakat.
Vorher kommt dieser Refrain wieder mit herrlichen Melodien. Zum Mitsingen. Warum nicht. Der ist angenehm verspielt und die Wortdrechseleien machen Spaß, ebenso wie die Logiksprünge.
Verlaß dich nicht drauf
Verlaß dich nicht drauf
daß der Schlüssel noch paßt
verlaß dich nicht drauf
daß die Nummer noch gilt
verlaß dich nicht drauf
daß du mehrere hast
verlaß dich nicht drauf
auf dein Führerscheinbild
Verlaß dich nicht drauf
verlaß dich nicht drauf
Verlaß dich nicht drauf
daß man merkt wenn du fehlst
verlaß dich nicht drauf
daß du merkst wenn du frierst
verlaß dich nicht drauf
daß sie's mag wenn du quälst
verlaß dich nicht drauf
daß du eins zu null führst
Verlaß dich nicht drauf
daß die Welt untergeht
verlaß dich nicht drauf
daß du glaubst was du siehst
verlaß dich nicht drauf
daß dein Steiftier noch steht
verlaß dich nicht drauf
daß du doch schneller ziehst
Verlaß dich nicht drauf
daß dein Herz weiter schlägt
verlaß dich nicht drauf
daß du stinkst wenn du schwitzt
verlaß dich nicht drauf
daß da keiner mehr sägt
verlaß dich nicht drauf
auf den Ast wo du sitzt
Verlaß dich nicht drauf
verlaß dich nicht drauf
Kommentar:
Wieder ein Aufzählreimlied, hier im Eilzug-Rocker. Die Musik knallt einem das um die Ohren, was HRK singt. An dem Text hat sich nichts geändert, es ist nur noch schlimmer geworden. Was den Refrain betrifft, muss es im Lürigschen Musikalienschrank eine Schablone für Melodien geben, die variabel angewendet werden kann. Keine schlechte Sache, wenn es klappt. Hier auch sehr gut. Bis jetzt hat das Rockalbum alles gehalten.
Leichter gesagt als getan
Als wir uns trennten, brach ich auseinander
ich hab mich wie ein Wolkenriß gefühlt
ein Stück, aus dem mein Leben war, fiel zischend in den Rinnstein
und wurde mit den Tränen weggespült
[…]
Dich zu vergessen
Dich wegzuschieben
Dich nicht zu kennen
Dich nicht zu lieben
das klappt doch nur im Film und im Roman
leichter gesagt
leichter gesagt
leichter gesagt als getan
Wir krümmten uns in meinem alten Wagen
das Zwischendeck im Parkhaus vollbesetzt
die Männer hinterm Steuer sahen aus, als ob sie träumten
die Frauen hoffnungslos und schwerverletzt
Ich wollte, daß die Erde aus der Bahn fällt
[…]
Du bist schon Legende
du bist schon gar nicht mehr wahr
jeden Abend bring ich ein paar unsichtbare Blumen
und ein Menschenopfer auf den heimlichen Altar
[…]
Kommentar:
Es gibt Songs, die brauchen eigentlich nur ein Bild, danach hört man nicht zu, sondern sieht vor dem geistigen Auge immer wieder diesen einen Ausschnitt. Man muss schon etwas mitgemacht haben, aber dann sind da die ersten vier Zeilen, die ein Gefühl eines Gefühls nicht besser darstellen können. Danach kommen Erinnerungen und ein Refrain voller Sehnsucht und Hoffnungslosigkeit. Die Orgel und der Chor zum Schluss erinnern mich an ein anderes Lied, fällt mir aber nicht ein. Es hat jedoch etwas von einem Ausblenden aus dem Text und steigert sich in der Wiederholung, als ob sich HRK jetzt, nachdem alles gesagt ist, langsam davon macht.
Finderlohn
Der Engel mit den tausend Augen wartet vor der Tür
er weiß daß ich zuhause bin ich weiß er will zu mir
die Sonne schwitzt im Hinterhof der Himmel ist verdampft
dies kahlgeschorne Mädchen liegt im Bad und schnurrt ganz sanft
Im Fernsehen sagt ein Blinder wer sein Lieblingsmaler ist
die Lottozahlen lügen und ein Handschuh wird vermißt
ich bin dreitausend Jahre alt und schlafe nicht genug
warum hast du mich nicht erkannt als ich dein Zeichen trug
Sag mir wo ich hingehör
mach mir meine Fluchten schwer
zeig mir wo ich wirklich wohn
dann kriegst du mich als Finderlohn
[…]
Schenk mir einen Hut voll Zeit
dann lern ich auch Bescheidenheit
zeig mir wo ich wirklich wohn
dann kriegst du mich als Finderlohn
Und es leuchtet
alle Erde
die dein schmaler Fuß berührt
und es jubelt
jeder Windhauch
der dein Abbild mit sich führt
[…]
Kommentar:
Durch die Wortwahl und den Bildern komme ich zu der Überlegung, dass es sich hier wieder um eine Interpretation Kunzes handelt. Vielleicht von einem Buch, vielleicht eine Auftragsarbeit oder ein Abfallprodukt eines Lyrikabends. Es ist nicht sonderlich aufregend und auf einem Rockalbum eher deplaziert.
Lebend kriegt ihr mich nicht
In den Städten bebte der Asphalt, es schwelte das Gestein
die Glatzen und die Dunklen schlugen sich die Schädel ein,
die Flüsse schwollen schweflig an, der Dom zu Köln versank,
die Menschen wankten glasig durch den süßlichen Gestank.
Der Friese schrie aus seinem Evangelium.
Der Dichter schlang ihm schließlich einen Knebel um.
Ich komme von der Grenze,
wo die Hähne wie im Schlaf geworfne Babies krähn,
wo die ungebetnen Fremden durch den Mischwald gehn.
Dort lernt man wilde Tänze
und Schreie nach Vergeltung für die alte Schmach.
Ein graues Land. Und jede Menge Wut liegt brach.
»Wir leben in der Schande«,
so endete zuhause jedes Nachtgebet,
und wahr war nur, was nirgends in den Büchern steht.
»Das Neue wächst am Rande«,
so plärrten die Propheten uns die Ohren weich.
»Und eines Tages wuchern wir ins Herz vom Reich.«
Das alles steht geschrieben
in meinem Sterngesicht.
Lebend, lebend,
lebend kriegt ihr mich nicht.
[…]
Ein Fernsehmoderator
zerstörte Mutters zweites Chirurgiegesicht:
Sie lachte über ihn, und das vertrug es nicht.
Er war mein eigner Vater,
ein Inbegriff von Pflichtgefühl und Tugend.
So viel, und kein Wort mehr, zu meiner Jugend.
[…]
Ich hörte nicht auf Lehrer,
die schleifen Aktentaschen wie den eignen Sarg.
Ich flog aus jedem Institut, ich trieb es arg.
Brandzeichen Ruhestörer,
der Anblick der Gebückten macht mich wund und krank.
Mit Zwanzig überfiel ich eine satte Bank.
[…]
Ich lebe in den Wäldern,
samt Geiseln und 'nem Dutzend von der Polizei,
[…]
Ich will zurück zur Grenze,
wo der Wind mich krault und meinen wahren Namen kennt,
wo man Eigensinn noch Glück und Frolleins Frollein nennt.
Dort lernt man wilde Tänze,
und der Friese kann verkünden, bis sein Mund ausfranst,
und der Dichter lernen, wie man mit sich selber tanzt.
[…]
Kommentar:
Ist das die Abrechnung? War da nicht mal was? Fangen wir vorne an. Bedrohlich und kalt, schwarz metallisch kommt die Musik und eine kalte Stimme beginnt zu erzählen. Dann der Schwenk in die Sonne. Strahlender Himmel, Morgentau und es klingt, als ob HRK wirklich aus einer Schlacht kommt. Wenn Musik und Text so miteinander verquicken ist es für mich ein Fest. Aber was wirklich dahinter steckt weiß ich nicht. Alles zusammen ein großartiger Song.
Der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
[…]
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
ich habe meine Zweifel an der Demokratie
Dämlichkeit als Preis der Freiheit
Den Griechen nach! Den Griechen nach!
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
ich übernehme die Sowjetunion
[…]
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
ich bete im Flugzeug und ich schreie auf Klippen
[…]
Ich bin der einzige ehrliche Mensch auf der Welt
mein ist der Glaube an die Inspiration
mein ist das Verhängnis der Größe
mein ist der langsame Pfeil der Schönheit
Die Kunst macht dem Denker das Herz schwer
Kommentar:
Für mich ein merkwürdiger Song. Im Grunde genommen frei von jeder Melodie und nur ein Marsch, ein Gedicht mit Musik. Früher dachte ich auch, ich wäre der einzige ehrliche Mensch und dann erinnerte ich mich daran, wie ich „Ich übernehme die Sowjetunion“-singend durch die Gegend lief. Und auch, wenn es anmaßend klingt, nicht passen will oder kann, die letzten vier Zeilen schreibe ich mir in meinen Zitateschatz..
Held der Arbeit
Arbeiter!
Fasse dir an die eigene Nase
und TANZ!
[…]
Dancefloorfragen sind Machtfragen
Weitersagen! Weitersagen!
Disziplin ist mehr als Drill
zuerst »Ich muß« und dann »Ich will«
Held der Arbeit
Endverbraucher
klaust dir selbst den Krieg
Klassenfreund
Errungenschaftler
kaust an deinem Sieg
[…]
Saubermann, was nun?
Alle Fahnen eingerollt
und nichts bleibt mehr zu tun …
Kommentar:
Ein Lied für den SPD-Parteitag? Für wen macht jemand solche Lieder? Was sollen oder besser können sie ausdrücken? Sänger sind doch politisch, trotz nicht vorhandener Quotenregelung innerhalb der Band. Was soll das? Wann ist das Stück entstanden? Durchgefallen.
Leck mich doch
Also gehn wir zu dir
[…]
Leck mich doch
leck mich doch
oh bitte bitte bitte leck mich doch
Kurz vorm Ende der Welt
ist erlaubt was gefällt
und ich mag wie du riechst
wenn du über mich kriechst
Mit der Zunge im Ohr
sind wir ganz kurz davor
wir spieln Herrchen und Hund
von der Hand in den Mund
[…]
DIE FRAU MÖGE SENKEN IHR ANGESICHT ÜBER MIR
UND FRIEDEN MIR GEBEN
[…]
Doch zwei Irre im Glück
gehn gemeinsam zurück
in die Zeit vor der Schuld
in das Land der Geduld
Kommentar:
Heinz-Rudolf Kunze, nun machen Sie doch mal ein Lied wie dieser Westernhagen. Und HRK setzte sich hin und sagte: Eine meiner leichtesten Übungen. Dann kam das dabei heraus. Einfach im Bluesgewand und einem Gitarrensprenkel von T-Rex, aber mit einer Sprache die direkt ist, die herabwürdigend ist, Sprache die so aussieht wie HRK und da liegt die Crux. Er kann sich einen abdichten wie er will, er wird niemals Anzüge so tragen können wie Westernhagen und Grönemeyer. Er ist anders.
Geräusche aus deinem Mund
Hinter den Fassaden
alles eisegal
[…]
Dich foltert dein Gedächtnis
ich hab da kein Problem
fall endlich aus der Rolle
werd endlich unbequem
Was sind das für Geräusche aus deinem Mund?
Was sind das für Geräusche aus deinem Mund?
Beiß mir in die Kehle
Wahrheit birgt Gefahr
ich hab mehr durchgemacht als Nächte
meine Woche schlägt dein Jahr
[…]
Laß mir keinen Vorsprung
sonst wird es ein Roman
flieg mit mir kopfüber
in den Lilienvulkan
[…]
Ich erwarte von dir Sätze wie
DER APFEL FÄLLT NICHT WEIT VOM STAMM
und Krankenschwesterfratzen wie
im Vorabendprogramm
[…]
Kommentar:
Nun nimmt das Album noch mal Fahrt auf und es scheint, als ob HRK im Eilschritt auf den Abgrund zuläuft und als Lawine alles mitreißen will, was links und rechts steht. Er will einen Gegner, kein Opfer, er möchte aktiv passiv sein und innerlich unruhig. Was sind das für Geräusche? Was sind das für Gedanken? Was ist das für ein Song? HRK ist schockiert. Eine Kehrtwendung.
Verraten und verkauft
Die Götter sind gesponsort
die Träume sind geleast
ich sag dir wenn du blaß wirst
und Gesundheit wenn du niest
[…]
Der nahe wilde Osten
geschändet bis aufs Blut
erst lebenslänglich Zukunft
dann pfänden wir die Wut
Wir sind der freche Westen
wir sind der Schaum der Welt
ein leeres lautes Elend
mit gut gelauntem Geld
Verraten und verkauft
zu lange vertröstet zu lange belogen
verraten und verkauft
durch den Dreck und übern Tisch gezogen
verraten und verkauft verkauft und verraten
unter Deck riecht's nach Lunte
auf der Brücke nach Braten
Die Köpfe der Propheten
verschimmeln auf dem Schrott
und wir die wir den Schaden haben
sorgen selbst für Spott
Die Sehnsucht ist verhungert
die Hoffnung ist verzockt
und nichts ist mehr unmöglich
wenn gar nichts mehr verlockt
[…]
lauter Scheuklappenhändler
lauter Schwundautomaten
[…]
es wird jeden Tag härter
trotz gesicherter Daten
Kommentar:
Eine Abrechnung mit falschen Versprechungen und zu hohen Erwartungen an die neuen Bundesländer. Verraten und verkauft meint hier die Menschen, nicht die Länder. Das haben sich alle anders vorgestellt. Scheuklappenhändler, Schwundautomaten, treffender kann man keine Worte finden. Damals, wie heute. Immer noch.
Unglaublich
Unglaublich diese menschliche Rasse
diese Trägheit der Masse
und keiner hebt den Schatz
Unglaublich dieser Tanz auf dem Feuer
diese Fahrt ohne Steuer und ohne Fensterplatz
[…]
Kommentar:
Ein John Lee Hooker Groove zu Beginn, Tempo und ein textlicher Standpunkt im Niemandsland. Die Menschen sind schon unglaublich, aber was meint HRK konkret? Unglaublich in jeder ihrer Art? Und wie viel weniger unglaublich steht HRK umringt von denen, auf die er mit seinem Finger zeigt. Unglaublich. Die Musik unterhält und der Text treibt auf einer Scholle daher.
Es ist viel passiert seit dem letzten Album und das muss raus. Mehrfach weist HRK im Vorfeld daraufhin, dass dies ein Rockalbum ist. Rockiger als alle anderen Alben zuvor.
Und es fängt so gut an. Allein schon das Cover, brutal die Flicken auf den Knien, noch brutaler dieser halbtransparente springende Sänger im Hintergrund. Er will ihn nicht loslassen. Warum muss HRK eigentlich auf jedem Album etwas machen, was den Flow nachhaltig stört? Hier ist es eindeutig der „Held der Arbeit“. Die ersten sechs Stücke wunderbar, frisch, direkt, am Ohr des Hörers und auf seiner Zunge, doch in der zweiten Hälfte wird es von mal zu mal distanzierter. Am Ende bleibt nur ein: unglaublich.
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Das fiel mir ein als ich ausstieg.