Startseite › Foren › Kulturgut › Das musikalische Philosophicum › Der Album-/Compilation-Definitions-Thread › Re: Der Album-/Compilation-Definitions-Thread
Anonym
Registriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Schön, dass es diese Debatte gibt! Wenn man nach längerer Abwesenheit in dieses Forum zurückkehrt, gibt es einem einen wohlig nostalgischen Schub, wenn wie immer über „Alben“ und „Kompilationen“, „Songs“ und „Tracks“ diskutiert wird. Selbstverständlich will ich auch meinen Senf dazu geben:
1.
Die Unterscheidung zwischen Studio-LPs und Kompilationen ergibt schon Sinn, wenn man Entstehungs-Unterschiede zwischen verschiedenen Musikerzeugnissen herausarbeiten will (Aktualität versus Retrospektive etc). Das Weiße Album ist in diesem Sinne etwas anderes als das Blaue Album, das wird niemand bestreiten.
2.
In Lieblingsalben-Listen nur Studio-LPs und keine Kompilationen zuzulassen, ergibt hingegen keinen Sinn. Auch das vielbemühte Argument der Vergleichbarkeit, die gesichert bleiben müsse, taugt nicht. Weshalb sollte es aus Vergleichbarkeitsgründen unverkraftbar sein, die Greatest Hits von Sly & The Family Stone an There’s a Riot Goin On zu messen, während es vergleichstechnisch keine Probleme bereiten soll, A Love Supreme an Wish You Were Here zu messen? Studio-LPs und Kompilationen für unvergleichbar zu erklären, ist eine rein ideologische Setzung. Genausogut könnte man sagen: Studio-LPS, die an einem einzigen Tag mit einem geringen Budget eingespielt wurden, mit Studio-LPs, die über ein Jahr hinweg mit einem Monster-Budget eingespielt wurden, zu vergleichen, ist unmöglich.
3.
Ich bitte darum, die Unterscheidung zwischen Song und Track nicht mit hier reinzurühren und so zu tun, als sei sie ebenso schwammig und strittig wie das Album-Definitions-Problem. Denn die Song/Track-Unterscheidung ist äußerst hilfreich, wenn man sich etwas differenzierter über Musik unterhalten möchte. Song ist die Komposition, Track die Realisierung – es ist doch auch gar nicht so schwierig, das auseinanderzuhalten.
Beispiel: Beethovens Neunte, das ist der „Song“. Was Karajan daraus macht, ist der „Track“. Angenommen, jemand findet Karajans Interpretation arg kalt und stählern und kraftprotzerisch – wenn er nun sagen würde, die Neunte sei eine kalte, stählerne und kraftprotzerische Komposition: Wäre das nicht etwas ungerecht gegenüber dem armen Beethoven? Würde der Kritiker das womöglich selber einsehen, wenn er den „Die Neunte“-Track von Lorin Mazel hören würde?
Oder With a Little Help From My Friends: Wer hier sagt, das sei ein bombastischer, pompöser, überladener Song, wird zurecht fassungsloses Kopfschütteln ernten. Bombastisch, pompös und überladen ist weder der Song an sich noch der Track, den die Beatles aufgenommen haben. Man kann allerdings durchaus der Meinung sein, dass Joe Cockers Version, seine Aufnahme, sein Track des Songs solche Kritik verdient.
Letztes Beispiel: Dylans Songs funktionieren bestens per Wandergitarre am Lagerfeuer – von James Browns Songs kann man das eher nicht sagen. Tendenz: Browns Songs sind „schlechter“. Das heißt aber nicht, dass seine Musik schlechter ist – es kommt bei ihm nur auf anderes an als bloß auf Melodie und Text, nämlich auf Funkyness, Rhythmus, Arrangement etc pp. Pointiert gesagt: James Brown liefert phantastische Tracks. Er könnte das Telefonbuch rauskeuchen, und es wäre immer noch gut. Während bei Dylans Songs viele sagen: „Naja, er kann gute Lieder schreiben, aber gut singen kann er nicht – und wenn er dazu auch noch in seinen Goschenhobel hustet, wird’s unerträglich“. Damit sagen diese Leute im Grunde nichts anderes als: Dylans Songs sind gut, Dylans Tracks nicht (natürlich widerspreche ich da – aber ich hoffe, die Sinnhaltigkeit der Song/Track-Unterscheidung ist deutlich geworden).
--