Re: Wie hört ihr Jazz?

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gypsy-tail-wind
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soulpopeNa sagen wir mal, wir sind Musik….ich habe lange versucht (auch) den Jazz in mir eine Ordnung zu geben, während viele oft feine Erlebnisse aus „ungeordneten“ Ecken denn Schluss zulassen, daß ich bereits vor langer Zeit vom Jazz quasi „gesamtheitlich übernommen (im Sinne von „take over“)“ worden bin…….da ich aber von Anfang an mit offenen Armen auf den Jazz zugegangen bin, war es wohl keine feindliche Übernahme ;-)……

:bier:

Wir haben schon lange die Fahnen gestrichen!

Clau@gypsy tail wind:
Interessant, gypsy. Ich bin gespannt, wie sich das bei mir entwickelt. Jedenfalls ist das Hören und das Entdecken von Jazz eine vollkommen andere Sportart als die Beschäftigung mit jeglicher anderer Musik.

Für mich ist es quasi die musikalische Muttersprache. Gut, Dylan war der erste Fixpunkt, ich hörte in den Neunzigern Musik von Neil Young oder Tom Petty, von Stephan Eicher, aber der Jazz gehörte seit meiner Kindheit mit dazu, Abdullah Ibrahims „African Marketplace“ kenne ich wohl von vorn bis hinten auswendig, weil meine Eltern die Platte so oft hörten (ich liebe sie bis heute, also die Platte, meine Eltern aber auch, wenn ich’s mir so überlege ;-)).

ClauSag‘ mal, im Sonny Stitt Thread hast Du geschrieben, dass Du Diz zwar sehr schätzt, er Dir aber nicht wirklich wichtig ist. Hat das wirklich mit seinem Spiel oder doch eher mit der Person Dizzy Gillespie zu tun?

Das sind Unterscheidungen auf höchstem Niveau – Dizzy war halt nicht der Musiker, der zeitlebens nach etwas suchte und die Grenzen dessen abtastete, worin er sich gerade fand. Generell sind mir wohl Musiker am wichtigsten, die dies versuchten, wenigstens phasenweise. Aber es gibt Ausnahmen, klar: Johnny Griffin etwa (wobei man sagen könnte, der habe versucht, die Grenzen auszuloten, wie schnell man auf einem Tenorsaxophon spielen kann – vielleicht war er ja in Wahrheit Physiker und das Saxophon nur ein Mittel ;-)).

Bei anderen gerät das ob der starken „personality“ in den Hintergrund: Sonny Rollins, Stan Getz, Dizzy, um ein paar Beispiele zu nennen. Von den dreien ist mir nun Dizzy sicherlich derjenige, der mich am wenigsten berührt. Dennoch, wie gesagt, es ist eine Freude, seine unzähligen Verve-Aufnahmen ab 1954 zu verfolgen (die Jahre von 1950-53 sind oftmals eher dadurch ein Genuss, dass Don Byas mitspielt, da war Dizzy in einer Krise, die Bands und deren Musik meist unter dem Niveau, das er davor und danach hatte, fast eher Jump als Jazz, zuviel unlustige oder halblustige Comedy … – da nützt auch ein unreifer Coltrane als Sideman nichts).

Da geht es wohl um einen Versuch, zu formulieren, dass ich die Qualitäten, die Dizzy als Trompeter in höchstem Masse hatte (er ist diesbezüglich wirklich phantastisch, gar keine Frage) durchaus erkenne, auch schätze und auch gerne höre, dass er aber einfach nicht zu denen gehört, die mich im Innern erschüttern oder auch einfach nur berühren können – gut, Griffin kann das letzlich wohl auch nicht, aber der Typ war ein so verdammt cooler Hund und er spielt nunmal das Instrument, das „meins“ ist, da kann man nicht alles mit derselben Nähe oder Distanz beobachten und genau darum geht es auch, wenn ich eine solche Aussage zu Dizzy mache. Es geht dann quasi ums Lebendige, die existentielle Dimension des Hörens – das, ohne das ich nicht sein zu können glaube. Und dazu gehört Dizzy dann eben nicht.

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