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Das ist das Ende
Das letzte Album von Pink Floyd ist eine große Hommage, eine rührende Zeitreise. Klänge für die Ewigkeit schaffen sie aber nicht mehr. Und es drängt sich ein schrecklicher Verdacht auf: Sind Pink Floyd Underachiever?
von Christoph Henrichs
Pink Floyd veröffentlichen ein neues Album. Bei einer Abwägung von Wahrscheinlichkeiten wäre dieser Satz noch vor wenigen Monaten irgendwo zwischen „Philipp Rösler wird Bundeskanzler“ oder „Der HSV wird deutscher Fußball-Meister“ einsortiert worden.
Man stelle sich vor, Samuel Becketts Godot kreuze plötzlich doch noch auf, beantworte im Vorbeigehen die Gretchenfrage und wedle mit Beethovens endlich vollendeter zehnter Sinfonie. In der anderen Hand hielte er dann ein neues Album von Pink Floyd.
Längst waren die Fans des Wartens müde geworden, hatten ihre Helden für Geister eingetauscht. Doch jetzt ist der Moment da, die Vergangenheit abzuschütteln und ins Leben zurückzukehren. Am 7. November erscheint „The Endless River“, nach zwanzig Jahren das erste Studioalbum der englischen Kultband – und zudem definitiv ihre letzte Platte.
Die Sonne, unter der Pink Floyd wandeln, ist zwar die selbe geblieben – relativ gesehen. Doch die Musiker sind älter geworden. Und es brauchte einen besonderen Grund, damit sich Multimillionäre mit Anfang 70 noch einmal hinter Gitarren und Trommeln, vor Mikrofonen und Mischpulten vergruben: Die neue CD ist eine Hommage, ein letzter Gruß an den verstorbenen Keyboarder der Band, Rick Wright.
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Es braucht wenig Fantasie, um im nah am Kitsch kratzenden Albumcover Rick Wright und seine letzte Reise zu erkennen. 1994, von Depressionen gequält, sang er noch von den Wolken, die ihn bedeckten. Nun steuert er ein entferntes Schiff durch den Rauch am Horizont, über ein Wolkenmeer. 2008 ist der krebskranke Wright über das Meer geflogen und hat nur eine Erinnerung zurückgelassen.
Zusammenspiel mit einem Verstorbenen
Mit jener Erinnerung haben sich Gitarrist David Gilmour und Schlagzeuger Nick Mason für das neue Projekt auseinandergesetzt. Sie haben altes Material aus den Aufnahmesessions von „The Division Bell“ aus dem Jahr 1994 hervorgeholt, neu bearbeitet und ergänzt.
So ist es möglich, dass sie ein letztes Mal zusammen mit ihrem verstorbenen Freund musizieren können. Sein Einfluss auf die Musik von Pink Floyd, seine ausladenden Piano-Arrangements, seine wimmernden Synthies, einmal sollen sie noch zur Geltung kommen, als ein Echo vergangener Zeiten.
Und so beginnt die Platte auch mit Wrights Stimme in einer unruhigen Collage, die auf einem hohen, höchst atmosphärischen Klangteppich ausgebreitet wird. Die Anspannung beim ersten Zuhören wächst. Was, wenn dieses Ambiente-Album, das aus 47 Minuten Instrumentalmusik und 6 Minuten Song besteht, ein Fehlgriff war, misslungen ist?
Als Pink Floyd jung waren, strahlte ihre Musik wie Sonnenlicht. Doch letztendlich sind wir alle nur gewöhnliche Menschen. Und Irren ist menschlich. Was, wenn sich „The Endless River“ nun doch als erdverwurzeltes kleines Nichts herausstellt?
Dann bersten die Wolken mit einem Donnerschlag und mit Wrights unnachahmlichen Synthesizern hebt die Band ab. Eine „Echoes“-Reminiszenz bricht über den Hörer hinein, nur um von Sounds aus „Shine on you crazy diamond“ sanft bedeckt zu werden.
Neues und Bekanntes
Mit dem ersten Einsatz von Masons Schlagzeug kommt die Gänsehaut und die Erkenntnis: Das ist keine Stümperband, die in Pink Floyds Fußstapfen folgt. Das ist neue Musik einer Band, deren Anhängerschar jeden einzelnen Ton auswendig kann, und die jahrzehntelang nach Neuem dürstete.
„The Endless River“ besteht aus vier „Seiten“, vier zusammenhängenden Stücken, deren Ambiente ineinander übergeht. Die hervorragend produzierten Atmosphären und Stimmungen wechseln ständig, lassen stets Neues und Bekanntes entdecken. Flackernde Flammen zu treibenden Toms, hymnische Synthesizer, ein kreischendes Saxofon und läutende Glocken. David Gilmour lässt multiple Flugzeuge starten und über den Planeten schweben, sodass die Hörer auf den Wolken seinen Schatten fliegen sehen.
Die Zeit war immer schon ein beliebtes Thema in den Songs von Pink Floyd. Und auch auf „The Endless River“ spielt sie wieder eine zentrale Rolle. In Gedanken und in der Zeit verloren, reist die Band quer durch ihre eigene Geschichte, lässt selbstironische Klangerinnerungen aufblitzen und blickt ohne Verbitterung auf ein von langsamem Verfall verzehrtes Leben zurück.
Zu diesem Leben, zur Geschichte dieser Band gehört auch Roger Waters. Der Texter ist das beste Beispiel dafür, wie nah Genie und Wahnsinn beieinander liegen können. Nachdem er einige Jahre lang eine perfekte Symbiose mit Schöngeist Gilmour eingegangen war und ein paar der besten Alben der Musikgeschichte herausgebracht hatte, zerbrach die Band und trennte sich Anfang der 80er im Streit.
Aus Trotz veröffentlichten die übriggebliebenen Bandmitglieder ein neues Album. Dieses zeigte nur überdeutlich, dass sie älter und die Welt kälter geworden waren und nichts mehr richtig Spaß machte. Trotz des kommerziellen Erfolgs war das uninspirierte und hoffnungslos in den 80ern steckengebliebene „The Momentary Lapse of Reason“ ohne Roger Waters ein kreatives Armutszeugnis.
Sind Pink Floyd Underachiever?
Auch mit der neuen Platte hat Waters nichts mehr zu tun. Beim Zuhören ertappt man sich immer wieder bei der Sehnsucht nach seiner schneidenden Stimme, die die Klangwelten mit klugem Zynismus und Weltenschmerz entzweit. Denn trotz der beachtlichen Fähigkeit, die Endlichkeit der Zeit zu vertonen, liegt in der Zeit-Thematik die große Schwäche dieses Albums: Ohne (Waters) Texte springt eine Atmosphäre atemlos in die nächste, es fehlt die Struktur und der Mut, die Klangwelten langsam aufzubauen.
In „Shine on you crazy diamond“ nahm sich David Gilmour 1975 immerhin die Zeit, nichts als vier Töne über den Zeitraum einer Minute erklingen zu lassen. Das wurde eins der bekanntesten Riffs der Rockgeschichte. Solche Klänge für die Ewigkeit schaffen Pink Floyd mit dem neuen Album nicht mehr. Weil sie sich zu wenig Zeit nehmen.
Und so kommt dem Hörer während einer Drum-Orgie in bester Tradition von „A Saucerful of Secrets“ ein schrecklicher Verdacht: Hat man es bei diesen großartigen Musikern vielleicht sogar noch mit Underachievern zu tun? Das verwendete und aufbereitete Material ist so vielfältig, dass es – mit den richtigen Texten und dem richtigen Konzept – für mehrere weitere Alben gereicht hätte. Mit „The Endless River“ bekommen Fans eine Ahnung davon, was ohne den Streit des größenwahnsinnigen Rogers und des sturen Gilmour möglich gewesen wäre.
Doch trotz der chaotischen Fülle, die kaum Raum zum Atmen lässt, gelingen Pink Floyd in ihrem Spätwerk noch einige Glanzlichter – und bessere Musik als zum Beispiel noch 1987. Auch der einzige Song, das abschließende „Louder Than Words“ ist ein Highlight. Es ist ein erstaunlich persönlicher und emotionaler Schlusspunkt, der auch Roger Waters adressiert. „Die Summe unserer Teile, der Schlag unserer Herzen, sind lauter als Worte“, singt Gilmour und streckt die Hand zur Versöhnung aus, nach jahrelanger Verbitterung.
Dann ist die Zeit vorbei, der Song ist aus. Die fette alte Sonne ist untergegangen – wir sehen uns auf der dunklen Seite des Mondes. Die Zeit vergeht, doch die Flüsse fließen weiter. Für Pink Floyd ist „The Endless River“ das Ende.
Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Der Autor ist Fan von Pink Floyd und hat in diesem Text 20 Zitate aus Liedern der Band versteckt. Haben Sie alle gefunden? Kontaktieren Sie den Autoren auf Twitter:
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Wenn ich meinen Hund beleidigen will nenne ich ihn Mensch. (AS) „Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn's so richtig Scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.“